Explosionen, Schwertkämpfe und Sprünge aus größer Höhe – der Arbeitsalltag von Wolfgang Cerny birgt viele Verletzungsgefahren.

Foto: Amer Mohamad

Als Pazifist schmerzt Cerny die Lage in der Ukraine.

Foto: Amer Mohamad

Explosionen, Schwertkämpfe und Sprünge aus größer Höhe – der Arbeitsalltag von Wolfgang Cerny birgt viele Verletzungsgefahren. Der dick einbandagierte Daumen bei unserem Gespräch stammt aber nicht von den Stunts, die der Actionfilm-erprobte Schauspieler selbst hinlegt, sondern vom Aufbau eines Regals in der neuen Wohnung. Der 38-Jährige ist vor kurzem mit Frau und Sohn nach Österreich übersiedelt. Grund für die Rückkehr in die Heimat war die Situation in der Ukraine.

Neu in Österreich

Cerny lebte die vergangenen zehn Jahre in Moskau, verließ wie viele andere Expats kurz nach Kriegsbeginn Russland. In seiner Wahlheimat hatte er die große Filmkarriere als Actionheld hingelegt und nahm auch bei der russischen Version von "Dancing Stars" teil, kurzum: Wolfgang Cerny war in Moskau ein Star. In Wien kennt ihn kaum jemand. Hier versucht er gerade, wieder Fuß zu fassen. Er treffe sich mit Casting-Agenten und Produzenten, baue sich ein Netzwerk auf, erzählt der Schauspieler. "Ich bin neu in Österreich. Mich kennen nur manche von früher. Die anderen fragen sich vielleicht: ‚Na, kann der was?‘ Aber wenn sie merken, dass ich einerseits viel Erfahrung mitbringe, andererseits noch nicht durch alle Gassen gejagt wurde, kann das spannend für sie sein."

"Ich konnte es nicht glauben, als mir meine Frau eines Morgens erzählte, dass die russischen Truppen die Grenze zur Ukraine überschritten haben."

Wolfgang Cerny

Überlegungen, den Lebensmittelpunkt an Cernys Geburtsort zu verlegen, gab es schon länger: der anderthalbjährige Sohn Leonhard soll in Österreich aufwachsen. Durch den Krieg zwischen Russland und der Ukraine fiel die Entscheidung für den Umzug aber schneller als gedacht. "Ich konnte es nicht glauben, als mir meine Frau eines Morgens erzählte, dass die russischen Truppen die Grenze zur Ukraine überschritten haben", erinnert sich Cerny an den schicksalhaften 24. Februar 2022. Niemals hätte er gedacht, dass die militärischen Drohgebärden tatsächlich eskalierten. Große Teile der internationalen Community verließen das Land innerhalb weniger Tage. Trotz zahlreicher Flugstreichungen gelangten die Cernys Anfang März schließlich nach Wien: "… mit vier Koffern und einem Kinderwagen. Wir haben erst mal eine Airbnb-Unterkunft gebucht, wollten zuwarten, wie sich die Situation entwickelt." Mittlerweile dauert der Krieg in der Ukraine schon über ein halbes Jahr lang. Die junge Familie hat in Moskau alle Zelte abgebrochen und in Wien neue aufgeschlagen.

"Anfangs fühlte ich mich auf der Bühne immer zu groß und zu breit. Ich hatte die Vorstellung, dass nur ausgemergelte Schauspieler interessante, abstrakte Charaktere darstellen können."

Wolfgang Cerny

Auch den Grundstein seiner Karriere legte Wolfgang Cerny in seiner Heimatstadt Wien. Schon in jungen Jahren fasste er den Entschluss, Schauspieler zu werden. Actionfilme mit Arnold Schwarzenegger entfachten die Leidenschaft für den Beruf. Die Streifen schaute er im Originalton, um Englisch zu lernen. Ob Schwarzenegger mit seinem starken Akzent der beste Lehrmeister gewesen ist, sei dahingestellt. Trotzdem wurde Cerny nach der Matura an der Schauspielschule American Academy of Dramatic Arts in Los Angeles angenommen. Der dortige Lehrplan war ihm aber zu dünn, die finanzielle Belastung zu hoch. Glücklicherweise hatte er auch eine Zusage vom Konservatorium Wien, wo er schließlich Schauspiel studierte. "Anfangs fühlte ich mich auf der Bühne immer zu groß und zu breit. Ich hatte die Vorstellung, dass nur ausgemergelte Schauspieler interessante, abstrakte Charaktere darstellen können." Cerny, der ein Sportgymnasium besucht hatte, passte so gar nicht in dieses Bild. Musste er auch nicht, schließlich hatte er nicht die Bühne, sondern das Filmset im Auge.

Zur Seifenoper nach München

Nach seinem Studienabschluss 2009 wurde Cerny zu einem Casting für die ARD-Seifenoper "Sturm der Liebe" nach München eingeladen. "Ich kannte das Format Telenovela vorher gar nicht. Ich wusste nur, dass dort ein wahnsinnig hohes Arbeitspensum herrscht." Umso überraschter sei er gewesen, als er wenige Tage später eine Zusage erhielt. So spielte Wolfgang Cerny in der fünten Staffel der Erfolgsserie den Manager Lukas Zastrow. "Es war eine schöne und lehrreiche Zeit. Ich hatte in dem einen Jahr 220 Drehtage", erinnert er sich. Nachdem die Staffel im Kasten war, stand er in München auf der Bühne der Kammerspiele und der Schauburg, wo er zwei Jahre lang Teil des Ensembles war.

"Mir war gar nicht bewusst, wie groß dieser Filmmarkt ist. Man orientiert sich immer nur Richtung Westen nach Hollywood."

Wolfgang Cerny

Es zog ihn aber doch wieder zum Film. Nach einigen kleineren Rollen kam 2012 eine Anfrage aus Russland. "Mir war gar nicht bewusst, wie groß dieser Filmmarkt ist. Man orientiert sich immer nur Richtung Westen nach Hollywood", sagt Cerny, der im TV-Achtteiler "Snipers" einen deutschen Wehrmachtssoldaten spielen sollte. Doch nach dem Vorsprechen bot man dem Österreicher plötzlich die Hauptrolle, den deutschen Aristokraten Alexander von Foss, an. Er müsse bloß eine sechsseitige Szene auf Russisch einstudieren. "Dabei hatte ich überhaupt keine Vorkenntnisse in der Sprache", lacht Cerny. Er habe einen russischen Kollegen gebeten, ihm den Text vorzulesen, um sich die richtige Aussprache lautmalerisch zu notieren und die Szene auswendig zu lernen. Am Set vermittelten Dolmetscher zwischen Regisseur und Schauspieler. Das klappte ganz gut.

Florierender russischer Filmmarkt

Nach diesem ersten Erfolg setzte Cerny weiterhin auf den florierenden russischen Filmmarkt, nahm sich einen Agenten in Moskau, zog in die russische Hauptstadt und lernte die Sprache. So ergatterte Wolfgang Cerny in den folgenden Jahren zahlreiche Rollen und wurde allmählich zum Star in seiner Wahlheimat. Spätestens seit seiner Teilnahme am TV-Reality-Wettbewerb "Lednikovyy period" (zu Deutsch: "Eiszeit") im Jahr 2020 ist er einem breiten russischen Publikum bekannt. Es handelt sich um ein ähnliches Format wie Dancing Stars im ORF, nur dass sich die Paare, bestehend aus Promi und Profi, im Eiskunstlauf beweisen müssen. Wolfgang Cerny und Oxana Domnina schafften es damals sogar ins Finale. Im Film präsentiert sich der heute 38-Jährige hingegen weniger elegant. Seine letzten Rollen zeigen ein kohärentes Rollenprofil: In "Red Ghost" spielt er den SS-Hauptsturmführer Braun, in "Legends of Sambo" mimt er eine Kampfsport-Koryphäe und in der Netflix-Serie "Vikings: Valhalla" ist er als Wikingerkrieger zu sehen.

"Früher war ganz klar abgesteckt, was ein Bub ist und macht. Ob das gut oder schlecht ist, sei dahingestellt. Aber es gab den Kindern Sicherheit."

Wolfgang Cerny

Sein Kindheitstraum, ein Leinwand-Actionheld zu werden, hat sich also erfüllt. Die Figuren, die er spielt, könnte man durch die Bank als "richtige Männer" bezeichnen. Hat Wolfgang Cerny privat ein ähnliches Verständnis von Geschlechterrollen? "Für mich ist ein Mann jemand, der seine Familie beschützen kann – auch physisch. Natürlich kann auch eine Frau diese Funktion übernehmen, aber ich als Mann möchte das erfüllen können", sagt Cerny. Berufsbedingt ist er aber oft weit weg von seiner Familie. Dann kümmert sich seine russische Ehefrau Victoria, die in Moskau Events für Luxusmarken ausgerichtet hat, um Söhnchen Leonhard. Ist Wolfgang Cerny zu Hause, verbringt er möglichst viel Zeit mit dem Nachwuchs, der dreisprachig aufwächst. "Meine Frau und ich sprechen englisch miteinander, das geben wir auch unserem Sohn mit. Sie spricht mit ihm russisch, ich deutsch", erklärt Cerny. Klare Regeln sind ihm als Vater wichtig. Sie würden Kindern Sicherheit geben. Was bei "Messer, Gabel, Schere, Licht" durchaus legitim erscheint, legt der Schauspieler aber auch auf andere Lebensbereiche um: Die Prämisse "Alles kann, nichts muss" könne unter Umständen zu Verwirrungen führen. "Früher war ganz klar abgesteckt, was ein Bub ist und macht. Ob das gut oder schlecht ist, sei dahingestellt. Aber es gab den Kindern Sicherheit", findet Wolfgang Cerny, der im Gegensatz zu den meisten seiner Filmfiguren selbst zu keiner Waffe greifen würde.

Neue Perspektiven

Als Pazifist schmerze ihn die Lage in der Ukraine umso mehr. "Es tut mir so leid, was die Bevölkerung dort ertragen muss", sagt er. Als Österreicher, der zehn Jahre in Moskau gelebt hat, kennt Wolfgang Cerny beide Seiten des Konflikts: Hier werde in den Medien vom "großen Aggressor Russland" gesprochen, dort hingegen dominiere das Narrativ der "Verteidigung gegen die immer näher rückende Nato". Richtig Stellung beziehen möchte der Schauspieler in der Sache aber nicht. Schon Ende Februar habe ihm sein Manager dazu geraten, keine öffentlichen Statements zu dem Thema zu geben. "Einige Kollegen in Moskau äußerten Kritik an Russlands Vorgehensweise und sind mit wehenden Fahnen untergegangen. Die sind jetzt die Leidtragenden. Denen hilft niemand, nicht in Russland, aber auch nicht im Westen", sagt Cerny. Auch er selbst hat mit Moskau und dem russischen Filmmarkt abgeschlossen. Er hat sein ursprüngliches Ziel, Hollywood, wieder ins Auge gefasst und bereits einen Agenten in Los Angeles engagiert. Ob er im Westen als Filmactionheld genauso erfolgreich sein wird wie im Osten, wird die Zeit zeigen. Die Heimwerkerverletzung an Cernys Daumen ist bis dahin jedenfalls sicher wieder verheilt. (Michael Steingruber, RONDO, 22.9.2022)