Die Murmeltiere auf dem Großglockner erfreuen sich der Schutzzone des Nationalparks Hohe Tauern ebenso wie zahlreiche gefährdete Arten, die hier heimisch sind.
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Warum soll Naturzerstörung gratis sein?" – es war eine nur scheinbar banale Frage, die der Biologe Franz Essl an einem der letzten sommerlichen Septembertage in einem Besprechungszimmer am Campus der Universität Wien in die Runde warf. Natürlich soll Naturzerstörung kosten, möchte man einwenden. Sie schadet schließlich weit mehr Menschen, als potenziell davon profitieren. Und auch der Naturschutz ist nicht kostenlos.

Ein genauerer Blick auf die Hintergründe der derzeit in Verhandlung befindlichen Biodiversitätsstrategie zeigt aber, dass die Frage nach den Kosten von Naturzerstörung nicht so banal ist, wie sie auf den ersten Blick scheinen mag.

Worum geht es? Während Verschmutzungen von Boden und Gewässern, Regenwaldabholzungen, Treibhausgase und der menschgemachte Klimawandel im Zentrum von ökologischen Debatten der vergangenen Jahrzehnte gestanden sind, ist die Biodiversitätskrise erst in den vergangenen Jahren ins Zentrum einer breiteren Aufmerksamkeit gerückt.

Der Biodiversitätsforscher Franz Essl setzt sich seit Jahren für Maßnahmen ein, um das Artensterben in Österreich einzubremsen oder aufzuhalten.
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Aktuelles Massenaussterben

Eine wichtige Rolle spielte dabei etwa das 2014 populärwissenschaftliche Buch "The Sixth Extinction" (auf Deutsch: "Das sechste Sterben") der US-Journalistin Elizabeth Kolbert, das für seine beeindruckende Darstellung des aktuellen Massenaussterbens unter anderem mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde.

Im deutschsprachigen Raum verhalf auch die sogenannte Krefelder Studie der Biodiversitätskrise zu Aufmerksamkeit: Wie Forschende im Oktober 2017 im Fachblatt "Plos One" basierend auf Daten von ehrenamtlichen Insektenkundlern des Entomologenvereins Krefeld feststellten, gingen die Insektenbestände in 63 deutschen Schutzgebieten innerhalb von 27 Jahren um erschreckende 76 Prozent zurück.

Die Krefelder Studie zum Insektensterben in Deutschland aus dem Jahr 2017 war ein Weckruf in Sachen Artensterben.
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Verhandlungen im Finale

Um auf den rasanten Artenverlust zu reagieren, haben etliche Länder in den vergangenen Jahren Biodiversitätsstrategien vorgelegt. Im Mai 2020 hat die Europäische Kommission eine EU-Biodiversiätsstrategie veröffentlicht. Die österreichische Biodiversitätsstrategie soll "in den nächsten Wochen" vorlegt werden, wie Christian Holzer, Sektionschef im Klimaministerium, kürzlich am Rande eines Forschungssymposiums der Nationalparks Österreich berichtete, "wir sind auf Regierungsebene auf der Zielgerade der Verhandlungen".

Die Strategie beinhaltet etwa den Plan zur Erweiterung der Artenschutzflächen und zur Umstellung der Landwirtschaft hin zu mehr Artenvielfalt. Für Holzer spielen die sechs österreichischen Nationalparks, die drei Prozent der Landesfläche ausmachen, sowie weitere Schutzzonen eine zentrale Rolle für den Artenschutz. Insgesamt stehen 22 Prozent der österreichischen Fläche unter Schutz. "Wir haben das ambitionierte Ziel, diese Fläche zu erweitern", betont Holzer.

Die sechs österreichischen Nationalparks spielen eine wichtige Rolle beim Artenschutz. Sie machen aber nur drei Prozent der Landesfläche aus. Im Bild: der Buchenurwald Hetzschlucht im Nationalpark Kalkalpen.
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Schutzgebiete mangelhaft gemanagt

Die Ausweitung von Schutzzonen begrüßt auch Biodiversitätsforscher Franz Essl von der Universität Wien, der als Mitglied des Leitungsteams des österreichischen Biodiversitätsrats eine zentrale Stimme bei den hiesigen Diskussionen zum Artenschutz einnimmt. Laut Essl sind die österreichischen Naturschutzgebiete jedoch häufig schlecht oder zu wenig gemanagt.

"Die Bundesländer müssen ihre Schutzgebiete besser pflegen", sagt Essl. Das betreffe vor allem kleinere Schutzgebiete, die oft kaum von nichtgeschützten Flächen zu unterscheiden seien. "Auch für Landnutzer muss es sich lohnen, in einem Schutzgebiet zu sein oder naturschutzkonform zu wirtschaften." Naturschutzmaßnahmen würden nicht nur die Artenvielfalt stärken, sondern den Klimaschutz.

Für österreichische Landwirte fehle es an Anreizen, naturschutzkonform zu wirtschaften, kritisiert der Biodiversitätsforscher Franz Essl.
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Abgabe für Naturzerstörung

Häufig fehle es an geeigneten Förderinstrumenten und Betreuung für Naturschutzgebiete, sagt Essl. Er schlägt eine "Naturzerstörungsabgabe" vor, um die Kosten der Schäden zu beziffern. Parallel dazu brauche es weitere Förderinstrumente, um den Naturschutz finanziell zu stärken.

Einen ersten Meilenstein stellt dabei der im Vorjahr eingerichtete Biodiversitätsfonds dar. Die Bundesregierung kam damit einer langjährigen Forderung der Biodiversitätsforschenden nach – jedoch nicht in der Größenordnung der Dotierung. Der Fonds ist bis 2026 mit 80 Millionen Euro dotiert. Die Expertinnen und Experten hatten eine Milliarde für Artenschutz empfohlen.

Österreich zählt zu jenen Ländern mit der höchsten Rate an Bodenversiegelung: Aktuell werden täglich 14 Hektar pro Tag versiegelt. Im Bild: Bauarbeiten an der vierspurigen Stadtstraße durch das Wiener Stadtentwicklungsgebiet am Hausfeld.
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Ziele setzen und erreichen

Für Holzer geht es beim Naturschutz "nicht allein ums Geld. Das Mindset muss sich ändern." Sehr stark gehe es dabei auch um Landnutzung. Österreich zählt traditionell zu jenen Ländern mit der höchsten Rate an Flächenversiegelung weltweit.

Holzer sieht es jedenfalls positiv, dass der Flächenverbrauch in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist: So wurden vor 20 Jahren noch 20 Hektar pro Tag versiegelt. Aktuell liegt die Bodenversiegelung bei 14 Hektar pro Tag. "Wir arbeiten auch an einer Bodenschutzstrategie, um das ziel von 2,5 Hektar pro Tag zu implementieren."

Was können all die Strategiepapiere tatsächlich bringen? "Wir hoffen, dass wir durch die künftige Bodenschutzstrategie nicht nur quantitative Ziele ausgeben, sondern auch in die Umsetzung kommen", sagt Holzer. "Wir sind noch weit weg von der Erreichung der selbstgesteckten Ziele".

Feldhamster sind in Österreich vom Aussterben bedroht. Sie sind längst nicht die einzige Spezies: Rund ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten in Österreich steht auf der Roten Liste der bedrohten Arten.
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Ein Drittel auf der Roten Liste

Kommt es nicht zu einer raschen Umsetzung, ist jedenfalls zu befürchten, dass der Artenschwund weiter ungebremst voranschreitet und etliche Ökosysteme in ihrer jetzigen Form unwiederbringlich zerstört werden. Rund ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten Österreichs steht auf der Roten Liste der bedrohten Arten. Laut Umweltbundesamt sind 82 Prozent aller Arten und 79 Prozent der Lebensräume in einem "ungünstigen Erhaltungszustand".

Im Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel etwa sei die Anzahl und Fläche der Sodalacken, die Rast- und Brutplätze für zahlreiche Vögel sind, in den vergangen 150 Jahren dramatisch zurückgegangen, wie Michael Dvorak von der Vogelschutzorganisation Birdlife beim Nationalpark-Forschungssymposium berichtete.

Intensive Landwirtschaft, ausbleibende Niederschläge und künstliche Bewässerung im Burgenland haben verheerende ökologische Auswirkungen auf den dortigen Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel.
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Für den Biodiversitätsrat steht fest: "Die derzeitigen Zielsetzungen, Strategien und Gegenmaßnahmen reichen bei weitem nicht aus, um Österreichs Biodiversität für die nächsten Generationen zu erhalten." Für den Biologen Essl ist klar: "Die Ressourcen, die der Planet Erde bietet, werden in der Weise, wie wir sie nutzen, nicht mehr lange zur Verfügung stehen." (Tanja Traxler, 26.9.2022)