Klimaschutz ist für Joschka Fischer ein Herzensanliegen, auch wenn der Ukraine-Krieg derzeit alles überlagert.

Foto: robert newald

Er kommt in Jeans und blauem Sakko zum Interview; die weißen Turnschuhe, mit denen so manche Joschka Fischer, den früheren deutschen Außenminister und Vizekanzler, noch immer in Verbindung bringen, stehen längst im Ledermuseum in Offenbach.

STANDARD: Verspielt Europa gerade seine Zukunft wegen der hohen Energiepreise, die wir alle zahlen müssen?

Fischer: Es ist eine große Herausforderung. Vor allem der kommende Winter wird hart. Aber mit der notwendigen innergesellschaftlichen und innereuropäischen Solidarität werden wir das schon hinkriegen.

STANDARD: Der Wohlstand in Europa beruht aber zu einem nicht unwesentlichen Teil auf günstiger Energie. Das müssen wir uns jetzt wohl für längere Zeit abschminken.

Fischer: Ich erinnere mich, das bringt das Alter mit sich, an die Ölpreiskrise in den 1970er-Jahren. Da gab es schon einmal so eine Debatte. Im Rückblick kann man sagen, dass wir gut durchgekommen sind. Die Amerikaner haben an den alten Technologien festgehalten und die Preise gesenkt. Wir Europäer und auch die Asiaten haben hingegen auf technische Innovation gesetzt. Und es zeigt sich, es war die richtige Entscheidung. Ich denke, wir werden auch die aktuelle Herausforderung annehmen und Antworten finden.

STANDARD: Wie können europäische Unternehmen wieder auf Augenhöhe mit Produzenten beispielsweise in den USA kommen, die einen deutlich günstigeren Zugriff auf Energie haben?

Das Zeitalter der fossilen Energien ist vorbei, Innovationen sind gefragt, meint Joschka Fischer.
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Fischer: Wir werden das nur durch technologische Innovation schaffen. Die Vorstellung, es ginge mit fossilen Energieträgern noch längere Zeit so weiter, ist angesichts der Klimakrise naiv. Und der Zeitdruck, unter dem wir im Kampf gegen die Erderwärmung stehen, ist enorm.

STANDARD: Wie sehr schmerzt es zu sehen, wie Gas in Russland abgefackelt wird, weil der Westen offenbar knapp gehalten werden soll und die dortigen Speicher randvoll sind?

Fischer: Russland wird neben den vielen Problemen, die Präsident Putin schafft, noch ein weiteres bekommen, weil Europa der wichtigste Markt und die die wichtigste Einkommensquelle für das Land ist.

STANDARD: Aber aus Klimasicht ...

Fischer: ... ist es fatal. Die Überlegung war ja, Gas als Übergangstechnologie zu nutzen. Die Versorgungskrise, vor der wir jetzt stehen, lenkt natürlich sehr stark vom Kampf um den Klimaschutz ab.

STANDARD: Ab welchem Moment stand für Sie fest, dass Putin Gas als Erpressungsmittel einsetzt?

Fischer: Das war 2009. Da gab es erstmals eine völlige Unterbrechung der Gaslieferungen nach Europa. Das Argument war, die Ukraine zweige Gas aus den Leitungen ab. Spätestens da war mir klar, welche Stunde geschlagen hat.

STANDARD: Sie haben den russischen Präsidenten in Ihrer aktiven Zeit als deutscher Außenminister fast fünf Jahre lang erlebt, konkret von 2000 bis 2005. Welches Gefühl im Umgang mit Putin hatten Sie?

Fischer: Ich habe ihm sehr genau zugehört, und mir war klar, dass er eine Revision der Ergebnisse des Endes des Kalten Krieges wollte. Sein Satz, dass die Auflösung der Sowjetunion das größte weltpolitische Unglück des 20. Jahrhunderts war, habe ich ernst genommen. Dieser Revisionismus durch Putins Politik hat uns dahin geführt, wo wir heute sind. Es ist aber nicht nur Putin, es ist ein großer Teil der ökonomischen und politischen Eliten, der so denkt.

STANDARD: Sie haben das damals ernst genommen, der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder von der SPD scheint das noch immer nicht ernst zu nehmen.

Fischer: Wir waren und sind da gegenteiliger Auffassung, mehr möchte ich dazu nicht sagen.

STANDARD: 2002 gab es eine Willensbekundung, alternativ zu russischem Gas Bezugsquellen im Kaspischen Raum zu mobilisieren – das Projekt Nabucco unter Federführung der OMV. Sie selbst haben 2009 in einer Beraterfunktion versucht, das Projekt zu retten – vergeblich. Was waren die Gründe?

Fischer: Eine Diversifizierung schon damals wäre sinnvoll gewesen, aber es war nicht gewollt, speziell nicht in Berlin. Und eines habe ich auch gelernt aus den damaligen Erfahrungen: Ein so großes, strategisches Energieprojekt kann nicht auf privatwirtschaftlicher Basis gestemmt werden. So verdienstvoll die Akteure damals auch waren, es hat ihre Kräfte überfordert. Kapital ist das eine, politische Unterstützung das andere. Die hat aber gefehlt.

STANDARD: Die Rede ist auch vom langen Arm Putins – sprich dem Gazprom-Konzern, der alle Hebel in Bewegung gesetzt habe, das Projekt zu hintertreiben?

Fischer: Und er hat willige Helfer im Westen gefunden.

STANDARD: Nun sollen es die erneuerbaren Energien richten. Begeben wir uns da nicht erst recht wieder in neue Abhängigkeiten, in dem Fall insbesondere von China?

Fischer: Bei weitem nicht so wie das bei russischem Gas der Fall war. Aber da sind Fehler passiert in der Vergangenheit. Während die Chinesen ihre Solarindustrie in Zeiten, als Deutschland noch führend war, massiv subventioniert haben, ließ man bei uns wichtige Unternehmen Pleite gehen – und die Chinesen haben übernommen.

Sieht bei erneuerbaren Energien keine vergleichbaren Abhängigkeiten Europas von China wie bei Gas von Russland: der frühere deutsche Außenminister und Grünen-Politiker Joschka Fischer.
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STANDARD: Aus und für immer vorbei?

Fischer: Nein. Die Technologie ist nicht so kompliziert und wir haben auch noch die Kapazität. Die Abhängigkeit von China in anderen Sektoren ist wesentlich kritischer als bei den Erneuerbaren, Stichwort Grundstoffchemie oder Autoindustrie. Und das betrifft nicht nur Deutschland, sondern viele andere Länder in Europa.

STANDARD: Welche Chance sehen Sie inmitten dieser multiplen Krisen, die Erderwärmung im Auge zu behalten?

Fischer: Im Moment überlagert der Krieg sehr viel, aber auf mittlere Sicht kann die Ukraine-Krise durchaus eine Chance sein.

STANDARD: Inwiefern?

Fischer: Dass die Europäer unter dem Diktat immens hoher Preise für Strom und Gas, dem Zwang, Energie einsparen und generell eine Verhaltensänderung vornehmen zu müssen, eine Art Erfahrungsvorsprung generieren. Eine solche Erfahrung kann im Kampf gegen die Klimakrise sehr hilfreich sein.

STANDARD: Wie sehr schmerzt es Sie, wenn so viel Frackinggas in verflüssigter Form als LNG jetzt nach Europa kommt?

Fischer: Kurzfristig ist die Unterbrechung der russischen Gaslieferungen eine große Herausforderung für Europa, wir brauchen schnellstmöglichen Ersatz. Auf mittlere Sicht allerdings werden wir damit fertig werden. Wenn wir massiv in Erneuerbare investieren, werden wir aus dieser Zwickmühle herauskommen, das ist unsere Zukunft. (INTERVIEW: Günther Strobl, 23.9.2022)