Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezeichnet die geplanten Referenden als "zynisch".

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Blick auf eine Sitzung der UN-Generalversammlung in New York.

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Es sind harte Worte der fundamentalen Kritik, die sich Russlands Präsident Wladimir Putin bei der 77. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York gefallen lassen muss. Ob im Plenarsaal des UN-Hauptgebäudes am Hudson River oder bei unzähligen bilateralen Treffen von Präsidenten, Regierungschefs und Außenministern der 193 Mitgliedsstaaten sind die Kriegshandlungen des Kreml-Herrn und seine jüngste Volte das Hauptthema.

"Wenn es nicht so tragisch wäre, könnte man glauben, es sei ein Witz", sagte etwa Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron zur Ankündigung, in den besetzten Gebieten wie Luhansk oder Donezk ein Referendum über den Beitritt zu Russland abzuhalten. Moskau habe keinerlei Anrecht auf diese Gebiete, müsse die Truppen zurückziehen.

Erste Rede von Scholz

Noch schärfer formulierte es der deutsche Kanzler Olaf Scholz bei seinem ersten Auftritt bei der UN-Vollversammlung: "Wir werden keinerlei Frieden akzeptieren, der von Russland diktiert wird", so der Deutsche, "Putin muss seine imperialen Ambitionen aufgeben." Der russische Präsident riskiere, dass er die Ukraine und Russland zerstöre, "wenn er nicht erkennt, dass er nicht gewinnen kann".

Japans Ministerpräsident Fumio Kishida warnte grundsätzlich, dass die Glaubwürdigkeit der UN auf dem Spiel stehe, wenn jetzt nicht gehandelt werde. Denn als Mitglied des Sicherheitsrats blockiere Russland alle Entscheidungen, "es muss Reformen geben".

Der russische Elefant

All die Kritik der Staatenlenker ging diplomatisch an den Russen jedoch im wahrsten Sinn des Wortes vorbei. Denn Putin wendete in New York eine andere Art diplomatischer Kriegsführung an, "nicht ungeschickt", wie ein Diplomat dem STANDARD erklärte. Nicht nur, dass der russische Präsident nicht nach New York reist, er gibt bei der Generalversammlung den "Elefanten im Raum". Genauso wie sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping, der ebenfalls fernbleibt. Putins Außenminister Sergej Lawrow wird erst am Samstag seine Ansprache halten, was als taktische Zurückhaltung interpretiert wird.

Umso mehr sorgte die Regie des Kreml dafür, den Auftritt von US-Präsident Joe Biden von außen zu konterkarieren. Er platzierte die Ankündigung der Teilmobilmachung der Armee (siehe oben) in Moskau, nur wenige Stunden bevor Biden – wie immer unter massiven Sicherheitsvorkehrungen – seine Sicht der Dinge darlegte: Er verurteilte den Aggressionskrieg in der Ukraine wie erwartet scharf. Russlands Drohung, zu Atomwaffen zu greifen, nannte er "unverantwortlich". Niemand habe Russland bedroht. Die USA würden weiter solidarisch mit der Ukraine sein.

Zudem müsse Russland für Kriegsverbrechen, für die es "noch mehr entsetzliche Beweise" gebe, zur Verantwortung gezogen werden. Putin verstoße mit dem Angriff als Gründungsmitglied der UN gegen die Charta. Doch ging Biden nicht so weit, den Status Russlands als Mitglied des Sicherheitsrats infrage zu stellen. Beobachter leiten daraus ab, dass ein Vorstoß in die Richtung ohnehin zum Scheitern verurteilt wäre.

Unterschiedliche Positionen

Denn anders, als das in Europa beziehungsweise im Westen erhofft wird, engagieren sich etwa die afrikanischen Staaten oder Indien in Sachen Ukraine-Krieg nicht in gleicher Weise gegen Russland. Sie haben in ihren eigenen Ländern zum Teil große Probleme, die teils aber nicht nur Folgen des Krieges sind, etwa der Mangel an Versorgung mit Getreide.

Die Erfahrung, wie komplex die diplomatische Lage und wie unterschiedlich die Zugänge zur Ukraine sind, musste auch der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) machen. Er führte neben den anderen EU-Außenministern in einer konzertierten Aktion ein gutes Dutzend bilaterale Gespräche mit Kollegen aus den Nachbarregionen der Ukraine, aus Afrika, auch mit dem indischen Außenminister.

Sein Eindruck: Viele warten jetzt einmal ab, wie die Dinge sich entwickeln, erwarten, dass die Europäer vor allem auf ihre Sorgen und Nöte mit konkreten Hilfen eingehen. In der Tat werde in den EU-Staaten oft unterschätzt, dass, wie eben in Afrika, zahlreiche Länder wegen des Klimawandels und der wirtschaftlichen Entwicklung ganz andere Sorgen hätten als den regionalen Krieg in der Ukraine. Die Folgen seien zwar global, aber die Kriegshandlungen weit weg.

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) war am Mittwochabend in der "ZiB2" zugeschaltet.


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Sanktionen verschärft

In der "ZiB2" am Mittwochabend sprach Schallenberg von einem "echten Kampf der Narrative am afrikanischen Kontinent". Russland versuche den dortigen Ländern zu erklären, dass die dortigen Probleme mit den westlichen Sanktionen zusammenhängten und nicht mit dem Krieg. Die EU-Minister müssten da dagegenhalten, sagte Schallenberg. Die EU-Außenminister kamen in der Nacht auf Donnerstag in New York noch zu einem Sondertreffen zusammen. Dabei haben sie sich auf eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland geeinigt. EU-Außenbeauftragter Josep Borrell sagte in New York, die Staaten hätten die politische Entscheidung getroffen, neue sektorspezifische und individuelle Maßnahmen zu ergreifen. Zudem werde die EU die Ukraine weiterhin mit Waffen unterstützen. Das nächste formelle Treffen der EU-Außenminister soll Mitte Oktober stattfinden. Dann könnte das achte Sanktionspaket formalisiert werden.

Wenig Begeisterung

Von der 77. Generalversammlung scheint jedenfalls so bald keine Lösung im Konflikt mit Putin zu erwarten zu sein. Die europäischen Staaten bemühen sich zwar, ihre Allianz mit den USA und den westlich orientierten Staaten zu verbreitern. Aber sie stoßen dabei nicht gerade auf viel Begeisterung.

Währenddessen setzt der Kreml auf immer weitere Eskalation, auf dem Schlachtfeld ebenso wie auf der diplomatischen Ebene, indem er etwa ganz auf seine Partnerschaften mit China setzt. Und in Peking gibt es verbal zwar vorsichtige Bedenken gegen das Vorgehen Putins, aber ausschließlich begründet mit wirtschaftlichen Interessen.

Einem scheint diese Situation zu gefallen: dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Er nützte seinen Auftritt gleich zu Beginn der Generalversammlung am ersten Tag, um sich als zentralen Friedensstifter zu präsentieren. Er verwies darauf, dass sein Land es war, das gemeinsam mit der Uno den ersten Getreidetransport aus Odessa organisiert habe, und bot sich abermals als Vermittler an. (Thomas Mayer aus New York, APA, 21.9.2022)