Eine der Drohnen über Odessa.

Foto: Reuters / Serhii Smolientsev

Odessa – Am Hafen von Odessa simmerten noch die letzten Glutnester, als in Kiew ein neues Feuer ausbrach. Anders als im ersten Fall beschränkten sich die Folgen letzteren auf die diplomatische Front. Per Twitter bestätigte Oleg Nikolenko, der Sprecher des Außenministeriums der Ukraine, was Präsident Wolodymyr Selenskyj bereits am Vorabend angekündigt hatte. Ihr Land entzieht dem Botschafter des Iran mit sofortiger Wirkung die Akkreditierung. Weiteren Beamten der Islamischen Republik, die in der ukrainischen Hauptstadt ihren Dienst versehen, wurde ebenfalls unmissverständlich die Ausreise nahe gelegt. Der drastische Schritt bildet die bislang letzte Konsequenz einer Eskalation der russischen Kriegsführung, die am Freitagnachmittag im Süden der Ukraine eine neue Stufe erreichte.

Angriff ohne Vorwarnung

Kurz vor drei Uhr nachmittags war die Innenstadt von Odessa zum Ziel der Attacke eines von der russischen Schwarzmeerflotte ausgeschickten Drohnen-Schwarms geworden. Der Angriff auf die wichtigste Hafenstadt des Landes erfolgte so unvermittelt wie plötzlich. Während sich die Ankunft von russischen Marschflugkörpern sonst durch das Heulen der Sirenen der Luftabwehr ankündigt, gab es diesmal keinerlei Vorwarnung. Entsprechend setzte auf den Straßen der Schwarzmeer-Metropole, die vor dem Krieg über eine Million Einwohner hatte, in der Sekunde, in der die Drohnen am Himmel über dem Zentrum sicht- und hörbar wurden, kurzfristig Panik ein.

Während die gleichermaßen überraschte Luftabwehr aus allen Rohren feuerte, suchten die Menschen Deckung in Hauseingängen, Innenhöfen und allem, was sonst irgendwie Schutz versprach. So laute wie gefühlt endlose Flak-Salven, Sirenen im Dauereinsatz, mit Maschinengewehren in die Luft feuernde Soldaten, immer wieder durchbrochen von Einschlägen und Explosionen: Eine runde Viertelstunde lang fühlte es sich an, als ob Odessa, das rund 100 Kilometer westlich der Frontlinie liegt und trotz regelmäßiger Raketenangriffe bisher von gröberen Kampfhandlungen weitgehend verschont worden war, endgültig im Krieg angekommen war.

Zwei Tote, zwei Verletzte

Als sich die Lage wieder einigermaßen beruhigt hatte, lag über der Innenstadt jener Art von Schleier aus Rauch und Pulverdampf, den man sonst nur aus umkämpften Städten wie Charkiw kennt. Im Vergleich zu der Intensität, mit der die Odessiter den Angriff wahr nahmen – keine fünf Minuten, nachdem der Himmel über der Stadt wieder frei war, stellten viele von ihnen per Smartphone aufgenommen Videos online, deren Inhalte von dem allgemeinen Schock zeugten – fiel seine Bilanz laut den lokalen Militärbehörden am Ende relativ glimpflich aus: zwei Tote, zwei schwer Verletzte, vier zerstörte Gebäude.

Die Tatsache, dass sich die Schäden und Verluste in Grenzen hielten, verdankte Odessa laut den Leuten, die für seine Verteidigung verantwortlich sind, dem Umstand, dass von den insgesamt acht Drohnen trotz ihrer späten Entdeckung sechs abgeschossen werden konnten. Wiewohl sich diese Angaben nicht letztgültig überprüfen lassen, herrscht indes kein Zweifel darüber, was ihr Fabrikat angeht.

Bei den von Russland nach Odessa geschickten Drohnen, die laut übereinstimmenden Angaben westlicher Militärexperten bereits seit Wochen auch an der Front eingesetzt werden, handelt es sich um Kriegsgerät made in Teheran. Konkret um so genannte Unmanned Aerial Combat Vehicles (UACVs) vom Typ Shahed-136 und Mohajer 6, die das iranische Regime in den vergangenen Monaten Richtung Moskau geschickt hat. Bereits im Juli hatte die US-Regierung verlautbart, dass der Kreml erfolgreich auf die Lieferung der Drohnen gedrängt habe, die beträchtliche Aufklärungs- wie Angriffskapazitäten haben. Mittlerweile sollen mehrere hundert davon im Besitz der russischen Streitkräfte sein, deren Piloten zudem von iranischen Experten im Umgang mit ihnen geschult werden. Entsprechend fürchten jetzt nicht nur in Odessa viele Menschen, dass es sich bei dem Angriff am Freitag nur um einen Testlauf gehandelt habe. (Klaus Stimeder, 25.9.2022)