Teure Entlastungspakete haben an der roten Rhetorik wenig geändert: Die SPÖ mit Pamela Rendi-Wagner an der Spitze ruft ebenso nach mehr wie die mit ihr verbündete Gewerkschaft, die am vergangenen Samstag zur "Preise runter!"-Demo lud.

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Da soll noch wer behaupten, die SPÖ beherrsche das Handwerk der Opposition nicht. Pünktlich zum Herbstauftakt trommelten die Sozialdemokraten den Nationalrat zu einer Aktuellen Stunde zusammen – und erklommen eine neue Stufe der Eskalation. Um der Koalition Versagen in der Teuerungskrise zu beweisen, verwies Frauensprecherin Eva Maria Holzleitner auf einen Pensionisten, der Anfang des Jahres erst seine Frau und dann sich selbst umgebracht habe: "Die Not, dass Menschen sich das Leben nehmen, weil die Bundesregierung nicht reagiert, ist wirklich unfassbar."

Seit Ausbruch der Preisexplosion sind verbale Watschen Routine. Als "zukunftsvergessen", "unverantwortlich" oder "grob fahrlässig" kanzeln die roten Kontrahenten die Koalitionäre ab – und das in Endlosschleife. Bereits Anfang April stellte die SPÖ fest, dass die Regierung nicht willens und fähig sei, den Menschen zu helfen. Im September war dieses Urteil fast wortgleich wieder zu hören.

Bloß: Es lässt sich schwerlich behaupten, dass in den Monaten dazwischen nichts geschehen ist. Auf über 30 Milliarden Euro summieren sich die Maßnahmen mittlerweile, die ÖVP und Grüne unter dem Titel der Antiteuerungshilfe beschlossen haben – das ist im Verhältnis so viel wie kaum in einem anderen europäischen Land. Trotzdem steigt die SPÖ nicht vom Gas und fordert immer mehr.

Konfrontationskurs tut SPÖ gut

Gutes Recht einer Oppositionspartei, um den auch nicht zimperlichen Machthabern Paroli zu bieten? Oder machen die Sozialdemokraten genau das, was sie zu eigenen Kanzlerzeiten stets der FPÖ vorgeworfen haben: die Regierung prügeln, was auch immer sie tut?

Aus parteipolitischer Perspektive bietet sich eine simple Antwort an: Der Zweck heiligt die Mittel. Der Konfrontationskurs in der Inflationsdebatte tut der SPÖ messbar gut. Längst ist die Führung in den Umfragen komfortabel, und auch der Rückhalt für Parteichefin Pamela Rendi-Wagner wuchs. Während der Pandemie hatten sich Genossen noch beschwert, dass die studierte Ärztin an der Spitze lieber selbst die überstrenge Corona-Wächterin spiele, statt die Regierung ins Visier zu nehmen. Derartige Klagen scheinen weitgehend verstummt zu sein.

Vizeklubchef Jörg Leichtfried lässt kaum ein gutes Haar an der koalitionären Politik: "Die Bundesregierung klebt teure Pflaster auf. Gebracht haben diese de facto nichts. Die Einmalzahlungen verpuffen."
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Das liegt auch an der Nummer zwei in der Bundespartei. Vize-Klubchef Jörg Leichtfried wirkt vom Naturell her zwar eher sanft, nimmt der Obfrau aber gerne die Drecksarbeit ab. So geschehen diese Woche, als er den Anheizer für die Nationalratssitzung gab.

"Abgehoben, zynisch, ungerecht"

Als Aufhänger wählte Leichtfried ein Reizthema. Derzeit verhandeln Regierung und Seniorenvertreter, wie weit die Pensionen über das gesetzlich verpflichtende Maß von 5,8 Prozent hinaus steigen sollen. Die Koalition hat bereits ein sozial gestaffeltes Extraplus angekündigt, Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) sprach einmal sogar von acht bis zehn Prozent als Rahmen. Lediglich Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) bürstete ein Stück weit gegen den Strich, wenn auch eher unbestimmt. Nicht jeder ältere Mensch habe die vom roten Pensionistenverband geforderten zehn Prozent nötig, sagte sie unter Verweis auf die "Generationengerechtigkeit."

Leichtfried leitet daraus folgende Interpretation ab: "Die ÖVP macht Politik gegen die österreichischen Pensionistinnen und Pensionisten". Die Notlage der Senioren werde von der Kanzlerpartei ignoriert, "und der grüne Sozialminister schaut zu und schweigt. Das ist abgehoben, zynisch und ungerecht".

Den Kontakt zu den Menschen verloren

Nicht minder plakativ fällt das Urteil über die Teuerungshilfen aus. Da können vom ökosozialen Momentum-Institut bis zur wirtschaftsliberalen Agenda Austria noch so viele Fachleute vorrechnen, dass die vielen Einmalzahlungen die Teuerung für Menschen mit niedrigen Einkommen im Schnitt heuer vollends kompensieren werden – Leichtfried bleibt dabei: "Die Regierung klebt teure Pflaster auf. Gebracht haben diese de facto nichts."

Ob sich das angesichts der vorgelegten Berechnungen wirklich behaupten lässt? "Ich muss das so kalt sagen", erwidert Leichtfried auf Nachfrage des STANDARD: "Wer zu solchen Ergebnissen kommt, hat wahrscheinlich jeden Kontakt zu echten Menschen verloren." In Gesprächen mit verzweifelten Bürgerinnen und Bürgern lerne er eine ganz andere Lebensrealität kennen. Der von bürokratischen Pannen begleitete Energiekostenausgleich über 150 Euro sei erst an zehn Prozent der Bevölkerung ausbezahlt worden, ein ähnliches Chaos drohe bei dem 500-Euro-Klimabonus: "Warten wir ab, wie viele den wirklich bekommen."

Eine schwarz-weiße Welt

Kein bisschen sei die SPÖ auf einen Fundamentaloppositionskurs eingeschwenkt, beteuert Leichtfried: Statt immer nur Nein zu sagen, lege die Partei ein Konzept nach dem anderen vor. Bestes Beispiel sei der Rendi-Wagner-Kern-Plan, laut dem die EU gemeinsam Gas einkaufen und zum gestützten Preis weitergeben soll. Es gehe nicht nur darum, wie viele Milliarden fließen, sagt der Vize-Klubchef, "wir vertreten einen ganz anderen Ansatz, der das Problem bei der Wurzel packt." Längst hätte sich die Regierung in der EU für Markteingriffe starkmachen müssen.

Allerdings datiert das von der Parteichefin und ihrem Vorgänger Christian Kern vorgestellte Konzept auch erst mit Anfang September. Ob es realistisch ist, dass eine SP-geführte Regierung in Brüssel so viel mehr bewegt hätte? "Wer energisch ist, kann viel erreichen", sagt Leichtfried, "ohne Plan hingegen kommt man natürlich nicht weiter."

"Permanentes Regierungsbashing"

Doch nicht jedem Sozialdemokraten präsentiert sich die Welt in solch eindeutigem Schwarz und Weiß. Unbehagen ist im Kreis von Arbeitnehmervertretern zu finden, die um ihre sozialpartnerschaftliche Achse zur Gegenseite fürchten. Präzise Kritik, etwa an der fehlenden Treffsicherheit der Teuerungshilfen, sei höchst angebracht, sagt ein Arbeiterkämmerer, der seinen durchaus bekannten Namen in diesem Zusammenhang nicht in der Zeitung lesen will: "Aber das permanente Regierungsbashing ist nichts als Populismus."

Fundamentalopposition in Rot? Unter Arbeitnehmervertretern sind auch Stimmen zu hören, die den bedingungslosen Konfrontationskurs für überzogen halten.
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Aberwitzig komplex sei die Lage, urteilt der Genosse und identifiziert als Grundübel die historische Fehlentscheidung, die Energieversorgung dem Markt zu überlassen. Es sei alles andere als simpel, da schnell wieder herauszukommen – unter diesen Umständen agiere Türkis-Grün nicht schlechter als andere Regierungen in der EU.

Kein Gedanke an das Morgen

Andere Kritiker stoßen sich an den zusätzlich zu den Regulierungsideen vertretenen Entlastungsplänen. Als teuer, aber nicht zielsicher gilt ihnen die propagierte Mehrwertsteuersenkung: In absoluten Beträgen würden sich gutsituierte Haushalte mehr ersparen als ärmere, im Fall des Sprits kommen noch ökologische Bedenken dazu. Aber dafür lässt sich die Maßnahme halt gut anpreisen.

Die Partei blende das Morgen aus, bekrittelt ein weiterer Arbeiterkämmerer. Werde maßlos Geld verteilt, drohe der nächsten, womöglich rot geführte Regierung der Zwang zur Budgetsanierung. Die SPÖ propagiert für diesen Fall Vermögenssteuern – aber mehr als eine begrenzt ergiebige Erbschaftssteuer zeichnet sich mangels Einigkeit selbst im Fall einer Ampelkoalition mit Grünen und Neos nicht ab. Die Spardebatte werde sich dann um die größten Brocken im Budget drehen, so die Warnung, etwa um Pensionen oder Bildung.

Mahnende Stimmen gehen unter

Doch auch innerhalb der Arbeitnehmervertretung gehen die mahnenden Stimmen unter. Der ÖGB unterstellt der Regierung kaum weniger regelmäßig, die Hände in den Schoß zu legen – und rief am vergangenen Samstag zur "Preise runter!"-Demo. Was auch als Auftakt zu den herbstlichen Lohnverhandlungen gedacht war, spiegle die gestiegene Erwartungshaltung wieder, sagt ein Genosse. Die Überförderungen der Unternehmer in der Corona-Krise habe als Tabubruch gewirkt: "Jetzt will auch die andere Seite so viel."

Vor allem stachelt aber ein Motiv zum Hochlizitieren an. Tief sitzt das Trauma, dass die FPÖ den Sozialdemokraten einst die kleinen Leute als Stammklientel abspenstig gemacht hat. In dieser Krise, ist von der Gewerkschaft bis zur Partei zu hören, müsse der Vormarsch der Rechten scheitern. (Gerald John, 23.9.2022)