Der Titel der Serie ist eine kleine Irreführung. Denn wer bei The Old Man an gemütliche Tage im Herbst des Lebens oder an einen unverbesserlichen Tattergreis denkt, liegt gleichermaßen falsch. Der von Oscar-Preisträger Jeff Bridges verkörperte alte Mann heißt Dan Chase und wirkt auf den ersten Blick noch unauffällig. Doch dann bricht nächtens jemand in sein Haus ein. Chases Hunde stellen den Eindringling, und er knallt ihn ab.

Der alte Mann hat also Geheimnisse. Sie liegen in seiner Vergangenheit begründet, als er in Afghanistan als eher windiger CIA-Agent tätig war. Nun muss Chase, nachdem er jahrzehntelang in ein ziviles Leben untergetaucht war, erneut fliehen: Das FBI ist hinter ihm her, bald auch Auftragskiller. Die Adaption des Bestsellers von Thomas Perry erweist sich als raffinierter "slowburner". Puzzlestück für Puzzlestück erweitert sich das Suspense-geladene Drama um Details; der Held selbst bleibt die undurchdringlichste Figur in der Mitte.

Für Bridges ist die von FX produzierte Serie eine "Altersrolle", in der er neben seiner typisch charismatischen Verschmitztheit auch physische Stärke zeigt – also beinahe ein Action-Part. Ab 28. 9. auf Disney+.

STANDARD: Sie haben einmal erzählt, dass Sie sehr überrascht waren, als Ihnen die Coen-Brüder den Dude aus "The Big Lebowski" angeboten haben. Ist es das Unerwartete, wonach Sie Ausschau halten?

Bridges: Der Schlüssel ist wirklich das Wort "Überraschung". Darauf warte ich immer beim Lesen der Bücher. Am besten ist es, man denkt, man hat schon alles über den Film herausgefunden, und dann wird daraus etwas ganz anderes. Und weil Sie The Big Lewowski erwähnen: Die Coens sind wirklich Meister, sie wissen einfach, wie das Schreiben geht. Sie haben mich mit jedem ihrer Filme überrascht. Aber auch bei The Old Man traf das zu.

Noch keine Zeit für den Ruhestand: Jeff Bridges spielt in "The Old Man" einen Mann mit einer Vergangenheit, die ihn bis ins hohe Alter verfolgt.
Foto: Disney+, FX Networks

STANDARD: Ein Thema der Serie ist die Frage nach Konsequenzen: Chase wird von seiner Vergangenheit eingeholt. Wie halten Sie es selbst mit den Unwägbarkeiten des Lebens?

Bridges: Eines der Dinge, die man herausfindet, wenn man älter wird, ist: Du hast nicht immer den richtigen Weg gewählt, Mann – selbst wenn du versucht hast, dein Bestes zu geben. Man weiß eben nie, wohin einen eine Entscheidung führt. Das Schlüsselwort dieses Interviews lautet: Überraschung. Und das Leben hält wirklich viele davon bereit.

STANDARD: Hat es Ihnen gefallen, dass Chase nicht eindeutig Held oder Schurke ist?

Bridges: Das ist eine Frage, die man sich ja auch selber stellen kann: Sind wir Helden oder Bösewichte? Wahrscheinlich haben wir alle beides in uns, für Chase gilt das auf jeden Fall. Er fragt sich selbst, ob er die richtige Seite gewählt hat. Seine Begleiterin sagt in einer Folge über ihn, Bösewichte würden sich ja selbst nie als Bösewichte sehen.

STANDARD: Sie haben schon als Kind neben Ihrem Vater Lloyd Bridges in der Serie "Sea Hunt" mitgespielt. Wie war es nun, zum Serienformat zurückzukehren und plötzlich mehr als einen Regisseur zu haben?

Bridges: Ich dachte, das könnte ein Problem sein, aber zum Glück war es das nicht. Wir hatten drei, vier verschiedene Regisseure bei The Old Man. Ich habe immer wieder gute Erfahrungen mit Debütregisseuren gemacht: Steve Cloves, der die Fabulous Baker Boys gedreht hat, oder Scott Cooper, der mich in Crazy Heart inszenierte. Der kollaborative Teil des Filmemachens begeistert mich am meisten. Manchmal denke ich, warum die Welt nicht öfter so sein könnte – man steckt zusammen in einem Projekt, ein jeder hat andere Philosophien und Zugänge, und erschafft etwas Gutes.

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STANDARD: Blicken Sie auch gerne auf Ihre Karriere zurück?

Bridges: Oh ja, sehr gerne. Meine Frau, mit der ich seit 45 Jahren verheiratet bin, hat mir eine Kamera geschenkt. Das reicht zurück bis Starman von 1984 – da begann ich, auf Sets zu fotografieren. Ich habe der Crew immer wieder kleine Fotobücher geschenkt, inzwischen habe ich eine turmhohe Sammlung dieser Bilder aus meinen Filmen zu Hause. Sie bringen alle Erinnerungen zurück, manchmal sogar Gespräche. Altwerden stört mich gar nicht. Ich schau in die Gegenrichtung: Meinen ersten Filmauftritt hatte ich, als ich sechs Monate alt war. Jane Greer hielt mich damals in ihren Armen.

STANDARD:In "The Old Man" muten Sie sich auch Neues zu: Es gibt richtig harte Mann-gegen-Mann-Kämpfe. Das machen nicht viele in Ihrem Alter.

Bridges: Wir hatten wirklich großartige Stuntkoordinatoren. Filmemachen ist ein Zaubertrick. Und man sucht immer einen Trick, den man noch nie davor gemacht hat. Man erschafft eine Illusion, die so real wie möglich aussehen muss. Beim Prügeln läuft es eigentlich ähnlich wie in einer Schauspielszene ab. Man nimmt verschiedene Anläufe. Beim Schauspiel verzichten manche Regisseure auf Proben, da kommen durchaus gute Sachen dabei heraus. Bei Stunts wäre das aber ein gefährlicher Vorschlag. Man müsste sich über den nächsten Tag Sorgen machen. Proben waren daher sehr willkommen!

Jeff Bridges: "Mit Hunden ist es wie bei den Stunts – man muss die magische Karte ziehen können"
Foto: Disney+, FX Networks

STANDARD: Sie haben großartige Co-Darsteller wie John Lithgow an Ihrer Seite, aber auch zwei Labradore. Wie lief das Tricksen mit ihnen an?

Bridges: Es gibt zwei Hunde in der Serie, aber fünf oder sogar sechs Hundedarsteller. Jeder hatte spezielle Fähigkeiten. Einer wusste etwa gut, wie man sich an einem menschlichen Nacken festbeißt. Ich bin ein echter Hundeliebhaber, ich habe einen Cavapoo, eine Cavalier-King-Pudel-Mischung namens Monty. Ich habe mein ganzes Leben Hunde gehabt, Ridgebacks, alle möglichen. Mit Hunden ist es wie bei den Stunts – man muss die magische Karte ziehen können. (Dominik Kamalzadeh, 24.9.2022)