Jetzt bloß keine Panik. Vor einigen Minuten hat es Bzzzp! gemacht, und jetzt funktioniert nichts mehr. Licht nicht, Fernseher nicht, Kühlschrank nicht. In knapp einer Stunde wird das Internet seinen Geist aufgeben, etwa 24 Stunden später auch die Wasserversorgung. Plötzlich ist das Szenario da, über dem Krisenstäbe grübeln und vor dem Boulevardmedien wohligen Schauer verbreiten: der Blackout, der weite Teile Europas in Schwarz hüllt.

Jetzt bloß keine Panik.
Foto: Heribert Corn

Im konkreten Fall ist der Blackout virtuell und beschränkt sich auf eine Wohnung in Wien. Es ist ein Test, ein Selbstversuch: Wie lebt es sich im Blackout? Was ist besser, was schlimmer als befürchtet? Wie wahnsinnig wird man, auf einer Skala von 1 bis 10? Und reichen die Vorräte, die man angelegt hat? 100 Stunden ohne Strom sollen Antworten auf diese Fragen bringen. So ist zumindest der Plan.

Stromausfälle sind an sich nicht so selten. Statistisch ist jeder Österreicher im Jahr 23 Minuten ohne Strom. Ein Blackout ist aber mehr: ein lang andauernder, überregionaler Stromausfall, der auch die Infrastruktur in Mitleidenschaft zieht. Das Szenario hat in den vergangenen Jahren einen rasanten Aufstieg hingelegt: erfolgreiche Bücher, eine ORF-Serie, viel mediale Aufmerksamkeit. heute.at veröffentlichte seit Anfang August über 30 Artikel über Blackout-Gefahr und -Vorsorge.

Ein mehrere Tage andauernder Blackout hat potentiell erhebliche Folgen, weil verdammt viel Alltägliches Strom zum Funktionieren braucht: Pumpen bringen Wasser in höher gelegene Stockwerke, Kläranlagen klären ohne ihn nicht mehr. Notstromaggregate und Batterien können meist 24 Stunden überbrücken. Danach werden Kühl- und Lieferketten unterbrochen. Wasserleitungen, die längere Zeit trocken fallen, müssen entkeimt werden. Man kann das Leben also nicht einfach wieder anschalten, als sei nichts gewesen.

Wasser, Nahrung, Licht, Information – die Basics. Vorräte für fünf Tage Autonomie haben etwa 120 Euro gekostet.
Foto: Heribert Corn

So weit die graue Theorie. In der Praxis ist ein Blackout drei Sechsertragerl Wasser, Konserven, Kerzen und ein Campingkocher. Das steht auf den Listen zur Katastrophenvorsorge, die man im Internet findet, etwa vom Zivilschutzverband. Wasser, Nahrung, Licht, Information – die Basics. Vorräte für fünf Tage Autonomie haben etwa 120 Euro gekostet.

Nicht jeder Haushalt in Österreich wäre von einem Blackout gleich betroffen. In Wien funktioniert die Wasserversorgung beispielsweise zu einem großen Teil mit Schwerkraft. In einem innerstädtischen Altbau sollte das bis ins vierte Stockwerk funktionieren, sagt Wiener Wasser. Der Selbstversuch fand aber unter "Hardcore-Bedingungen" statt: kein Strom, kein fließendes Wasser, keine Möglichkeit zur Kommunikation. Nur die Toilette wurde weiterhin benutzt. Wer die Alternativen kennt (die Community empfiehlt unter anderem Plastiksackerl, die über der Kloschüssel aufgespannt werden), wird das verstehen können.

Die Sorge vor dem "Blackout" ist in der Öffentlichkeit höher als in der Energiebranche. Ein Blackout sei sehr, sehr unwahrscheinlich. Das sagen fast alle, die man fragt: die Netzbetreiber, die Regulierungsbehörde E-Control, der Transportnetzbetreiber Austrian Power Grid, unabhängige Experten. "Das Stromnetz ist physikalisch komplex, aber es gibt ein engmaschiges Sicherheitskonzept mit vielen automatischen Schutzmechanismen", sagt Manuela Gutenbrunner, Sprecherin der Wiener Netze.

Lockdown zum Quadrat

Ein Blackout entsteht – wie sein kleiner Bruder, der Stromausfall –, weil immer genauso viel Strom produziert wie verbraucht werden muss. Dieses Gleichgewicht hält die Netzfrequenz stabil bei 50 Hertz. Bei den Netzbetreibern sitzen tatsächlich Menschen, die prognostizieren, wie viel Strom benötigt wird. Das schwankt mit Tageszeit, Wetter und etlichen anderen Faktoren. Die Betreiber sind überregional und europäisch vernetzt, viele Schritte laufen heute automatisch ab. Wird mehr Strom benötigt, schaltet man Kraftwerksleistung dazu. Hat man dramatisch zu wenig, kommt es zu einem sogenannten Lastabwurf. Dabei wird – grob gesagt – ein Teil der Verbraucher vom Netz genommen. Im laufenden Betrieb sind das meist Industrieunternehmen, bei denen es nicht dramatisch ist, wenn die Produktion schwankt. Der durchschnittliche Haushalt merkt davon nichts.

Große Aufmerksamkeit erhielt nachträglich ein Ereignis im Jänner 2021. Im Stromnetz Südeuropas kam es zum Spannungsüberschuss, die europäischen Netze wurden getrennt.

"Das wurde medial ein wenig aufgebauscht", sagt Herwig Renner vom Institut für Elektrische Anlagen und Netze der TU Graz. Man muss dazu wissen: Die 50 Hertz haben eine gewisse Schwankungsbreite. "0,2 Prozent Abweichung sind normal. Sinkt die Frequenz unter 49 Hertz wird es kritisch, aber auch da kann man noch entsprechende Maßnahmen setzen." Zum Beispiel ein großflächiger "Not"-Lastabwurf, also einen größeren Teil abschalten, bevor das Netz ganz zusammenbricht. Bei dem Jänner-2021-Ereignis war das nicht notwendig, es bewegte sich noch in dem Bereich der üblichen Abweichung.

Für den Einzelnen ist ein Blackout wie ein Lockdown zum Quadrat: Zuhause hocken minus Berieselung minus Kontakt mit der Außenwelt. Für Menschen auf engem Raum wird der Raum noch enger, Alleinlebende sind von Isolation bedroht. Die Eintönigkeit wird schnell zum größten Gegner. Die Körperhygiene mit Wasser aus der Flasche – machbar. Die Ernährung (Konserven auf dem Campingkocher erhitzt, dazu Wasser auf Zimmertemperatur) – temporär auszuhalten. Aber der Mensch ist nicht dazu gemacht, 15 Stunden am Tag ohne Input von außen in der eigenen Wohnung zu sitzen. Man ist gereizt aus Mangel an Reizen. Lesen hilft. Aber wenn es am Tag drei nach einigen Stunden Beschäftigung mit einem Buch erst 10 Uhr morgens ist, taucht schon die Frage auf, was zum Teufel man jetzt noch den ganzen Tag machen soll. Hinzu kommt, dass man bei einem Blackout die Wohnung nicht verlassen soll, weil Krankenhäuser auf Notbetrieb laufen und jede unnötige Verletzung zu verhindern ist. Irgendwann schläft man einfach viel.

Die Ernährung (Konserven auf dem Campingkocher erhitzt) ist temporär auszuhalten.
Foto: Heribert Corn

"Das Wichtigste ist die mentale Vorbereitung", sagt auch Herbert Saurugg, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge. Saurugg ist "Blackout-Experte" und Aktivist in Sachen Katastrophenvorsorge. Viele Zahlen, die in der Öffentlichkeit herumschwirren (wie dass es "in den nächsten fünf Jahren" zu einem Blackout kommen würde), gehen auf ihn zurück. "Das ist strategische Kommunikation, um die Gefahr fassbar zu machen", sagt er. "Den meisten Menschen ist der Ernst der Lage nicht bewusst." Saurugg verweist darauf, dass das System aktuell funktioniere, aber für den Winter 2022/23 zusätzliche Unwägbarkeiten wie ausbleibende Gas-Lieferungen hinzu gekommen seien.

DER STANDARD

Snack-Preppern

Tatsächlich kann einen Blackout niemand zu 100 Prozent ausschließen. "Wir bereiten uns im Rahmen der Risikovorsorge aber natürlich auch auf sehr unwahrscheinliche Szenarien vor", sagt Manuela Gutenbrunner. Die grobe Idee hinter den Notfallplänen ist, das europäische Stromnetz in viele autonome "Inseln" aufzuteilen, diese langsam wieder hochzufahren und Schritt für Schritt zusammenzuschalten. In Wien würde die "Wiederbestromung" vom Kraftwerk Simmering ausgehen. Das ist "Schwarzstart-fähig", es kann also ohne Strom von außen wieder hochfahren. Wie lange es dauert, bis alle Wiener wieder Strom haben, lasse sich nicht exakt vorhersagen, sagt Gutenbrunner. "Wir rechnen aber mit ein bis zwei Tagen."

Das vorsichtige Fazit der Recherche: Wer ein bisschen Geld und Platz hat und sich einige Flaschen Wasser, Konserven und Lichtquellen in die Garage stellt, der macht wohl nichts falsch. Allein, um das Szenario im Kopf einmal durchgespielt zu haben. Aber Panik vor einem Blackout muss in Österreich niemand haben. Zumal man nicht auf sich allein gestellt wäre. Das Bundesheer käme zum Einsatz, genauso andere Rettungsorganisationen. Aber, und da hat Herbert Saurugg vermutlich recht: Jeder Haushalt, der sich im Notfall mal ein paar Tage selbst versorgen kann, nimmt ein bisschen den Druck raus.

Die Vorräte waren übrigens ausreichend. Aus der Erfahrung würde ich heute sagen: Etwas mehr Wasser einplanen (fünf Liter sind nicht viel, wenn man damit auch noch Kochen und Waschen muss), LED-Lichter statt Kerzen kaufen und ausreichend Unterhaltung und Snacks (sehr relevant) einplanen. Dann klappt es auch mit dem Blackout, der hoffentlich nie kommen wird. (Jonas Vogt, 28.9.2022)