Während Brunner über den "Corona-Wahnsinn" referiert, wird das ein oder andere Schnitzel verputzt.

Foto: Heribert Corn

Der Auftritt ist bereits sehnlichst erwartet worden. Als sich am frühen Freitagabend auf einer kleinen Bühne bei einem Heurigen im Süden Wiens der erwartete Gast zeigt, jubelt das Publikum. Endlich ist der Kasperl da.

Der Gastgarten vom "Zum Werkelmann", am Tor zum Vergnügungspark Böhmischer Prater im herbstlich gefärbten Laaer Wald, ist etwa zur Hälfte besetzt. Im Lauf des Abends werden sich noch mehr Tische füllen. Wer schon da ist, trinkt Bier oder raucht – oder beides. Zwischen den Gläsern und Aschenbechern liegen Folder und Flugzettel bereit. "Dr. Michael Brunner – der Volkspräsident" ist darauf zu lesen. Ebenfalls abgedruckt: Ein Foto von besagtem Mann in Anzug.

Seinen großen Auftritt beim Heurigen absolviert dieser in Steppjacke. Aber erst, wenn der Kasperl fertig ist. "Ich habe das in meiner Kindheit immer gerne geschaut", sagt Brunner im Gespräch mit dem STANDARD. Damals, in den 1960ern, sei die Sendung immer am Mittwoch gewesen, versucht er sich zu erinnern.

Die Kinder, die vor der grün lackierten Kasperlbühne am Rande des Gastgartens Platz genommen haben, jubeln. Ob er sich mit der Kasperlfigur identifizieren könne? "Nein", sagt Brunner und lacht. "Ich habe ihn nur immer gerne gesehen."

Präsidentschaftskandidat Michael Brunner ist bekennender Kasperl-Fan.
Foto: Heribert Corn

Fast drei Monate sind vergangen, seit der Corona-Maßnahmen-Gegner und Impfkritiker seine Kandidatur als österreichischer Bundespräsident bekannt gegeben hat. Und fast zwei Wochen dauert es noch, bis die Wahl geschlagen sein wird. Das bedeutet auch: Noch fast zwei Wochen, um auf Stimmenfang zu gehen.

Brunner auf Tour

Das macht Brunner dieser Tage sehr intensiv – und er hat es auch besonders nötig. Laut einer aktuellen Umfrage käme er am 9. Oktober auf zwei Prozent der Stimmen. Gemeinsam mit Heinrich Staudinger bildet er damit das Schlusslicht. Brunner lässt das kalt: Wie spätestens seit seinem jüngsten ZiB-2-Auftritt bekannt ist, misst er derartigen "Systemumfragen" keine Bedeutung bei.

Wenige Stunden vor dem Termin im Böhmischen Prater war der Rechtsanwalt noch in Tirol, um seine MFG-Partei vor der dortigen Landtagswahl am Sonntag zu unterstützen. "Wir gehen gesichert von einem Einzug aus", sagt Brunner. Am Samstag fährt er in die Steiermark, am Sonntag auf Oberösterreich-Tour. Spezielles sei für die letzten 14 Tage Wahlkampf nicht mehr geplant, sagt Brunner. "Der Kontakt mit den Menschen war ohnehin immer etwas Besonderes."

Michael Seida ist für Brunner so etwas wie die John Otti Band für die FPÖ.
Foto: Heribert Corn

Nach den Kindern wird auch das Hauptpublikum aufgewärmt. Das erledigt Michael Seida. Der "Sänger, Moderator und Mentaltrainer" mit Cowboyhut ist für den Präsidentschaftsanwärter so etwas wie die John Otti Band für die FPÖ. Dann tritt Michael Brunner ans Mikrophon.

Neugierige Zaungäste

In seiner mehr als 30 Minuten langen Rede schlägt der 61-Jährige den Bogen von den Anfängen der Pandemie ("Der Rechtsstaat lag im Koma"), über die Passivität der anderen Präsidentschaftskandidaten im "Corona-Wahnsinn" ("Warum habt ihr nicht gehandelt?") bis hin zu seinem Lieblingsthema: der behaupteten überbordenden Übersterblichkeit durch die Impfung. Er spricht ruhig, über seinem Kopf baumelt eine bunte Lichterkette.

Die Deko ist dezent: Auf den Tischen sind Folder und Flugzettel zu finden, neben der Bühne zwei Beachflags mit dem MFG-Logo.
Foto: Heribert Corn

Das Publikum lauscht gespannt, es klatscht und ruft an den richtigen Stellen "Bravo". Nebenbei wird das eine oder andere Schnitzel verputzt. Eine Frau sticht aus den eher älteren, leger gekleideten Zuschauerinnen und Zuschauern heraus: Sie hat asiatische Gesichtszüge, trägt einen feinen weißen Pullover zu einem rot-karierten Rock und nippt an einer Tasse Kaffee. Sie stamme nicht aus Österreich und wolle etwas über das Land lernen, erzählt sie. Deshalb sei sie hier.

Ein paar Tische weiter fallen ein Mann mit längeren Haaren und eine blonde Frau auf, die die anderen Gäste mustern und tuscheln. Nein, Brunner-Fans seien sie nicht, sagt der Mann. Sein Grinsen fügt hinzu: im Gegenteil. "Aber als wir das gesehen haben, haben wir uns gedacht: ,Trink ma ein Bier und schauen wir uns das an.'"

Auftritt Robert Marschall

Brunner ist mittlerweile bei der Fragerunde angelangt. Zwei Ärztinnen stehen auf und bedanken sich bei ihm für den Beistand im Kampf gegen die "Vergiftung". Ein Mann mit Ganzkörper-Jeansoutfit und deutlich hörbarem Meidlinger "L" fragt Brunner nach seiner Expertise zur "Verantwortlichkeit" von Politikern. Und eine besorgte Mutter zeigt sich verängstigt über Corona-Tests, denen Brunner auf offener Bühne "Toxizität" unterstellt.

T-Shirts mit Brunners Silhouette sowie Regenschirme, Kapperln oder Thermosflaschen mit MFG-Logo sind gegen eine Spende zu haben.
Foto: Heribert Corn

Schließlich meldet sich ein Mann zu Wort, der beinahe Brunners Konkurrent geworden wäre. Robert Marschall, der an der Hürde von 6.000 Unterstützungserklärungen scheiterte, ist dieser Tage ein oft gesehener Gast bei öffentlichen Auftritten von Präsidentschaftskandidaten. Wenn er schon nicht selbst im Rennen ist, betreibt er eine Website zur Hofburg-Wahl – und nutzt derartige Veranstaltungen für Recherchen.

Herzschmerz zum Abschied

Zum Schluss kommt noch einmal Seida auf die Bühne. "Liebe wird's immer geben, Liebe is afoch sche", singt er. "Weg von Ego, weg von Schmerz. Was die Welt braucht ist vü mehr Herz." Es wird geschunkelt.

Der Mann mit den langen Haaren und die blonde Frau bekommen das nicht mehr mit. Die beiden Schaulustigen haben längst ausgetrunken und ihren Tisch verlassen. Womöglich ist ihnen das Grinsen vergangen. (Stefanie Rachbauer, 23.9.2022)