Auf wichtige Fragen der Zukunft, aber auch der Gegenwart haben wir keine Antwort.

Illu: Fatih Aydogdu

Eigentlich leben wir in einem extrem informierten Zeitalter. Nie zuvor in der Geschichte verfügte die Menschheit über so viel Wissen wie heute. Doch es fühlt sich nicht so an. Stattdessen herrscht weithin Ungewissheit, oftmals sogar Angst. Denn auf wichtige Fragen der Zukunft, aber auch der Gegenwart haben wir schlicht keine Antwort. Zwölf Dinge, die wir nicht wissen.

1. Wir wissen nicht, wie der Krieg in der Ukraine enden wird

Putin dachte, es werde alles ganz schnell gehen. Als im Februar russische Fallschirmjäger nahe Kiew landeten, lautete der Plan der russischen Führung, die ukrainische Hauptstadt schnell zu erobern. Die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj sollte rasch ausgeschaltet und eine sofortige Kapitulation der Ukraine erzwungen werden.

Nicht nur der russische Autokrat Wladimir Putin lag mit dieser Einschätzung weit daneben. Auch große Teile der Expertenschaft und Öffentlichkeit in den Staaten des Westens gaben sich bis vor kurzem überzeugt: Die Ukraine habe keine Chance gegen Russland, eine der stärksten Militärmächte der Welt.

Stattdessen hat sich gezeigt, dass das angegriffene Land viel besser dasteht als gedacht. Derzeit führen die Ukrainer eine erfolgreiche Gegenoffensive im Osten des Landes durch. "Die Fähigkeiten der russischen Armee wurden stark überschätzt", sagt Russland-Experte Gerhard Mangott.

Warum? Beobachter in Russland wie im Westen ließen sich unter anderem von einem großangelegten Modernisierungsprogramm der russischen Armee im Jahr 2009 täuschen, das offenkundig seinen Zweck nicht erfüllt hat. Auch schlossen sie von erfolgreichen Militäroperationen Russlands auf der Krim im Jahr 2014 und in Syrien 2015 darauf, dass auch in der Ukraine ein russischer Sieg bevorstehe. Dabei würden sich diese früheren Einsätze gehörig von dem "Flächenkrieg" von heute unterscheiden, so Mangott.

Aber lässt sich aus all dem schließen, wie lange der Krieg dauern wird? Und wie er letztlich endet? Keineswegs. Vieles deutet zunächst darauf hin, dass die Ukraine weiterhin gute Karten in der Hand hält. Das liegt nicht nur an großzügigen Militärhilfen des Westens, sondern auch am personalstarken und hochmotivierten ukrainischen Heer, das entschlossen ist, sein Land zu verteidigen. Putin hingegen blieb nur eine Möglichkeit, die Zahl seiner – vergleichsweise unmotivierten – Soldaten steigern: die eben verfügte Mobilmachung von Reservisten. Doch die ist zeitintensiv, aufwendig und innerhalb Russlands höchst umstritten, weil sie den Krieg von einem abstrakten Medienereignis direkt ins Leben vieler Russen holt.

Es bleiben also große Unbekannte. Wie wird Putin, in die Ecke gedrängt, auf weitere ukrainische Erfolge reagieren? Sollte etwa gar die Krim von einer Rückeroberung bedroht sein, warnen manche Militärexperten gar vor dem Einsatz von Nuklearwaffen durch Russland. "Andererseits halte ich auch eine Rückeroberung der russisch besetzten Gebiete bis auf die Krim durch die Ukraine für denkbar", sagt Philipp Eder, Militärstratege beim Bundesheer. Und er ergänzt ein alternatives Szenario: Der Krieg könnte sich zu einem "Frozen Conflict" weiterentwickeln – einem jahrelang köchelnden Kleinkrieg, vor allem im Osten des Landes.

Fazit: Wir wissen schlicht nicht, wie der Ukraine-Krieg weitergehen wird. Fest steht nur, dass kein baldiges Ende zu erwarten ist. "Sicherlich noch den kommenden Winter" werde all das andauern, schätzt Mangott.

2. Wir wissen nicht, ob wir in eine Rezession rutschen

Rezession, darunter versteht man, dass die Wirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen schrumpft. Derzeit deutet viel darauf hin, dass das passieren könnte: Die Inflation verringert die Kaufkraft der Menschen in Österreich massiv, weswegen sie weniger Geld ausgeben und weniger Nachfrage von ihnen ausgeht. Die Unternehmen wiederum stöhnen unter hohen Energiepreisen.

Doch ob die Rezession wirklich kommt und wie schlimm sie wird, weiß man nicht. Das Wiener Wifo, Österreichs größtes Wirtschaftsforschungsinstitut, ging in seiner Konjunkturprognose vom Juni noch von 4,3 Prozent realem Wirtschaftswachstum für 2022 aus: ein ganz ordentlicher Wert. Aber: "Die wirtschaftliche Erholung verliert an Schwung", so das Wifo. Für nächstes Jahr werden nur noch 1,6 Prozent Wachstum erwartet.

In anderen Staaten ist man weit pessimistischer: In Deutschland prognostizieren Ifo-Institut wie auch Bundesbank bereits eine Rezession; in den USA befindet man sich gar schon in ihr. Ob sich in Österreich die Situation ähnlich eintrübt, hängt von vielerlei Faktoren ab: Kommt der Gasfluss aus Russland wirklich völlig zum Erliegen? Werden die Energiepreise weiterhin derart hoch bleiben? Gelingt es der Regierung mit ihren zahlreichen Hilfsmaßnahmen, die finanzielle Situation der Menschen trotz Inflation zu stabilisieren, sodass sie weiterhin ihr Geld ausgeben? Fest steht nur: Der Wirtschaftsaufschwung, der nach der Corona-Pandemie zu beobachten war, ist vorerst vorbei.

3. Wir wissen nicht, was entlang unserer Lieferketten passiert

Die EU versucht derzeit, ihre Lieferketten zu regulieren – bei der Produktion von Waren, die nach Europa gelangen, sollen keine Menschenrechte verletzt und kein Wald abgeholzt werden, so das Ziel. Wie die Gesetze dazu genau gestaltet werden, ist noch offen. Etwa ist die Frage noch nicht geklärt, wie Unternehmen nachverfolgbar machen müssen, woher eine Ware genau kommt.

Ein Beispiel ist die Sojabohne, wie sie in Brasilien auf gigantischen Flächen angebaut wird und dann an Rinder und Hühner überall auf der Welt verfüttert wird. Die Nachfrage nach Soja hat sich in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt, heute sind allein die Soja-Anbauflächen in Südamerika größer als etwa der US-Bundesstaat Kalifornien. Entsprechend angewachsen ist auch die Produktion – und damit auch die Entwaldung. Auf der ständigen Suche nach neuen Ackerflächen werden Regenwälder und Steppen zerstört.

Zwar gibt es Moratorien der Soja-Industrie, keine Lieferungen von Soja entgegenzunehmen, das auf abgeholzten Flächen angebaut wurde. Doch so ganz scheinen sie bislang nicht zu greifen – nicht zuletzt, weil der Markt völlig intransparent ist. Einen Sack Soja bis zu seiner Anbaufläche zurückzuverfolgen ist in den meisten Fällen nicht möglich.

Noch weniger lässt sich nachvollziehen, welche Pestizide für den Soja-Anbau eingesetzt wurden. Dabei wäre gerade dabei Transparenz wichtig: Heute zeigt sich die abstruse Dynamik, dass viele Pestizide zwar in Europa verboten werden, dann aber etwa nach Brasilien verkauft werden – und die dort angebauten Sojabohnen dann wieder nach Europa zurückkommen. Auch entlang dieser Lieferkette bräuchte es mehr öffentliche Information.

4. Wir wissen nicht, wie lange die Preise noch weiter steigen

Abzuschätzen, wie lange die Preise in Österreich und der Eurozone weiter steigen werden, kommt dem Blick in die Glaskugel gleich. Die Erwartungen offizieller Stellen verschieben sich laufend – derzeit leider meist nach oben. Die EZB beispielsweise schätzte Mitte August die künftigen Inflationsraten in der Eurozone auf 7,5 Prozent (für heuer), 4,5 Prozent (2023) und drei Prozent (2024). Nur drei Monate zuvor, im Mai, war die EZB noch deutlich optimistischer. Da war von 6,3 Prozent (heuer), 3,5 Prozent (2023) und 2,5 Prozent (2024) die Rede.

Ein wichtiger Grund, warum die Prognosen derart schwanken, liegt in den rasant steigenden Energiepreisen. Von ihnen hängt die Inflation großteils ab. Und ebendiese Energiepreise verändern sich ja nach dem Fortgang weltpolitischer Entwicklungen, die derzeit niemand abschätzen kann. Da wäre vor allem der Krieg in der Ukraine, der zu einem völligen russischen Gasstopp für Europa führen könnte. Es spielt aber etwa auch die Frage hinein, wann in China wieder Wirtschaftsaufschwung einsetzt: Dieser würde den dortigen Energieverbrauch erhöhen und damit die Preise international weiter hochtreiben.

Als wäre all der Unsicherheit noch nicht genug, sei noch hinzugefügt, dass auch Inflationserwartungen selbst die Inflation beeinflussen. Glauben die Menschen nämlich an steigende Preise, geben sie schneller ihr Geld aus – und treiben damit die Preise erst recht höher. Was wissen wir also über die weitere Entwicklung der Preise? Rein gar nichts.

Illu: Fatih Aydogdu

5. Wir wissen nicht, wie viel CO2 die Bundesländer heuer ausstoßen

Ab 2023 sollen die Verkehrsemissionen der Stadt Wien sinken – zwei Jahre später wird gewählt. Dann ist naheliegend, dass die Wählerinnen und Wähler wissen wollen: Wird die amtierende Regierung den Klimazielen gerecht? Wer sich dazu ein Bild machen will, wird allerdings auf ein Problem stoßen: Die offiziellen Emissionsdaten werden immer erst zwei Jahr später veröffentlicht, meist im November und damit nach der Wahl.

Derzeit müssen Vorhersagen zu den Gesamtemissionen des Landes die Lücke schließen, wie sie etwa das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung neuerdings in seine vierteljährliche Konjunkturprognose integriert. Im Juli zeigte diese: Um die Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen, reicht das aktuelle Tempo nicht.

Daten zu den einzelnen Bundesländern und zu den verschiedenen Sektoren – etwa den Verkehr – können die Prognosen nicht bieten: Es bleibt bei den zwei Jahren Verzögerung. Fest steht nur: Die Emissionen sind derzeit in allen Szenarien so hoch, dass sie die Klimaziele sprengen würden.

6. Wir wissen nicht, wie viel die Reichsten im Land besitzen

Österreich, so viel steht fest, ist ein Land mit hoher Vermögensungleichheit. Laut Arbeiterkammer besitzt das reichste Prozent rund 40 Prozent des gesamten Nettovermögens, während die komplette ärmere Hälfte gemeinsam gerade einmal 2,5 Prozent besitzt. Doch bei genauem Blick zeigt sich: Wie viel die Reichsten besitzen, weiß man schlicht nicht. Die Vermögensverteilung basiert auf einer Erhebung der Nationalbank.

Sie befragt alle paar Jahre rund 2000 Haushalte auf freiwilliger Basis über ihre Vermögenssituation. Dass sich unter den befragten Haushalten ein superreicher findet, ist reichlich unwahrscheinlich – und wenn, dann wird man wohl ungern Auskunft über das eigene Vermögen geben. Demgemäß schätzt die Nationalbank einfach, was oben noch hinzukommen könnte: zum Beispiel mithilfe von Reichenrankings in Medien. Genaue Daten über die Vermögensverteilung wären zwar enorm wichtig für die Politik, etwa in Steuerfragen – doch es gibt die Informationen schlicht nicht.

7. Wir wissen nicht, wie viel weniger russisches Gas Österreich verbraucht

Es ist eine der zentralen Zahlen in der Energiekrise: Wie sehr ist Österreichs Abhängigkeit von russischem Gas bereits gesunken? Der Anteil sei von 80 auf 50 Prozent zurückgegangen, propagiert die grüne Energieministerin Leonore Gewessler stolz. Aber stimmt das auch? Genau genommen handelt es sich bei den 50 Prozent um eine – wenn auch plausible – Prognose. Sie bezieht sich auf die kommende Heizsaison und berücksichtigt vor allem umfangreiche neue Leitungskapazitäten der OMV aus Nordeuropa. In Wahrheit lag der Anteil russischen Gases laut Statistik Austria zumindest bis zum vergangenen Juni dort, wo er von jeher lag: bei knapp über 80 Prozent. Für danach gibt es keine validen Daten: Der Anteil liegt derzeit wohl irgendwo dazwischen.

8. Wir wissen nicht, wann die Malediven untergehen

Schlägt ein Schmetterling in Brasilien mit den Flügeln, kann das einen Tornado in Texas auslösen, erklärte der Meteorologe Edward Lorenz in den 70er-Jahren seine Arbeit in der Chaosforschung. Er prägte damit ein Bild, das veranschaulicht, welch große Auswirkungen kleine Veränderungen auf der Welt haben können.

Mit der Erderhitzung verhält es sich ähnlich: Eine Veränderung an einem Ort kann eine Kettenreaktion an vielen anderen Orten der Welt auslösen. Innerhalb dieser Reaktion gibt es sogenannte Kipppunkte im Klimasystem. Werden sie überschritten, kommt es zu plötzlichen Umbrüchen und irreversiblen Schäden. Wann genau diese Punkte erreicht werden und welchen Dominoeffekt sie wiederum auslösen, ist aber: ungewiss. Da wäre zum Beispiel der Eisschild Grönlands: Angenommen, das gesamte dort gefrorene Wasser würde ins Meer fließen, dann würde der Meeresspiegel um rund sieben Meter steigen. Große Teile heute bewohnter Gebiete lägen dann unter Wasser – die europäischen Städte Hamburg und Barcelona zum Beispiel, aber auch ganze Länder wie die Malediven.

Aber die Schmelze des Eisschilds lässt nicht nur den Meeresspiegel steigen. Sie beeinflusst auch die atlantische Umwälzströmung (kurz AMOC), besser bekannt als Golfstrom, welche wiederum das Klima in Europa sowie Regenfälle in Südamerika prägt. Die Veränderungen könnten den Amazonas an seinen Kipppunkt stoßen. Bereits eine Erhitzung von 1,5 Grad könnte diesen Dominoeffekt in Gang setzen – ein Punkt, der laut Vorhersagen schon 2031 erreicht werden könnte. Ob der Eisschild Grönlands seinen Kipppunkt dann erreicht, weiß niemand genau. Die Wissenschaft spricht bei 1,5 Grad von einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent. Forschende warnen: Hier braucht es mehr Klarheit, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen und um die CO2-Reduktion mit noch mehr Nachdruck zu fordern.

Auch dazu, wie viel CO2 weltweit noch ausgestoßen werden kann, um die Klimaziele zu erreichen, gibt es eine bloße Wahrscheinlichkeitsrechnung – unter anderem auch, weil wir schlicht nicht wissen, wann die verschiedenen Kipppunkte erreicht werden. Sicher ist aber: Wir sind knapp davor.

Und hier gibt es noch mehr Unsicherheit: Was passiert, wenn Regionen, aber auch ganze Länder im Meer verschwinden? Klar ist nur, dass wir geradewegs darauf zusteuern – umso dringender wäre es, hier einen Mechanismus zu finden, wo die Menschen versinkender Länder ein neues Zuhause finden sollen. Eine Art Genfer Konvention in Bezug auf Klimaschäden? Die wird es mit Sicherheit brauchen.

Illu: Fatih Aydogdu

9. Wir wissen nicht, was die OMV mit Russland vereinbart hat

Österreichs größter Industriekonzern, die teilstaatliche OMV, importiert Gas aus Russland. Wie genau die Lieferverträge mit der Gazprom aussehen, diese Information wäre zur Bewertung der Versorgungssicherheit am heimischen Energiesektor zwar äußerst wichtig – aber man kennt sie nicht. Sie bleiben geheim, denn es handelt sich um Vertragsbeziehungen privatwirtschaftlich geführter Unternehmen. Fest steht: Es kommt weniger russisches Gas als vereinbart. Im vergangenen Sommer waren es, je nach Tag, 50 bis 70 Prozent weniger. Im Juli räumte OMV-Chef Alfred Stern ein, dass "uns vertraglich größere Liefermengen zustehen", als geliefert würden. Aber folgen darauf nun Strafzahlungen oder Schadenersatzforderungen? Und wie sehen ganz generell die Abmachungen aus, mit denen sich die OMV bis ins ferne Jahr 2040 Gas aus Russland gesichert hat? Keine Antworten.

10. Wir wissen nicht, ob wir im Winter heizen können

Zunächst die gute Nachricht: Es sieht danach aus, dass im kommenden Winter die Häuser und Wohnungen in Österreich warm bleiben. Zumindest ist es wahrscheinlicher als noch vor einigen Monaten. Über den Sommer haben sich Österreichs Gasspeicher nämlich – ausgehend von historischen Tiefständen – ordentlich gefüllt. Der Füllstand beträgt nun 74 Prozent; das gesetzlich fixierte Ziel der türkis-grünen Regierung, mit Beginn der Heizsaison bei 80 Prozent zu liegen, erscheint damit in Reichweite.

Nicht nur das sollte für Beruhigung sorgen. Auch hat die Regierung per Gesetz beschlossen, eine strategische Erdgasreserve im Staatseigentum anzulegen. Sie wird mit Anfang November 20 Terawattstunden umfassen: Das entspricht ungefähr der Menge, die Österreichs Privathaushalte pro Jahr verbrauchen.

Nicht zuletzt gibt es technische Gründe, die eher Anlass zur Entwarnung geben: Selbst wenn Speicher ziemlich leer sind, können Private noch beliefert werden – wegen des geringen Gasdrucks. Auch können einzelne Haushalte gar nicht vom Gasnetz abgeriegelt werden: Das ist technisch unmöglich.

Sind wir also vollends über den Berg, was einen etwaigen Gasnotstand im kommenden Winter betrifft? Nicht ganz. Gas in Österreichs Speichern einzulagern liegt in der Verantwortung privater Unternehmen. Sie können über ihren Rohstoff frei verfügen: Viel Gas in Österreichs Speichern gehört beispielsweise italienischen, slowenischen und deutschen Firmen und ist für deren Kunden im Ausland bestimmt – wie viel genau, verraten die Speicherbetreiber nicht. Aber auch österreichische Einlagerer, etwa die teilstaatliche OMV, sind privatwirtschaftlich und international agierende Unternehmen. Sie können, wenn sie wollen, ihr Gas auch an ausländische Kunden verkaufen, etwa weil diese dafür mehr zu zahlen bereit sind als die Österreicher. Lediglich von der staatlichen Reserve weiß man mit Sicherheit, dass sie im Notfall zur Gänze der Deckung des österreichischen Bedarfs dienen wird.

Österreichs Notfallpläne jedenfalls sehen vor, dass bei einem Gasstopp zuerst die Haushalte zu versorgen sind und erst danach die Unternehmen. Ein völliges Ausbleiben des Gases für Private ist in den Krisenszenarien des Klimaministeriums nicht einmal vorgesehen, so undenkbar erscheint es.

Fazit: Vieles deutet darauf hin, dass – zumindest für Private – keine echte Versorgungskrise mehr im kommenden Winter droht. Sondern vielmehr weiterhin eine Preiskrise. Gas wird also wohl zur Verfügung stehen, allerdings extrem teuer. Unternehmen werden von den Knappheiten weit stärker betroffen sein als Private. Was jedoch passiert, wenn der Winter kälter und das Gas doch noch knapper wird als erwartet, muss offenbleiben.

11. Wir wissen nicht, wie Chinas Wirtschaftskrise auf Europa zurückfallen wird

Chinas Null-Covid-Politik und die harten Lockdowns wie jener in der Finanzmetropole Schanghai dämpfen die Konjunktur des Landes stark – schlittert China also in eine Wirtschaftskrise? Auch auf Europa würde sie abfärben, zählt das Land doch zu Europas wichtigsten Handelspartnern.

Vor diesem Hintergrund, so würde man meinen, müsste Europa großes Interesse daran haben, die chinesische Wirtschaft zu analysieren und Prognosen zu treffen. Dabei gebe es allerdings große Lücken, erklärt Christian Göbel von der Universität Wien. Etwa sei nicht klar, wie zuverlässig das Wirtschaftswachstum Chinas und wie riskant seine Verschuldung sei – unter anderem, weil nur wenig über die Kredite bekannt sei, die dafür aufgenommen würden.

Informationen dazu gibt es, doch sie sind verstreut und müssten mühselig zusammengetragen und ausgewertet werden. "Dafür haben wir in Europa heute zu wenige Experten", warnt Göbel.

12. Wir wissen nicht, wann und wie die Corona-Pandemie besiegt sein wird

Ist die gesamte Weltbevölkerung potenziell einem Krankheitserreger ausgesetzt, dann spricht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) von einer Pandemie – oder genauer: von einer "gesundheitlichen Notlage mit internationaler Tragweite". Am 11. März 2020 rief sie eine solche für das Coronavirus aus – in vielen Ländern auf der Welt wurden Lockdowns verhängt, Grenzen geschlossen und der wirtschaftliche Betrieb auf Sparflamme gestellt. Heute läuft das Leben zumindest in Europa wieder in gewohnten Bahnen, vorbei ist die Notlage offiziell nicht.

Wann es so weit ist, entscheidet die WHO anhand der Empfehlung eines Teams internationaler Experten, das sich seit Pandemiebeginn alle drei Monate trifft. Anhand welcher Grundlage sie entscheidet, ist allerdings so unklar wie folgenschwer. Etwa geben einige Pharmafirmen den Impfstoff aktuell günstiger her: Werden sie das auch nach dem Ende der Notlage tun? Außerdem haben sich die Staaten dazu verpflichtet, den Empfehlungen der WHO zu folgen. Das würde mit dem offiziellen Pandemie-Ende wegfallen. (Joseph Gepp, Alicia Prager, 24.9.2022)