In der Praxis streiten pflegende Angehörige oft über ihren Erbanteil.

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Jahrelang hat Martin Mayer seinen Stiefvater hingebungsvoll gepflegt. Als dieser starb, ging Mayer jedoch leer aus. Gesetzliches Erbrecht stand ihm als Stiefkind keines zu, und auch die Suche nach einem Testament blieb erfolglos. Alleinerbin wurde die leibliche Tochter des Verstorbenen – obwohl sie seit Jahren keinen Kontakt mehr mit ihm hatte.

Mayer, der eigentlich anders heißt, ist kein Einzelfall: Wenn Familienmitglieder ihre Angehörigen bis zum Tod pflegen, beim Erbe aber leer ausgehen, ist der Unmut oft groß. Der Gesetzgeber hat daher vor fünf Jahren das Pflegevermächtnis geschaffen: Pflegende haben seither Anspruch auf einen Teil des Nachlasses. In der Praxis spielt die Regelung mittlerweile eine große Rolle – auch wenn Angehörige dabei einiges beachten sollten.

20 Stunden im Monat

Anspruchsberechtigt sind nicht nur die gesetzlichen Erben, sondern zum Beispiel auch Schwiegerkinder sowie Lebensgefährten und deren Kinder. Angehörige können das Vermächtnis geltend machen, wenn sie entweder gar nichts erben oder ihr Erbe nicht ausreicht, um die Pflegearbeit abzugelten. Anders formuliert: Aus dem Pflegevermächtnis erhält man nur jenen Betrag, der nicht schon durch das Erbe abgedeckt ist. Anders ist das bei Angehörigen, die vom Verstorbenen im Testament auf ihren Pflichtteil beschränkt wurden: Sie bekommen das Geld zusätzlich.

"Um einen Anspruch zu haben, reicht es natürlich nicht aus, einmal im Monat die Großmutter zu besuchen und ihr beim Putzen zu helfen", sagt Rechtsanwältin Bettina Rauf, Expertin für Erbrecht. Voraussetzung ist, dass die jeweilige Person den Angehörigen innerhalb der letzten drei Jahre zumindest sechs Monate lang gepflegt hat. Die Pflege muss zudem jedenfalls ein Ausmaß von 20 Stunden im Monat erreichen.

In der Praxis wird oft über die Höhe des Vermächtnisses gestritten. "Wenn Mandanten zu mir kommen, müssen wir zunächst klären, in welchem Ausmaß die betroffene Person gepflegt wurde", sagt Rauf. Erfasst sind alle klassischen Pflegeleistungen – etwa das An- und Ausziehen, die Hilfe bei der Körperpflege oder Fahrten zum Arzt. Die Stundenanzahl dient dann als Grundlage für die Berechnung des genauen Anspruchs.

Was ist Pflege wert?

In den ersten Jahren nach der Reform war vor Gericht oft unklar, mit welchem Betrag die geleisteten Arbeitsstunden abgegolten werden. Mittlerweile hat der Oberste Gerichtshof (OGH) aber für Klarheit gesorgt. Demnach steht zumindest eine "angemessene Entlohnung" zu, die sich am Mindestlohntarif für im Haushalt Beschäftigte orientiert. "In der Praxis sind das zwischen zehn und zwölf Euro pro Stunde", erklärt Rauf. Der OGH habe Angehörigen aber auch schon 14 Euro zugesprochen, wenn sie in der Nacht gepflegt haben.

"In der Praxis entsteht Streit meist dann, wenn sich Kinder um ihre Eltern kümmern, aber andere Geschwister im Testament als Erben eingesetzt werden", sagt Rauf. "Dann ist man im Todesfall damit konfrontiert, weniger zu bekommen, als man erwartet hat." Als Pflegender sei man daher gut beraten, genaue Aufzeichnungen zu führen. "Damit ist es im Streitfall viel einfacher." Pflegende sollten sich am Ende einer Woche notieren, was sie wann gemacht haben. Aufzeichnung sind das "Um und Auf", ist Rauf überzeugt. (Jakob Pflügl, 24.9.2022)