Die "Filmfamilie" bei der Arbeit: Filmdrehs verlangen den Mitarbeitenden einiges ab, Grenzübertritte sind Teil des Systems. Doch es regt sich immer öfter Widerstand.

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Meike Lauggas ist Koleiterin der Beratungsstelle #we_do!.

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Die Filmbranche ist im Aufbruch. Im Juni dieses Jahres hatte ein Posting der Regisseurin Katharina Mückstein eine Welle an Reaktionen hervorgerufen, die den Sexismus in der Branche anklagten. Auch die Vorwürfe gegen die Ulrich-Seidl-Filmproduktion am Set von Sparta und die Einrichtung von Vera*, einer neuen Vertrauensstelle für Kunst und Kultur, haben das Thema Arbeitsethik unter das Brennglas gerückt.

Bereits seit 2019 besteht #we_do!, eine Anlauf- und Beratungsstelle für Filmschaffende. Sie wird von der selbstständigen Beraterin Meike Lauggas und dem Gesundheitspsychologen Daniel Sanin betrieben. "Unabhängig, sichtbar und niederschwellig" sollte die Stelle sein, nachdem 2017 der erste Versuch gescheitert war, drei prominente Personen aus der Branche als Vertrauenskontakte zu etablieren. Innerhalb eines Jahres traf dort nur eine Meldung ein.

Falsche Schlüsse

Doch der damals gezogene Schluss, es gäbe kein Problem in der Branche, sei schlichtweg falsch gewesen, sagt Meike Lauggas. Sie ist Podiumsgast bei der Veranstaltung "Filmkultur: #MeToo & Diversität", die Freitagabend in Wien stattfindet. In der Diskussion wird sie mit Personen aus der Branche über die Frage diskutieren, welche Kultur in der Filmbranche vorherrscht. Der Standard hat sie vorab um eine Einschätzung gebeten.

"Ich bin nicht Teil der Branche", betont Lauggas. Aber aufgrund der dreijährigen Erfahrung als Beraterin und Workshopleiterin bei #we_do! sieht sie verschiedene Probleme hinsichtlich der herrschenden Arbeitsrealität an Filmsets. Die wochenlange Arbeit in einem kleinen Team führe oft zu einer Normalisierung des Ausnahmezustands. Darunter leiden "normale" Regeln wie Arbeits- und Ruhezeit sowie das respektvolle Miteinander. Dies sei aber auch mit einem "Kick" verbunden, mit dem Gefühl, etwas Besonderes zu sein, "man macht ja Kunst, ist eine Filmfamilie".

Patriarchale Muster

Diese Familie funktioniere häufig nach patriarchalem Muster: "In der Mitte der Regisseur oder die Regisseurin als Despot respektive Despotin, drumherum der engere Kreis. Der Druck wird dann von einer Ebene auf die nächste weitergegeben, entsprechend dem Machtgefälle."

Große Machtgefälle, prekäre Abhängigkeiten und die Identifikation mit den Stärkeren machen daraus eine komplexe Situation. Hinzu komme die Ansicht, dass sich eine diskriminierte Person, am besten sofort, selbst wehren oder dass sie es schlichtweg aushalten müsse.

Heikle Gemengelage

Diese Gemengelage bezeichnet Lauggas als "Verstrickung". Sie erschwert es, am Set offensiv gegen Missverhalten aufzustehen. Deshalb steht #we_do! nicht nur Betroffenen von Diskriminierung offen, sondern auch bei Meldungen von problematischen Arbeitssituationen – denn Übergriffe und arbeitsrechtliche Übertretungen gehen oft Hand in Hand. Auch die Begriffe "Opfer" und "Täter" verhindern eine differenzierte Herangehensweise. Denn, so Lauggas, "wir sind gesellschaftlich in diskriminierenden Strukturen aufgewachsen, darin unterschiedlich positioniert, Situationen sind oft kompliziert und widersprüchlich. Wir sprechen daher von Betroffenen eines Vorfalls und von Verursachenden oder Beschuldigten."

Auf die Frage, von wem Übergriffe und Diskriminierungen ausgingen, verweist Lauggas auf die Diskriminierungs- und Gewaltforschung: "Es handelt sich grundsätzlich um Personen, die sich im Recht sehen, sich selbst zu erhöhen und andere abzuwerten, zu dominieren, zu demütigen und auszubeuten."

Freibrief für Genies

An Filmsets herrsche meist eine hohe Machtakkumulation, die nicht überprüft werde und kein Korrektiv habe. "Das ist ein Freibrief für das sogenannte Genie." Und wer sind die Leidtragenden? "Von sexuellen Übergriffen sind vor allem Frauen (cis und trans) betroffen, junge Frauen fast ununterbrochen, auch wenn sie es nicht so wahrnehmen", so Lauggas, und weiter: "Rassismus, Sexismus, Homophobie usw. unterliegen einem Tabuisierungsdruck, denn der Großteil geht davon aus, dass es diese in der Filmbranche nicht gibt. Das erschwert jede Thematisierung und Veränderung."

Durch Informationsarbeit, #MeToo und die mediale Aufmerksamkeit für den Fall Seidl habe sich zuletzt viel bewegt. Gerade in den Workshops für verschiedene Berufsgruppen ist eine "große Offenheit hinsichtlich der eigenen, unbewussten Voreingenommenheit zu spüren, ebenso die Bereitschaft es richtig, gut und besser zu machen".

Schließlich gehe es darum, nicht alle Last bei den Betroffenen abzuladen ("Die sollen Namen nennen, die sollen sich wehren"), sondern um das Hinterfragen von Selbstverständlichkeiten: "Was reflektieren wir nicht, wo schauen wir nicht hin, wo schließen wir von uns selbst auf andere, und was muss geändert werden?" (Valerie Dirk, 23.9.2022)