Wo und was gebaut wird, wollen die Gemeinden weiter selbst entscheiden. Doch gegen den hohen Bodenverbrauch müsste endlich etwas getan werden.

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Ist die Kompetenz für die Umwidmung von Flächen bei den Gemeinderäten gut aufgehoben? Nein, meinte Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) im STANDARD-Interview. Man müsse diese Praxis, die ein "Irrtum der Geschichte" sei, überdenken, denn die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister seien von "lokalen Interessenlagen" beeinflusst und würden sich gegen kommerzielle Ansprüche nicht ausreichend wehren können.

Die Kritik ist nicht neu, die Diskussion über die Kompetenzverteilung bei der Raumplanung kehrt in unregelmäßigen Abständen wieder. Ebenso altbekannt ist die Verteidigungslinie der Gemeindevertreterinnen. Auch der aktuelle Vorstoß von Rauch wurde von der Spitze des Gemeindebunds in Gestalt von Präsident Alfred Riedl (ÖVP; seit 1985 Bürgermeister von Grafenwörth, NÖ) und Vizepräsident Rupert Dworak (SPÖ; seit 2004 Bürgermeister von Ternitz, NÖ) brüsk zurückgewiesen: Sie machten per Aussendung klar, dass sie nicht daran denken, über diese Frage auch nur diskutieren zu wollen. "Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind am nächsten dran, wenn es um die Gestaltung des unmittelbaren Lebensumfeldes der Bürgerinnen und Bürger geht", heißt es darin. Man würde am besten wissen, "was ins Ortsbild passt", und dann "nach bestem Wissen und Gewissen in Abstimmung mit den Sachverständigen der Länder in den Gemeinderäten über die geeignete Flächenwidmung" entscheiden. Wer das ändern wolle, greife die Gemeindeautonomie an, das werde man "niemals akzeptieren".

"Debatte, die er nicht gewinnen wird"

Schon vor einem Jahr hatte der Gemeindebund ein "Positionspapier" zum Bodenverbrauch verabschiedet, in dem es schlicht heißt: "Die Raumordnungs- und Flächenwidmungskompetenz ist und bleibt hoheitliches Recht der Kommunen." In der aktuellen Stellungnahme prophezeien Riedl und Dworak dem Minister, dass er hier "ohne Anlass eine Debatte mit den Gemeinden losgetreten hat, die er nicht gewinnen wird".

Ins selbe Horn stieß die FPÖ. Deren Wirtschaftssprecher im Nationalrat, Erwin Angerer, auch er langjähriger Bürgermeister von Mühldorf (seit 2003), nannte den Vorstoß "peinlich und fachunkundig". Die Gemeindekompetenzen bei der Raumordnung infrage zu stellen gleiche einer "Aushebelung demokratischer Prinzipien".

Neos: "Zeit läuft uns davon"

Einzig die Neos, die schon länger für eine Neuaufstellung der Raumordnungskompetenzen in Österreich sind, nahmen Rauchs Aussagen wohlwollend zur Kenntnis. Und mehr noch: Es müsse endlich nicht mehr bloß darüber geredet werden, sondern es müsse sich bei dem Thema auch etwas bewegen, meinte Klima- und Umweltsprecher Michael Bernhard. "In der Vergangenheit ist hier vieles schiefgelaufen, mit dem Ergebnis, dass Österreich beim zügellosen Zubetonieren im europäischen Spitzenfeld rangiert." Nun sei "trotz grüner Regierungsbeteiligung" in dieser Legislaturperiode noch nichts passiert. "Es läuft uns die Zeit davon."

Ein Bundesrahmengesetz für Raumordnung und ein bundesweiter Infrastruktur-Gesamtplan seien notwendig, sagte Bernhard. Die Länder sollten dann die konkrete Entscheidungsebene für Flächenwidmung und Raumordnung werden. "Nur so werden wir der Bodenversiegelung, dem mit Abstand größten Umweltproblem, das wir in Österreich selbst lösen können, nachhaltig entgegenwirken können." Auch die Umweltschutzorganisation WWF hält "strukturelle Reformen" für dringend nötig, konkret schwebt ihr ein Bodenschutzvertrag vor, der die Kompetenzen neu regelt und konkrete Maßnahmen gegen den Flächenfraß vorsieht.

Örok-Vorschläge Ende November

Kein Bodenschutzvertrag, aber immerhin an einer "Bodenstrategie" wird gerade von der Österreichischen Raumordnungskonferenz (Örok) gemeinsam mit dem Umweltbundesamt gearbeitet. In der Örok sind neben sämtlichen Ministerien und Bundesländern auch Städte- und Gemeindebund als Partner an Bord. Es soll eine neue Methode zur Messung des Flächenverbrauchs entwickelt werden, um genauer und vor allem aktueller über Bodeninanspruchnahme und Versiegelung Bescheid zu wissen. Erste Zahlen für 2021 sollte es Ende November geben, auch Maßnahmen einer "Bodenstrategie" könnten dann präsentiert werden, heißt es aus der Örok zum STANDARD. Doch zu viel erwarten dürfe man sich davon nicht: Weder Höchstgrenzen für Bundesländer wird es dann schon geben, und auch über eine Neuverteilung der Kompetenzen rede man in diesem Rahmen derzeit nicht. (Martin Putschögl, 23.9.2022)