Neos-Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre kritisiert in ihrem Gastkommentar die geplanten Neuerungen in den Lehrplänen. Und sie vermisst eine grundsätzliche Reform.

Lehrpläne entrümpeln" und "Lehrpläne modernisieren" – diese beiden Vorschläge gehören wohl zu den meistgenannten Forderungen, die man zu hören bekommt, wenn es um notwendige Änderungen im Schulsystem geht. 2018 wurde der Ruf – wieder einmal – erhört und mit der Erarbeitung neuer Lehrpläne für die Volksschule, Mittelschule und AHS-Unterstufe begonnen. Jetzt, 2022, ist das Ergebnis endlich in Begutachtung, 2023 soll es im Klassenzimmer ankommen und wird dann, nach all den Krisen und Umwälzungen der letzten Jahre, wohl bereits wieder veraltet sein.

Spricht das für die Trägheit der Beteiligten, oder ist etwas faul am System? Wer sind überhaupt die Beteiligten, und wem müssen sie ihre Arbeit erläutern und erklären? Rechtlich gesehen sind Lehrpläne eine Verordnung des Bildungsministers, und er ist relativ frei in der Gestaltung des Prozesses, diese zu erarbeiten.

Die neuen Lehrpläne wurden seit 2018 erarbeitet und sollen ab dem Jahr 2023/24 gelten.
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Heinz Faßmann und sein Nachfolger Martin Polaschek haben die Tradition weitergeführt, Lehrpläne als statische Aufzählung zu denken und ihre Erarbeitung als linearen Prozess mit Beginn und Ende zu definieren.

Muss das so sein, oder wäre es vielleicht hilfreicher, die Lehrpläne als lebendigen Kreislauf zu verstehen? Als einen Kreislauf, der stets ergänzt und angereichert werden kann, der nie den Anspruch der Vollständigkeit erhebt und dessen Elemente nach einer definierten Lebensdauer aktualisiert werden oder aus dem Kreis der Lehrinhalte wieder hinausrutschen? Da sich auch unsere Welt gefühlt immer schneller dreht, lohnt es sich, das in Erwägung zu ziehen.

Viel Kritik

Inhaltlich dürfte diesmal in manchen Bereichen durchaus eine Modernisierung gelungen sein, während andere Teile der Lehrplanentwürfe ausgesprochen ernüchternd sind. Konkret etwa jene zur Wirtschaftsbildung: Die großen Überschriften tragen zwar der gewachsenen Erkenntnis Rechnung, dass wirtschaftliches Verständnis unabdingbar ist, um in unserer Welt ein selbstbestimmtes Leben zu führen. So nennt sich etwa der humanwissenschaftliche Fächercluster, dem vor allem Geografie und Geschichte angehören, "Wirtschaft und Gesellschaft". In den konkreten Inhalten findet das jedoch wenig Niederschlag, wie die Inhaberinnen und Inhaber sämtlicher Wirtschaftspädagogik-Lehrstühle an Österreichs Universitäten einhellig in einer gemeinsamen Stellungnahme feststellen: "Erstaunlich substanzlos" und "gravierend mangelhaft" seien die wirtschaftsbezogenen Teile der Geografie-Lehrpläne. Ähnlich äußerten sich die Wirtschaftskammer, die Industriellenvereinigung und die neue Bundesschulsprecherin.

Wirtschaftsbildung, die fast nur die Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten vermittelt, Marktmechanismen nicht erklärt und die grundlegenden Konzepte der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre außen vor lässt, ist nicht dazu geeignet, selbstbestimmte Bürgerinnen und Bürger hervorzubringen: mündige junge Menschen, die kompetent mit Geld umgehen können und bei wirtschaftlichen Verwerfungen sachliche Erklärungen finden, statt Verschwörungstheorien auf den Leim zu gehen.

Gerade in der heutigen Zeit ist es wesentlich zu verstehen, wie Preise zustande kommen, was Inflation bedeutet, wie man am klügsten spart, was man sich leisten kann oder wie man verantwortungsvoll investiert. Dazu ist es notwendig, den Wirtschaftskreislauf als Ganzes zu durchleuchten – und nicht nur aus Konsumentensicht. Jeder junge Mensch soll ein solides ökonomisches Basiswissen erwerben, das hilft, ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben zu führen. Ob das im Geografieunterricht, im Mathematikunterricht oder in einem eigenen Schulfach Wirtschaft passiert, ist zweitrangig. Passieren muss es, und ich erwarte von Polaschek, die Einwände der Expertinnen und Experten aufzugreifen und die an dieser Stelle missglückten Lehrplanentwürfe zu überarbeiten. Eine Veröffentlichung der Stellungnahmen, zu der der Minister zwar nicht verpflichtet ist, setze ich im Sinne der Transparenz aber voraus.

Nicht vorgesehen

Neben der Kritik an konkreten Inhalten und Lücken der Lehrpläne dürfen wir auf eines nicht vergessen: Lebensnahes Lernen ist fächerübergreifendes Lernen, und dafür bieten die Lehrplanentwürfe zu wenig Raum und Struktur. Die fächer- und schulstufenübergreifende Koordination in der Erarbeitung der Lehrpläne war, so hört man von Beteiligten, nicht so gegeben, wie man sich das von einem vier Jahre dauernden Prozess erwarten würde. Auch Zeitbudgets für Kooperationen außerhalb der Schule (etwa mit Unternehmen, NGOs) und fächerübergreifende Projekte – zehn Prozent der Unterrichtszeit wären sinnvoll – sind nicht vorgesehen und müssten erst mühsam lokal ausgehandelt werden in einem System, in dem Schulautonomie als Zusatzaufwand statt als Bürokratieerleichterung konzipiert ist. Jenen engagierten Lehrkräften, die dennoch spannende Projekte auf die Beine stellen, gilt meine Hochachtung.

Optimistisch stimmt mich, dass ich immer öfter auf Zustimmung treffe, wenn ich davon spreche, dass die kleinteilige Fächerstruktur unflexibel und innovationshemmend ist und wir weniger, dafür größere und flexiblere "Flächenfächer" brauchen. Das gilt jedenfalls für das Lehramtsstudium: Sogar der Bildungsminister spricht schon von Überlegungen, die beliebige Kombination unzusammenhängender Einzelfächer durch "kongruente Fächerbündel" zu ersetzen. Langfristig sind Flächenfächer auch eine Option für die Stundenpläne im Schulalltag. Dann haben vielleicht auch die Pausenglocke und der 50-Minuten-Takt ausgedient. (Martina Künsberg Sarre, 22.9.2022)