Ab dem Zeitpunkt, wo die antisemitischen Motive auf dem Banner "People's Justice" von Taring Padi entdeckt worden waren, hagelte es Kritik. Zuerst wurde es abgedeckt und schließlich ganz abgebaut.

Imago / Peter Hartenfelser

Intentionen

"Make friends, not art", lautete ein zentrales Motto von Ruangrupa, schon lange bevor das vorwiegend in Indonesien tätige Kollektiv in Kassel aufschlug, um die Documenta mit diesem Ansatz zu kuratieren. Eine Weltkunstausstellung, bei der es mehr um die nichtwestliche Welt als um die Kunst geht. Was passiert, wenn man den Markt ausblendet, wenn man weniger an Besucherinnen und Sammler, an Medien und Institutionen denkt als die Kulturschaffenden selbst? Was passiert, wenn man Kunst nicht als etwas begreift, das an der Wand hängt, sondern als etwas, das im Sesselkreis entsteht: durch Austausch, durch Teilen von Ressourcen und Erfahrungen?

Was passiert, wenn das kuratorische Verständnis in großen Teilen daraus besteht, vorwiegend Kollektive statt einzelne große Namen einzuladen, die dann wieder Kollektive einladen? Was passiert, wenn man darauf hofft, dass Vertrauen besser ist als Kontrolle?

Nun, wir wissen alle, was passiert ist. Die Intention dieser Documenta war das aber nicht. Zwar ist die Definition von Kunst als Prozess keine neue; der Ansatz, ein so prestigeträchtiges Format weitestgehend von klassischen Werken zu "befreien", war es aber schon. Das wurde auch als Kriegserklärung an den Status quo verstanden. Trotzdem dürfte es nicht kaltes Kalkül gewesen sein, zum Zankapfel von Politik, Kunstwelt und der interessierten Öffentlichkeit zu werden. Eigentlich wollte man verbinden, so wie es der Begriff "Lumbung" (gemeinschaftlich genutzte Reisscheune), der im Zentrum dieser Documenta Fifteen hätte stehen sollen, vorsah: Es ging darum, eine Vision für ein besseres Miteinander zu formulieren, die weit über den Kunst- und Kulturbetrieb hinausging.

Dass dem westlichen Kunstverständnis nach wie vor etwas entgegengehalten werden muss, dass Themen wie Kolonialismus, Ausbeutung und Rassismus in den Kontexten solcher Ausstellungen thematisiert werden müssen, ist unumgänglich. Einige Herangehensweisen sollten von zukünftigen Verantwortlichen aufgegriffen werden.

So bemühte sich Ruangrupa deutlich mehr als andere Kuratorinnen der Documenta darum, Kassel nicht nur als große Bühne, die zu bespielen ist, zu verstehen, sondern die Stadt zu entdecken und sich für ihre Bewohnerinnen zu interessieren, mit ihnen zu leben und Verbindungen zu schaffen, die eine Ausstellung überdauern. Dass Ruangrupa das gelang, war vor Ort spürbar. Die Documenta fühlte sich nicht wie ein elitäres Alien an, das für 100 Tage sein Unwesen in einer Stadt treibt – sie gab sich einladend, verhältnismäßig niederschwellig und um Nachhaltigkeit bemüht.

Dass das alles nicht reicht, um die Verfehlungen nur ansatzweise aufzuwiegen, ist völlig klar. Zu einem Kunstbegriff zurückzukehren, der sich stärker an Fragen der Ästhetik als an gesellschaftlichen orientiert, ist aber auch keine Option.

Von Jakarta nach Kassel: Dem kuratorischen Kollektiv Ruangrupa gelang einiges. Vieles lief aber auch gehörig schief auf der Documenta 15.
Foto: Nicolas Wefers

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Ergebnisse

Bekanntlich realisierten sich die gut gemeinten Ideen von Ruangrupanur teilweise. Rückblickend haben die Kuratoren der Documenta allem Anschein nach gegen ihre eigenen Prinzipien verstoßen. Harmonie, Respekt und Annäherung diverser Kulturen – Fehlanzeige. Die Erwartungen waren hoch, die Bilanz fällt erschütternd aus.

Nachdem die ersten Antisemitismusvorwürfe gegen den Banner von Taring Padi aufgekommen waren, dieser erst abgedeckt und dann abgebaut wurde, ließ eine Reaktion zu lange auf sich warten. Zu zögerlich kamen Entschuldigungen und Erklärungen, auch seitens der Veranstalter. Es hagelte Kritik.

Diese fiel auf fruchtbaren Boden, hatte es doch bereits im Vorfeld Vorwürfe gegen israelfeindliche Künstlergruppen gegeben. Die Befürchtungen bewahrheiteten sich. Bis heute fragt man sich, warum keine Vorkehrungen getroffen wurden. Und auch als es schon brodelte: Wo blieb der Dialog? Wo das versprochene Miteinander und die Selbstreflexion? Überraschenderweise hatte das auch Ruangrupa selbst gestört, wie Mitglieder Ende August nachträglich kundtaten. Sie wären nicht gehört worden, es sei niemandem daran gelegen gewesen, ein Gespräch zu führen. Man fragt sich: Haben alle die ganze Zeit aneinander vorbeigeredet?

Anstatt gemeinsam einen Ausweg zu finden, schob man sich gegenseitig die Verantwortung zu, die niemand tragen wollte. Die Veranstalter sahen die Kontrolle bei Ruangrupa, diese wollten diese nicht ausüben. Warum von Anfang an Kontextualisierungen der kritisierten Werke ausgeschlossen wurden, bleibt weiterhin ein Rätsel. Man hätte damit vieles retten können. Stichwort: Kompromiss. Doch die gesamte Documenta verfiel in Schockstarre. Irgendwann trat Generaldirektorin Sabine Schormann zurück. Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, zog sich als Berater zurück. Viele forderten die Schließung der Schau.

Unfairerweise wurde so die ganze Documenta unter Generalverdacht gestellt, und es ging komplett unter, dass die problematischen Beiträge nur einen Bruchteil ausmachten. Da war es aber längst zu spät. Die Bezeichnung "Skandal-Documenta" wurde zum geflügelten Wort. Man fand weitere antisemitische Beiträge. Und zu spät berief man eine Expertenkommission ein.

Der letzte Aufreger folgte kürzlich, als das Gremium den Stopp "hochproblematischer" propalästinensischer Propagandafilme forderte. Ruangrupa ging in die Gegenoffensive und warf den Expertinnen eine "rassistische Tendenz in einer schädlichen Struktur von Zensur" vor. Einigen konnte man sich bis zuletzt nicht.

Trotz allem zeigte sich die Documenta Fifteen mit den Publikumszahlen zufrieden. Nur 15 bis 20 Prozent weniger waren es als bei der Ausgabe 2017. Am Sonntag ist der Spuk nun endlich vorbei. Bei all den Verfehlungen wird diese Documenta jedenfalls nicht in Vergessenheit geraten. Jetzt sind mal fünf Jahre Pause. (Amira Ben Saoud, Katharina Rustler, 24.9.2022)