Sollten die Italienerinnen und Italiener am Sonntag tatsächlich mehrheitlich für das rechte Parteienbündnis aus Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia stimmen, würde das zu einer Marginalisierung Italiens innerhalb der Europäischen Union führen. Davor warnt der ehemalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi und stellt Vergleiche mit dem Jahr 2000 an, als in Österreich die FPÖ von Jörg Haider in die Regierung kam.

Romano Prodi: Ein Wahlsieg von Giorgia Meloni in Italien wäre im EU-Ausland keine gute Nachricht.
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Vor allem die rechtsextremen Fratelli d’Italia der Wahlfavoritin Giorgia Meloni sieht Prodi kritisch: Sie würden das Ansehen Italiens in Europa gefährden. "Im Ausland herrscht große Sorge vor einem Wahlsieg der Rechten in Italien", unterstrich Prodi am Mittwochabend in einem Gespräch mit dem TV-Sender La Sette (La7).

"Als der Rechtsextremist Haider in Österreich gewann, war ich Präsident der Europäischen Kommission", erzählte Prodi, der von 1996 bis 1998 und von 2006 bis 2008 auch italienischer Ministerpräsident war, dieser Tage auch in einem Interview mit der Zeitung La Repubblica. Der damalige französische Staatspräsident Jacques Chirac habe ihn angerufen und EU-Sanktionen gegen Österreich gefordert. Prodi habe das abgelehnt: "Man sanktioniert kein Wahlergebnis, man sanktioniert ein Verhalten." Nach Chirac hätten dann auch andere Staats- und Regierungschefs gegen die neue Regierung in Wien interveniert, der italienische EU-Kommissionspräsident blieb aber "vehement dagegen".

Haider und die Folgen

Das Ergebnis ist jedenfalls bekannt: 14 der damals insgesamt 15 Regierungen der EU-Staaten beschlossen, die bilateralen Beziehungen zu Österreich auf Ebene von Regierung und Diplomatie auf das notwendigste Mindestmaß zu reduzieren. Angetrieben wurden diese Maßnahmen durch die Befürchtung, dass die oft fremdenfeindlichen und rassistischen Äußerungen in der FPÖ künftig auf die mit der ÖVP unter Wolfgang Schüssel betriebene Regierungspolitik abfärben könnten. Erst Monate später wurden diese Maßnahmen nach einem Bericht eines EU-Weisenrates unter Vorsitz des Finnen Martti Ahtisaari zurückgenommen. Österreich wurde in diesen Monaten innerhalb der Union marginalisiert, das Image der Republik in Europa litt jahrelang, auch unter anderen Regierungen.

Die Regierungsbeteiligung der Haider-FPÖ brachte Österreich in Bedrängnis.
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Zeitsprung vom Jahr 2000 ins Jahr 2022: "Dass Meloni die Gefahr eines in Europa marginalisierten Italiens nicht sieht, ist besorgniserregend", warnt Prodi im Interview mit der Repubblica und erinnert an die Worte des im Sommer zurückgetretenen italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi: "Er hat sich sehr deutlich dazu geäußert, dass Italien seine Rolle in Europa nicht verlieren darf und seine Partner sorgfältig auswählen muss, anstatt Beziehungen zu einigen Splitterparteien anzustreben, die sich schwertun, der proeuropäischen Linie zu folgen."

Italiens Risiko

Italien riskiere mit einer Regierung, die von Giorgia Meloni, Matteo Salvini und Silvio Berlusconi angeführt würde, den Status als glaubwürdiger Verhandlungspartner und als attraktiver Wirtschaftsstandort zu verlieren, ist Prodi überzeugt. Die Wahlversprechen des rechten Bündnisses würden zu einer immensen Vergrößerung des ohnehin schon riesigen italienischen Schuldenberges führen.

Ex-EU-Kommissionspräsident Romano Prodi: "Man sanktioniert kein Wahlergebnis, man sanktioniert ein Verhalten."
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Der 83-Jährige sieht im Fall eines Wahlsieges des Bündnisses Meloni/Salvini/Berlusconi zudem außenpolitische Turbulenzen auf Italien, aber auch auf die EU zukommen. So sei unter anderem die Positionierung des Trios zu Russlands Präsident Wladimir Putin alles andere als eindeutig. (Gianluca Wallisch, 22.9.2022)