"Außerhalb des Gerichtssaals nicht wahnsinnig in das operative Geschäft eingemischt" bei der "Krone": Julia Becker, Eigentümerin und Verlegerin der Funke-Mediengruppe, bei den Medientagen in Wien.

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Wien – Christoph Dichand lauschte aufmerksam in der dritten Reihe, welchen Weg Julia Becker am Donnerstag bei den Medientagen für die Medienbranche zeichnete. Becker und ihre Familie sind Eigentümer der großen deutschen Funke-Mediengruppe, die maßgeblich am österreichischen Auflagenriesen "Krone" und am "Kurier" beteiligt ist – jahrzehntelanger Gesellschafterstreit inklusive. Für Becker geht es Richtung digital, diverser, jünger, weiblicher. Und sie rief neuerlich nach "Hilfe des Staates" für gedruckte Medien.

Null Prozent Mehrwertsteuer für gedruckte Zeitungen

Becker fordert in Deutschland "null Prozent Mehrwertsteuer für gedruckte Zeitungen und Zeitschriften" – auch in Österreich drängen Verleger auf eine Reduktion der Mehrwertsteuer angesichts vervielfachter Papierpreise und Zustellkosten. Die Funke-Verlegerin über die geforderte Mehrwertsteuerbefreiung: "Das wäre ein wesentlicher Beitrag für die digitale Transformation, den Erhalt von gutem Journalismus und letztlich für die Demokratie. Ohne diese staatliche Unterstützung in der Übergangszeit wird es in manchen Regionen keinen unabhängigen Journalismus mehr geben. Das kann niemand wollen – gerade in diesen Zeiten."

"Verlage werden sterben, ab jetzt"

Becker warnt: "Verlage werden sterben, ab jetzt" – weil viele Unternehmen, vor allem kleinere Verlagshäuer, "diese toxische Kombination" nicht mehr tragen könnten. Zur toxischen Kombination gehören "explodierende" Energie- und Papierpreise, aber auch hoher, aber notwendiger technischer und redaktioneller Aufwand für den Weg ins digitale Publizieren.

Wer ist besonders gefährdet, fragt Gerold Riedmann ("Vorarlberger Nachrichten") nach Beckers Vortag in einem Podiumsgespräch. Becker: "Vornehmlich kleinere Verlage, deren Transformation ihrer Produkte in die digitale Welt noch nicht ausreichend weit fortgeschritten ist."

Das Kartellrecht und die Kartellbehörden müssten mit Blick auf die Dominanz digitaler Weltkonzerne wie Google und Meta Märkte und Marktmacht neu definieren – und, wohl gemeint, auch weitere Zusammenschlüsse in der Medienbranche ermöglichen. Sie wolle "für größere Konstellationen werben".

Kritisch äußerte sie sich über (Gebühren-)Mittel für öffentlich-rechtlichen Rundfunk. 8,5 Milliarden Euro sind das in Deutschland für ARD, ZDF, Deutschlandfunk – und wie der Berliner RBB zeige, man wisse dort "vor lauter Überfluss gar nicht, wohin mit dem Geld". Es brauche "dringend gerechte Verteilung und maßvolles Wirtschaften" und eine "objektive Kontrollinstanz". Sie frage sich mit Blick auf die Öffi-Anstalten: "Ist das eigentlich ausgewogenes und faires Miteinander?"

"Printbasierter Journalismus ist endlich, ja"

"Printbasierter Journalismus ist endlich, ja", räumte Becker ein. Doch Medienhäuser müssten ihre treuen Print-Leserinnen und -Leser "so lange halten, wie es geht. Und wir dürfen sie auch nicht verlieren, denn letztlich sind sie es, die als treue Abonnentinnen und Abonnenten unserer Printprodukte die digitale Transformation finanzieren."

Und Becker sagt: "Gedruckte Zeitungen dürfen nicht als ein Abfallprodukt gelten, sondern müssen als Format weiterhin mit großer Leidenschaft und dem Willen zu hoher Qualität gestaltet werden."

Die Funke-Beteiligung "Kronen Zeitung" hat derzeit 535.618 größtenteils voll bezahlte, größtenteils Print-Abos (31.449 sind E-Paper-Abonnements) – bei einem Abo-Preis von 360,72 Euro im Jahr eine solide Basis für die digitale Transformation. Die "Krone" beginnt gerade Bezahlangebote auf krone.at.

Digital "Subscription first"

Im Funke-Konzern ist das deklarierte Ziel im Digitalen "Subscription first", sagt Becker, Digitalabos also. Google, Meta/Facebook und andere Digitalkonzerne dominieren längst den Werbemarkt – lange eine zentrale wirtschaftliche Stütze der klassischen journalistischen Medien.

Selbst wenn sich alle Medien inklusive öffentlich-rechtlicher in Deutschland zusammentäten, hätten sie im Werbemarkt "keine Chance gegen diese Schaufelradbagger" – Google und Co. Es brauche Regulierung, "die unsere Inhalte, unsere Geschäftsmodelle schützt", damit sie nicht "privaten Medien die Lebensader abschneiden".

Der Weg ins Digitale aber sei alternativlos: "Wir brauchen einen klaren strategischen Fokus auf digitale Produkte und eine konsequente digitale Transformation. Denn so viel ist klar: Die Zukunft des Journalismus ist weitgehend digital. Schauen Sie sich nur das Medienverhalten unserer Kinder an: Liest eines Ihrer Kinder noch eine gedruckte Zeitung?"

Die Transformation ins Digitale brauche nicht nur Investitionen etwa in die Technik, sondern auch Mut, sagt Becker: "Der Medienbranche fehlt es häufig an Mut und Konsequenz."

Nicht datenbesessen

"Datenbasiert, nicht datenbesessen" gelte es im Digitaljournalismus zu arbeiten: "Es geht darum, die Inhalte zielgerichtet auf die Interessen der Leserinnen und Leser zuzuschneiden und zugleich immer auch Themen zu setzen, die nach Auffassung unserer Journalistinnen und Journalisten relevant sind. Denn wir wollen unsere Nutzerinnen und Nutzer ja auch überraschen und dadurch gewinnen. Diese Strategie bedeutet auch: ständig lernen, immer wieder überdenken, nachjustieren, ausprobieren."

Und mit Blick in die dritte Publikumsreihe sagt Becker über ihre Erfahrungen bei den unzähligen Regionalzeitungen der Funke-Gruppe in Deutschland: "Unsere Partner in Österreich werden vielleicht ein Interesse haben zu hören, wie das geht bei uns."

Diverser, weiblicher, jünger

Die Geschäftsführung der Funke-Mediengruppe sei nun mehrheitlich weiblich, Becker ist Vorsitzende des Aufsichtsrats. Immer mehr Frauen rückten bei Funke in Chefpositionen, die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund steige.

Beckers Eindruck: "Digitalisierung ist nur mit Diversität möglich: Testosteron spielt eine spürbar geringere Rolle, alte Seilschaften und irgendwelche Ränkespielchen treten zurück. Es kommt einfach nicht aufs Geschlecht, die Herkunft oder die sexuelle Orientierung an – es geht nur noch um Kompetenzen, inhaltliche, betriebswirtschaftliche und technische. Und möglichst um eine Kombination aus allem."

Sie warnt vor einem "Kulturkampf" in den Redaktionen zwischen Journalistinnen und Journalisten mit Digitalfokus und solchen, die noch an der Zeitung hingen: "Der Kulturkampf macht mir Sorgen." Die Chefredaktionen müssten den Wandel zum Digitalen entschlossen vorantreiben.

Ein Herz und eine "Krone"

Funke-Verlegerin Becker hat offenkundig eine Gesprächsbasis mit Christoph Dichand gefunden. Nach jahrzehntelangem Streit der "Krone"-Gesellschafter über das Sagen bei Österreichs größter Tageszeitung und vor allem über ihre Gewinne ist das ein neuer Umgang. Doch an den Verträgen und den Vorrechten für die Dichands ändert das nichts – sie garantieren den Dichands etwa Gewinne in jedenfalls hoher einstelliger Millionenhöhe, die nötigenfalls die Funke-Gruppe überweisen muss. Die Funke-Gruppe hat diese Regelungen vielfach, aber bisher ohne Erfolg vor Gerichten und Schiedsgerichten bekämpft. Seit 2019 hat Funke bei ihren Österreich-Beteiligungen Immobilienmilliardär René Benko als Partner an Bord – der ihre Anteile ganz übernehmen will, aber ohne die Verpflichtungen gegenüber den Dichands.

Bei den Medientagen in Wien bezeichnet Becker die Beteiligungen an "Krone" und "Kurier" nun als "Herzensangelegenheit", als "strategisch wahnsinnig wichtigen Teil für mein Unternehmen". Man lebe in einer "Partnerschaft" in "jahrzehntelanger Tradition".

Am Rande der Medientage traf Becker Christoph Dichand wieder zu einem größeren persönlichen Meeting. Dichand hat bei einem Besuch Beckers im Juni 2022 von einem möglichen "Frieden" gesprochen. Darüber dürften Becker und Dichand weiterhin reden.

"Außerhalb des Gerichtssaals nicht wahnsinnig eingemischt"

"Wir Deutschen sind nicht damit aufgefallen, dass wir uns – außerhalb des Gerichtssaals – wahnsinnig in das operative Geschäft hier einmischen", sagte Becker. Sie würde aber gerne ihre Erfahrungen hier einbringen, "was wir in unserem Haus erlebt und durchlitten haben".

Sie fühle sich der unternehmerischen Verantwortung auch für die österreichischen Beteiligungen verpflichtet, sie würde sie auch "tatsächlich wahrnehmen und leben".

"Wirkungstreffer"

Becker ist seit 2018 Verlegerin und Aufsichtsratsvorsitzende der Funke-Gruppe. Ihr als Eigentümerin sei in der Funktion anfangs als "jungem Gesicht" unterstellt worden, sie sei "nicht ausreichend in der Lage, die Themen voranzutreiben".

Seither habe sie "den einen oder anderen Wirkungstreffer" gelandet. Sie könnte damit eine grundlegende Neuaufstellung der Funke-Geschäftsführung ebenso meinen wie den Austritt aus dem deutschen Verlegerverband aus Protest gegen Springer-Vorsitzenden Mathias Döpfner als Verbandspräsident und die Unternehmenskultur bei Springer.

Und das werde "so bleiben", sagt sie gleich nach den "Wirkungstreffern". (fid, 22.9.2022)