Es liegt in ihrer Natur, dass man Schwarze Löcher nicht sehen kann. Machen sie sich nicht beim Verzehr eines Sterns bemerkbar, bleibt einem nur, nach den Auswirkungen ihrer Gravitationskraft Ausschau zu halten.
Illustr.: NASA/ESA/Gaia/DPAC

Eine aktuelle Entdeckung scheint zu bestätigen, was man schon seit längerem vermutet: Die Milchstraße steckt voller ruhender und damit unsichtbarer Schwarzer Löcher. Einige Modelle sagen voraus, dass unsere Heimatgalaxie rund 100 Millionen Schwarze Löcher beherbergen könnte, wirklich beobachtet und bewiesen wurden davon bisher aber nur etwa 20 Exemplare, hauptsächlich gefräßige Mitglieder eines sogenannten Röntgendoppelsternsystems. In solchen Konstellationen verschlingt das Schwarze Loch Materie von seinem zu nahen Begleitstern, wodurch es hell im Röntgenlicht aufleuchtet und für Teleskope sichtbar wird.

Stille Schwarze Löcher

"Aber diese stellen nur die Spitze des Eisbergs dar: Eine weitaus größere Population von Schwarzen Löchern könnte sich in Doppelsystemen verstecken, deren Partner einander in großem Abstand umkreisen", sagt Kareem El-Badry vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) in Cambridge (USA). Um diesen "stillen" Schwarzen Löchern auf die Spur zu kommen, muss man nach Anzeichen für ihren enormen gravitativen Einfluss suchen.

In den Daten des Weltraumteleskops Gaia wurden El-Badry und sein internationales Team nun tatsächlich fündig: Sie entdeckten einen nahegelegenen sonnenähnlichen Stern, dessen Bahneigenschaften auf einen sehr massereichen dunklen Begleiter schließen lassen.

Fleißiges Observatorium

Das Gaia-Observatorium der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) hat fast ein Jahrzehnt damit verbracht, die Positionen, Entfernungen und Eigenbewegungen von mehreren Milliarden astronomischen Objekten zu erfassen. Seit Missionsbeginn wurden drei Gaia-Kataloge veröffentlicht, der jüngste, Gaia EDR3, umfasst allein 1,8 Milliarden Objekte. Für ihre Zwecke wählten El-Badry und seine Gruppe aus diesem Gaia Data Release 3 (GDR3) rund 168.000 Sterne aus, die sich in einem Doppelkörpersystem befinden.

Die bisher entdeckten Schwarzen Löcher der Milchstraße umkreisen einen anderen Stern nahe genug, um Materie von ihm anzuziehen. Dabei wird unter anderem Röntgenstrahlung frei, die irdische oder Weltraumteleskope erfassen können.
Illustr.: ESO/L. Calcada

Bei genaueren Analysen dieser Systeme stieß man auf einen besonders vielversprechenden Kandidaten, einen gelben, sonnenähnlichen Stern vom Spektraltyp G. Das beobachtete ungewöhnliche Bewegungsmuster des Sterns mit der Kurzbezeichnung Gaia BH1 konnte schließlich nur durch die Existenz eines stillen Schwarzen Lochs erklärt werden. Aus den berechneten Umlaufparametern ergibt sich sogar eine einigermaßen akkurate Größeneinschätzung: Wahrscheinlich besitzt das Schwarze Loch rund zehn Sonnenmassen.

Sonnennahes Schwerkraftmonster

"Um zu beweisen, dass wir richtig liegen, und um mögliche alternative Szenarien auszuschließen, haben wir den Stern spektroskopisch mit mehreren anderen Teleskopen untersucht. Die Ergebnisse präzisierten unsere Größenannahmen und bewiesen, dass das Objekt wirklich 'dunkel' ist."

Video: Wie man von der Bewegung eines Sterns auf ein Schwarzes Loch schließt.
UCLA

Damit könnte Gaia BH1 das erste bekannte Schwarze Loch in der Milchstraße sein, das nicht durch irgendeine Form von Energieemission entdeckt wurde, meinte El-Badry. Und es wäre auch eines der am nächsten gelegenen: Mit 1.550 Lichtjahren befindet sich Gaia BH1 etwa gleich weit entfernt wie der aktuelle Rekordhalter V723 Monocerotis.

Glückstreffer oder einer von vielen?

Sollten sich ihre Beobachtungen durch die Entdeckung weiterer stiller Schwarzer Löcher bestätigen, könnte das auf eine umfangreiche Population ruhender Schwerkraftgiganten hinweisen. Eine solche Erkenntnis würde auch tiefgreifende Auswirkungen auf die stellare und galaktische Evolution haben. Es sei jedoch auch möglich, dass dieses spezielle ruhende Schwarze Loch nur ein Glückstreffer war, ein Ausreißer, der nicht auf eine größere Population hinweist, meinte El-Badry.

Der Astrophysiker bleibt jedoch optimistisch und freut sich schon auf den Gaia Data Release 4 (GDR 4), das nächste große Datenpaket der Gaia-Mission. "Basierend auf der von Gaia BH1 implizierten Vorkommen-Rate schätzten wir, dass die nächste Gaia-Datenveröffentlichung die Entdeckung von Dutzenden ähnlicher Systeme ermöglichen wird", sagte El-Badry. (tberg, 5.9.2022)