Sie gehört zu den größten Themenschauen, die das Mumok je ausrichtete: Die Ausstellung "Das Tier in Dir" bietet allerdings wenig Pixi-Buch-Niedlichkeiten. Hier das Gemälde "Begegnung" von Herman Prigann.

Foto: Mumok/Deinhardstein

Gleich hinter der Drehtür des Mumok wartet eine knallblaue Plüschspinne in der Größe eines Family-Vans. Hinter ihr marschieren Ameisen auf rotem Hintergrund – ein Video von Peter Kogler. Und wer, von so viel Krabbeln und Farbe neugierig geworden, die Ausstellung Das Tier in Dir betritt, bekommt ein Büchlein im Pixi-Format, in das sich ("Dieses Buch gehört …") der eigene Name eintragen lässt. Eine Erlebniswelt für groß gewordene Kinder?

Ausstellungsansicht mit Riesenspinne.
Foto: Stephan Wyckoff

Ja, vielleicht, auch das. Natürlich könne man mit kindlichem Blick und auch mit Kindern durch die Ausstellung gehen, Spinnen zählen und Katzen suchen, erklären die Kuratorinnen der Ausstellung, Manuela Ammer (Mumok) und Künstlerin Ulrike Müller, beim Pressetermin. Der schnelle Konsum der Schauwerte ist möglich und erlaubt. Doch wirklich Sinn macht diese Ausstellung – die mit 280 Exponaten aus der hauseigenen Sammlung und 120 Leihgaben zu den größten Themenschauen zählt, die das Mumok je ausrichtete – vor allem, wenn man sich auf den Subtext einlässt.

Die Ausbeutung im Blick

Und Subtext gibt es jede Menge: Da ist etwa das Ölgemälde Wo sind die Rehe geblieben (1993) der aktuell so gehypten österreichischen Malerin Maria Lassnig. Darauf zu sehen ist ein Rehkörper, dem die eigene Nachnutzung bereits eingeschrieben ist: Zwar noch mit Fell bewachsen, formt sich der Leib bereits zum Kotelett, und über den Augen liegt das Krickerl, jenes Schädelstück mit Geweih, bloß, das man als Jagdtrophäe kennt. Der Blick des Menschen auf das Tier kann ein unerbittlicher, ausbeuterischer sein.

Noch konkreter wird die menschliche Verwertung tierischer Kadaver in der Schlachthausserie der Wiener Fotografin Madame d’Ora. Die Schwarz-Weiß-Prints (eine Schenkung des Verlegers Hans Dichand) zeigen einen neuen, industriellen Maßstab der Tötung und entstanden wohl nicht zufällig in den Nachkriegsjahren 1946 bis 1948.

Keine Niedlichkeiten

Spätestens hier wird klar, dass diese Ausstellung wenig Pixi-Buch-Niedlichkeit bietet. Stattdessen tierische Begierde in Cagnaccio di San Pietros Ölbild Zoologia (1928), das auch als Werbesujet für die Ausstellung dient. Eine Frau und ein Mann (der Künstler selbst) nackt im Bett. Seine Arme pressen ihre auf die Matratze. Ist der Akt einvernehmlich oder gewaltsam? Ein Vexierbild und Beitrag zur #MeToo-Debatte. Entstanden fast 100 Jahre bevor es sie gab.

Gülsün Karamustafas Video "The City and the secret Panther Fashion" ("Die Stadt und das Geheimnis der Panther Mode") von 2007.
Foto: Gülsün Karamustafa, Photo: Serra Gulyuz

Als Vexierbilder, die ihre Ambivalenz erst auf den zweiten Blick offenbaren, fungieren einige der in der Ausstellung präsentierten Positionen. Darunter Mutterschaft, eine 30-sekündige geloopte Videoarbeit der Wiener Fotografin Anna Jermolaewa. Mitgebrachte Kinder werden sich an der herzigen Szene freuen: Eine Hündin säugt ihre Welpen. Doch wer genau hinschaut, erkennt, dass das Tier zwischen den Mäulern der Jungen und einer fütternden Menschenhand eingespannt ist wie in einen Schraubstock. Mutterschaft ist ein feministisches Manifest.

Die einprägsamsten Werke dieser Schau stammen von österreichischen Künstlerinnen (mit Betonung auf der weiblichen Endung): von der erwähnten Maria Lassnig, Kiki Kogelnik, die zwei halbnackte Bubikopf-Damen im Flirt mit einer Schlange zeigt (Triangle, 1975), oder Isolde Maria Joham, deren imposantes XXL-Gemälde Cape Canaveral (1981–1982) Genremomente aus dem Western und Science-Fiction-Film vereint: Cowboys und Pferde fliehen vor einer startbereiten Rakete. Vielleicht ist die Zukunft archaischer, als wir glauben.

Panorama an Positionen

Doch auch als Panorama künstlerischer Positionen seit der Moderne, der sich das Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig mit seiner Gründung am 21. September 1962 verschrieben hat (man feiert 60-jähriges Jubiläum), funktioniert die Ausstellung gut.

Otto Mühls aus heutiger Sicht machoïde Materialaktion am weiblichen Körper (Leda mit dem Schwan, 1964) kann hier in Dialog treten mit Valie Export, die Peter Weibel an der Leine führt (Aus der Mappe der Hundigkeit, 1968). Zugleich korrespondieren Werke heimischer Herkunft mit internationalen Arbeiten.

"Aus der Mappe der Hundigkeit": Valie -Export-Aktion von 1968.
Foto: VALIE EXPORT / Bildrecht, Wien 2022

Niki de Saint Phalle meets Mike Kelley meets Georg Baselitz meets Gerhard Rühm (der dem Mumok gerade den Kern seines bildnerischen Vorlasses schenkte).

In der Zusammenschau nähern sie sich der Frage an, was passiert, wenn hartes Material auf weiches trifft, Krallen auf Plüsch, Aggression auf Passion, Intellekt auf Instinkt. Oder anders gefragt: Wie wirkt das Tier in dir? (Maya McKechneay, 23.9.2022)