Roger Federers 20 Grand-Slam-Titel sind verteilt auf Melbourne (6), Paris (1), Wimbledon (8), New York (5).

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Ein gigantischer Sportler wie Roger Federer hat sich zum Abschied gigantische Zuschreibungen verdient. Weltweit würdigten Zeitungen den 41-Jährigen in den vergangenen Tagen als Gentleman, Genie, Größten seines Fachs. Federer ist der Graziöse, heißt es, der Herr der Leichtigkeit. Er ist Stilist, Ikone, ein Meister.

In den USA nennen sie ihn King Roger, Mister PeRFect oder G.O.A.T., Greatest Of All Time. Die Franzosen sagen schlicht Monsieur Tennis, die Italiener wiederum finden, Federers Tennis zählt zur klassischen Kunst. Für die Schweiz ist er ein Weltsportler, eine Lichtgestalt. Und ein Geschäftsmann, bei dem man sich fragt, ob er noch Multimillionär oder schon Milliardär ist. Federer ist für sie eine Legende, ein Künstler, ja, der Maestro.

Prämiert von Fans und Kollegen

Nach mehr als zwei Jahrzehnten im Profitennis tritt Roger Federer am Freitagabend zum letzten Mal in einem Bewerbsspiel an. Beim gewaltig inszenierten Showturnier Laver Cup, das er mit seiner Managementagentur Team8 selbst kreierte, tritt er für das Team Europa an. Mit seinem langjährigen Rivalen Rafael Nadal bildet er ein Doppel. Es ist das zweite Match nach 20 Uhr, Eurosport überträgt live.

Federer beendet seine Karriere wegen anhaltender Knieprobleme. Details zu seiner Gesundheit behält er für sich. Man weiß nur, Federer hat mehrere Operationen hinter sich. "Für ein Leben nach dem Sport", wie er sagt. Das Alter hat ihn eingeholt, obwohl er alles probierte, um noch einmal Tempo aufzunehmen. Ein letzter gemächlicher Aufbau, um auf Wettkampfniveau zu kommen. Nun stellt er klar: Es geht nicht mehr.

Die Sportwelt ist traurig, weil der Schweizer aufhört. Denn: Auf Roger Federer konnten sich alle einigen. Er wird überall geliebt. In einer Abstimmung unter Fans wurde er 19 Jahre in Serie zum beliebtesten ATP-Spieler gekürt.

Natürlich hat das in erster Linie mit seinem Können zu tun. Wie kein Zweiter lässt Federer Tennis anmutig aussehen. Sein spektakulärster Schlag, die einhändige Rückhand, steht sinnbildlich dafür. Ein unscheinbares Detail meisterte Federer am besten. Der Ballwurf vor dem Aufschlag war so konstant, würde man ihn 100-mal beim Service fotografieren, ergäbe sich kaum ein Streubild. Gegner erkennen nicht, wohin Federer serviert. Er spielte stets nah an der Grundlinie, schlug viele Bälle knapp nach dem Aufsprung als Halbvolley; was den Schlag eigentlich schwieriger macht, machte Federer nichts aus.

Mit 36 Jahren und zehn Monaten war Federer im Juni 2018 der bisher älteste Weltranglistenerste. Mit 237 Wochen in Folge sorgte er von 2004 bis 2008 für die längste Regentschaft einer Nummer eins der Welt.

Das Doppel, auf das die Tenniswelt am Freitagabend schaut: Rafael Nadal und Roger Federer.
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Vorbild für junge Männer

Tennislegende Billie Jean King, Mitbegründerin der Frauen-Tour, hat eine eigene Erklärung für den Erfolg Federers. "Jeder Tennisprofi hasst eine Niederlage mehr, als er einen Sieg liebt", schreibt sie in ihrer Autobiografie. Mit einer Ausnahme: Roger Federer.

Laut King ist Federer ein Vorbild für junge Männer, weil er Emotionen zulässt. Nach großen Niederlagen sah man Federer weinen. Ebenso wie nach großen Siegen.

Federer hat Selbsthumor, was für Personen in der Öffentlichkeit nie ein Fehler ist. Er lacht darüber, dass er Langschläfer ist, viel zu oft zu spät kommt und nicht kochen kann. Mit Ehefrau Mirka führt er eine glückliche Ehe, die beiden haben zwei Zwillingspärchen, acht und 13 Jahre alt.

Auch unter Kollegen ist Federer hoch angesehen. 13-mal wurde er mit dem Stefan Edberg Sportsmanship Award ausgezeichnet; von allen ATP-Spielern erhielt Federer am meisten Stimmen für seine Fairness, Professionalität und Integrität. In seiner Gefolgschaft bekam Federer viel Anerkennung, weil er von 1749 Matches im Einzel und Doppel kein einziges aufgegeben hat.

Der Kärntner Ex-Profi Stefan Koubek beschreibt Federer im STANDARD-Interview trotz 103 Turniersiegen, davon 20 bei einem Grand Slam, als "überhaupt keinen arroganten Typen". Federer trägt keine Maske, er ist im persönlichen Umgang herzlich. "Er thront ganz oben auf dem Olymp", sagt Koubek. Es ist Federers innere Überzeugung, allen Menschen mit Geduld und Respekt zu begegnen.

Dies machte sich vor allem im Umgang mit Medien bemerkbar. Federer gibt Interviews in Deutsch, Englisch und Französisch. Er bringt immer viel Zeit und gehaltvolle Antworten. Mit seiner Privatstiftung unterstützt Federer Bildungsprojekte in Afrika. Politisch äußerte sich der Schweizer kaum, das wurde ihm nie übelgenommen.

Ein letzter Traum

In den Tagen vor dem Laver Cup kündigte Federer an, künftig nicht völlig von der Bildfläche zu verschwinden. Er wird bei großen Turnieren zu Gast sein. Und er hat noch einen Traum: "Mein großer Wunsch ist es, noch eine Exhibition zu spielen in den nächsten sechs bis neun Monaten, dazu alle meine ehemaligen Coaches einzuladen und Danke und Auf Wiedersehen zu sagen." Alter schützt vor Liebe nicht.

Roger Federer wirkt bescheiden, trägt gleichzeitig Rolex, wird von Mercedes und von Moët & Chandon gesponsert und hat in einen Schuhhersteller investiert. Federer hat so etwas wie ein Lebensmotto, das auf den Menschen hinter dem Superstar wohl am besten zutrifft: "Es ist nett, wichtig zu sein, aber noch viel wichtiger, nett zu sein." (Lukas Zahrer, 23.9.2022)