Politisch ist Bier ein brisantes Getränk. Der Wein ist vergleichsweise unkompliziert: Er wird hauptsächlich getrunken, wenn der Politiker oder – ja, auch – die Politikerin Wasser predigt. Wird einer beim Weintrinken ertappt, greift er dann gerne auch zum Schnaps, denn es gilt: Dienst ist Dienst, Schnaps ist Schnaps. Einfache Übungen sind das.

Das Bier dagegen ist komplex. Zwar setzt man sich gerne auf eins zusammen. Und sei’s weiland in der "Milchbar" des Parlaments. Denn über zwei, drei Seiterl hinweg lässt sich leichter ein Kompromiss finden als im hoch erregten Plenarsaal. Meistens jedoch ist das Bier bloß ein Mittel zum Zweck der Denunziation. Bekanntlich prosten einander rechte Recken mit so was zu. Ein politisches Argument, auf das man gar nicht erst eingehen will, stammt vom "Biertisch". Die dazugehörige Person sei rhetorisch ausgerichtet aufs "Bierzelt". Und das sei sehr grauslich, weil Bierzeltmenschen unseligerweise ja "bierselig" seien. Wer Bier trinke, neige zum Grölen und Schenkelklopfen. Und schunkle sogar am Aschermittwoch, wenn anständige Menschen sich ein Aschenkreuz auf die Stirn zeichnen lassen, auf dass ihnen der Frohsinn vergehe.

Trinken und Parteien gründen: Jaroslav Hašek, bekannt für seinen "braven Soldaten Schwejk", und Marco Pogo (unten), sein österreichischer Bruder im Geiste.
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Dr. Dominik Wlazny weiß das alles natürlich. Man darf es also auch als einen eleganten – Wie nennt man "Schachzug" auf Deutsch? Move? – Move ansehen, gerade das Bier zum Leitgetränk seiner politischen Partei zu machen. Auf dass er jedem dahergelaufenen Kritikaster – da haben sich zuletzt ja einige angesammelt – nonchalant entgegnen kann: "Na dann: Prost!" Denn das beherrschen Biertrinker (und Biertrinkerinnen) ja auch aus dem Effeff: die bigott salbadernde Kritikasterei an sich abperlen zu lassen wie Kondenswasser am kühlen Krügerl an einem heißen Sommertag.

Zum goldenen Liter

Dr. Dominik Wlazny ist nicht nur ein junger, fescher Kampl. Sondern auch ein schiacher Punk, dessen anarchische Grundhaltung er in die Kunstfigur Marco Pogo ausgelagert hat. Die hat ihn mit Sicherheit bereits daran erinnert, dass er – was die Parteigründung und das Biertrinken betrifft – keineswegs der Erste gewesen ist. Im Gegenteil. Mit der Bierpartei stieg er sogar in sehr große Fußstapfen. Nämlich die der Strana mírného pokroku v mezích zákona (SMPVMZ). Die "Partei des gemäßigten Fortschritts im Rahmen des Gesetzes". Gegründet wurde diese politische, nun ja, ja: Bewegung im Jahr 1904 oder 1905 im Prager Stadtteil Královské Vinohrady (Königliche Weinberge), und zwar im beliebten Gasthaus U zlatého liter (Zum goldenen Liter), eine von mehreren Parteizentralen war der nahe Kravín (Kuhstall), aus dem mittlerweile ein ansehnlicher Restaurationsbetrieb geworden ist (Leitbier: Velkopopovický Kozel, Großpopowitzer Ziegenbock). Und eine Art Pilgerstätte, ähnlich dem Gasthaus zum Kelch (U kalicha). Denn da wie dort (und dort und dort und dort) verkehrte einst auch der Parteigründer, gewissermaßen ein Marco Pogo des böhmischen Landes. Er hieß Jaroslav Hašek. Seinen lebensprallen, bierseligen Anarchismus hat er – freilich später erst – ausgelagert in jene Figur namens Josef Švejk, die jedes Kind wenn schon nicht kennt, so doch kennen müsste.

Ein Marco Pogo des böhmischen Landes: Er hieß Jaroslav Hašek.
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Im Jahr 1911 trat die SMPVMZ bei den cisleithanischen Reichsratswahlen an, erreichte tatsächlich ein paar Stimmen, war aber insgesamt fürs allgemeine politische Geschehen eher – und leider – beiläufig. Aber natürlich ist diese Partei für alle nachfolgenden Bierparteien bis hin zur CSU von überragender inspirativer Bedeutung. Unmissverständlich hat der Parteigründer, Hašek, festgehalten, dass, wie jede Partei, auch die seine einzig dort ihre Zentralen haben könne, "wo es erstklassiges Bier gibt". Denn "der Alkohol ist die nährende Milch der Politik".

Watschen da und dort

Die SMPVMZ hatte ihre Versammlungen dort, wo es "Popowitzer gab, Smíchover und Pilsner". Später dann, "mit dem Aufschwung der Partei, tranken wir auch andere Biere, aber immer solche von bester Qualität". Solche politischen Grundhaltungen frommten freilich auch der Gastronomie. Politische Versammlungen waren entsprechende Umsatzbringer. Die Vegetarier nannte Hašek diesbezüglich als abschreckendes Gegenbeispiel. "Sie genossen Gemüse und hatten einen dünnen Stuhl. Sie belagerten dem Gastwirt den Abort."

Wie jede andere Partei konnte auch die SMPVMZ mit sich nicht hinter dem Berg halten. Man versuchte es erst wacker in den Wirtshäusern Prags, dann denen auf dem flachen Land. Man fand wenig Widerhall. Eher Widerspruch. Und Watschen da und dort. Doch was, so Hašek, soll’s? "Mut und Kraft für künftige Taten – fehlen, wenn wir des Biers entraten."

Und so machten sich drei aus dem Parteivorstand – Hašek selbst, der Maler Jaroslav Kubín und der Schauspieler Rudolf Hnìvsa – auf zu einer reichsweiten Studien- und Wahlkampftour, die sie sogar nach Transleithanien hinüberführte. Wahlkampfkostenersatz gab es noch nicht. "Per pedes apostolorum" also schickten die drei jungen Männer sich selbst von böhmischem Konsulat zu böhmischem Konsulat. So nannte man die Brauhäuser, die ja fast allesamt unter Leitung von tschechischen Braumeistern standen. Dort baten sie um milde Gaben. Und selbst jene, die wenig gaben, gaben doch zumindest reichlich Bier. Flotten Schrittes ginge es solcherart über Iglau und Znaim nach und nach nach Wien und durch Wien durch, nach Liesing und weiter nach Wiener Neustadt, wo das städtische Brauhaus unter dem g’schmackigen Kommando des František Chrž aus Tábor stand.

Der schickte sie anschließend über die Leitha. Denn in Sopron amtierte ein Freund aus Brünn. Unvorsichtigerweise aber machten die drei auch Station im schönen Nagymarton, was wir Heutigen "Mattersburg" nennen. Dort gerieten sie sogleich in eine politische Versammlung Dortiger, was Hašek die Gelegenheit geboten hat zu erkennen: "Man sagt, bei uns werde bei einem Glas Bier politisiert – aber die Ungarn politisieren beim Wein." Und selbstkritisch: "Bier macht einen Menschen niemals so politisch reif wie Wein, denn: in vino veritas. Im Wein ist Wahrheit."

Dada-Bauchrednerdialog

Die Missionswanderung geriet hier in Ungarn vollends zur Studienreise. "In Nagymarton zum Beispiel schrie der königliche Kreisnotär Barabas noch unterm Tisch 'Éljen a Kossuth!', und gerade unterm Tisch liegend trug er eine seiner besten politischen Reden vor." Man kann sich wohl nicht nur den weiteren Verlauf dieser Mattersburger Versammlung (und das Erwachen am nächsten Tag) zur Genüge imaginieren. Es soll hier also genügen, gnädig auf die vertiefende Literatur zu verweisen – Jaroslav Hašek, "Geschichte der Partei des gemäßigten (schlampige Übersetzung, es müsste natürlich heißen "Maß-vollen", Anm.) Fortschritts im Rahmen des Gesetzes", Berlin, Parthas-Verlag, 2005.

Herr Dr. Dominik Wlazny ist mit allerlei Nasenrümpfen Hochnäsiger und Sorgenfalten Besorgter konfrontiert. Es geht ihm da wie allen, die sich ein bisserl Allotria erlauben. Dabei wendet der punkige Herr Doktor ein sehr schönes, raffiniertes Verfahren an, das sich aus der Zwei-Personen-Performance – sozusagen ein Dada-Bauchrednerdialog – ergibt. Der seriöse, auf Punkt, Beistrich und entlang grammatikalischer Regeln vergleichsweise klar artikulierende Wlazny spiegelficht mit seinem Pogo, der es sich, seiner Punknatur gehorchend, erlauben darf, die Sau bei Bedarf auch herauszulassen, um sie ungeniert durchs politische und mediale Dorf zu treiben. Eventuell mit den schönen Worten eines seiner Wahlkampfsongs: "I bin scho fett kumman!" So was irritiert, ganz gewiss. Aber tut das – jetzt einmal wahllos herausgegriffen – ein Herr Gerald Grosz nicht? Oder. Oder. Oder. Ja genau: und der auch. (Wolfgang Weisgram, 26.9.2022)