Immer mehr Mitarbeitende und Führungskräfte sind psychisch belastet. Arbeitspsychologinnen können Abhilfe leisten.

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Arbeitsgesundheit ist eines der Themen, die seit Pandemiebeginn enorm an Bedeutung gewonnen haben. Vor allem psychische Belastungen sind ein zunehmend auf Organisationen schwerer lastendes Thema – und können nicht mehr als "Problemchen von ein paar wenigen Mimöschen" abgetan werden.

Selbst die laufende Kampagne der europäischen Gesundheitsagentur Osha, die sich eigentlich mit arbeitsbedingten Muskel- und Skeletterkrankungen beschäftigt, verweist explizit auf den Zusammenhang physischer und psychischer Erkrankungen. Und das für Arbeitnehmerinnenschutz zuständige Arbeitsinspektorat holt in diesem Zusammenhang Arbeits-, Organisations- und Gesundheitspsychologinnen in die bundesweit laufenden Informationsveranstaltungen im Rahmen der Osha-Kampagne.

Gut, wenn solcherart Expertise für Unternehmen und Organisationen nach und nach zugänglicher wird. Für die Vertreterinnen und Vertreter dieser Berufsgruppen besteht allerdings basaler Aufholbedarf – sowohl im Ressort von Arbeitsminister Martin Kocher als auch im Gesundheits- und Sozialministerium bei Johannes Rauch.

Appell an die Kasse

"Viele hochqualifizierte Leute sind nach wie vor aus dem Gesundheitssystem ausgespart", sagt Andrea Birbaumer, Obfrau der Gesellschaft Kritischer Psychologen und Psychologinnen (GKPP). Mit dem Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen (BÖP) ist die Schwestervereinigung nicht immer ganz d’accord.

Mit dieser Forderung allerdings schon: "Psychologische Leistungen gehören dringend kassenfinanziert." Das sagen die Therapeutinnen und Therapeuten auch schon seit langem. "Ja", so Birbaumer, "sie erhalten auch überwiegend Kassenersatz, wenngleich zu wenig." Aber es hapert an tieferer Stelle, erklärt Birbaumer, nämlich beim rund 30 Jahre alten Psychologengesetz. Demnach dürfen freiberuflich selbstständig nur Klinische und Gesundheitspsychologen tätig sein. Arbeits- und Organisationspsychologen dürfen das nicht. Sie, die von den beiden Berufsverbänden zertifiziert werden, brauchen einen Gewerbeschein oder ein anderes Mäntelchen.

Ins Gesetz schreiben

Das führe im Rahmen des Arbeitnehmerinnenschutzgesetzes und der verpflichtenden Evaluierung von Arbeitsplätzen nach Belastungsfaktoren dazu, dass oft mit Coaches und Unternehmensberatern zu konkurrieren sei. Dabei, so Birbaumer, sei gerade das das klassische Expertisefeld der Psychologinnen. Daher: Neben Arbeitsmedizin und Sicherheitsfachkräften will die GKPP einen im Gesetz festgeschriebenen Platz als dritte Kraft in der verpflichtenden Präventionsarbeit laut Arbeitnehmerinnenschutzgesetz – also quasi eine gesetzliche Verankerung der Expertise.

Gäbe es denn überhaupt genügend Kolleginnen und Kollegen? Ja, sagt Birbaumer. Rund 2000 Kolleginnen und Kollegen seien als Arbeits- und Organisationspsychologen zertifiziert. Geht es um Arbeitsbeschaffung für diese Berufsgruppen, haben sie Mühe, ihr Auslangen zu finden? Da kommt ein klares Nein der Obfrau: "Wir sind als Sozialberuf sowieso nicht verwöhnt." Es gehe um Expertise, von der – wie die vergangenen zweieinhalb Pandemiejahre gezeigt hätten – gerade nicht genug an den Tisch geholt werden könne.

Dass Mitarbeitende wie auch Führungskräfte mit psychischen Belastungen aktuell sehr oft in Überforderung landen, sei deutlich zu sehen. Stundenreduktion, innere Kündigung und folglich Rückfahren der Produktion oder des Dienstleistungsangebots seien wohl nicht die gewünschte Lösung, gibt sie ebenfalls zu bedenken. (Karin Bauer, 27.9.2022)