
Die Maske der Beherrschung tarnt den unbändigen Hass: der norwegische Massenmörder Anders Breivik, hier als Antragssteller auf Verminderung seiner Haftstrafe 2022.
Wäre der Hass ein guter Bekannter, er gliche wohl einem Störenfried: ein permanenter Hausfriedensbrecher, dem man dennoch schwerlich die Tür weisen kann. Auf der Tagung des Philosophicum Lech am Arlberg genoss er dieser Tage, als unsichtbares Wutgespenst, alleiniges Heimrecht. Wäre der Hass ein Narzisst, er hätte die 25. Auflage des Alpen-Symposiums in vollen Zügen genossen.
Bereitwillig ließ sich das Monster von allen möglichen Seiten betrachten, sezieren – und, mit Rücksicht auf seine sozialen Bindungskräfte, voller Besorgnis überprüfen. In aller Vorläufigkeit lässt sich sagen: "Hass spricht" nicht nur (Judith Butler). Noch mehr taugt er dazu, besprochen zu werden. Das Zeugnis, das ihm dabei von Philosophen, Politologinnen und Analytikern aller Couleurs ausgestellt wird, gleicht in jeglicher Hinsicht einer Katastrophe.
Unter der kundigen Anleitung von Konrad Paul Liessmann erwiesen ihm die unterschiedlichsten Beiträgerinnen ihre Reverenz, im sport.park.lech, der einer gigantischen Barbarossa-Höhle im Erdreich des Arlbergs gleicht. Hass, so der übereinstimmende Befund, stimuliere die zerstörerischen Kräfte im Menschen. Als Regung, die mobilisiert, ist er dennoch nicht leicht abzutun: Hass stelle eine Art Weltbezug her. Er trägt somit, nolens volens, etwas zu ihrer Erhellung bei.
Umso mehr hat er am Kerbholz. Er ist aversiv und richtet sich fast ausschließlich gegen Menschen und Menschengruppen. Hassende stehen zumeist im Bann erlittener oder auch nur eingebildeter Demütigungen. Der Hass unterhält geschwisterliche Beziehungen zur Wut, zum Zorn, zur Verachtung und, wie wir seit Max Scheler wissen, zum Ressentiment. Sie alle übertrifft er als Steigerungsgeschehen. Als solches nimmt er, je nach Intensitätsgrad und mit zunehmender Verbohrtheit, rasch exterminierende Züge an.
Angemaßte Moralität
Mit dem Hass ist nicht gut Kirschen essen. Er neigt zur überzogenen Tathandlung. Zu seiner eigenen Rechtfertigung trägt er gerne das Jäckchen angemaßter Moralität. Er lodert dann im scheinbar gerechten Zorn auf und gibt sich wohlfeil als Empörung aus, so der Jenaer Philosoph Christoph Demmerling. Auch die seelische Selbstvergiftung lässt sich hinlänglich rationalisieren.
Was tun mit dem hochenergetischen Beförderer von Missgunst und Gewalt? Demmerling, von Haus aus eher ein Vertreter der analytischen Philososphie, plädierte für den aktiven Einbezug aversiver Gefühle in das Geschehen gesellschaftlicher Verständigung. Not tue eine Art "Offenheit für eine Kultur der Ablehnung". Womit Demmerling die Selbstverpflichtung auf zivile Verständigungsnormen anmahnte.
Warnend auch der Hinweis seiner Berliner Kollegin Hilge Landweer: Hass – er tritt durchwegs personenbezogen auf – werde häufig durch Verachtung gepäppelt und genährt. Wer sich zur Haltung drohender Überlegenheit aufrichtet, vermag sein Gegenüber zu "verdinglichen". Erst auf einem solchen Gefälleboden entstehe die Disposition zur Auslöschung des (oder der) "Anderen".
Die Behandlung von Hassphänomenen stellt die Therapeuten vor scheinbar unlösbare Probleme: Der Hass, als personales Monster betrachtet, spottet aller Bemühungen um Resozialisierung. Reinhard Hallers durch Empirie gesättigte Darstellung aller möglichen Hassdispositionen führte nicht nur zur Betrachtung von pathologischen Fällen wie dem des Massenmörders Anders Breivik. Von "malignem Narzissmus" (Otto Kernberg) bis zum sadistischen Frauenhass reicht das Angebot einschlägiger Störungen. Hass gewinnt auch deshalb Oberhand, weil er an seine Adepten äußerst geringe Ansprüche stellt: "Hass ist kognitiv nicht sehr anstrengend" (Haller).
Anerkennung der Differenz
So blieb es der Schweizerin Jeannette Fischer vorbehalten, die eigentlich skandalöse Dimension des Hasses herauszuarbeiten: mit den Mitteln der Psychoanalyse. Hass ist, als zu bannendes Gefühl, ein Stück weit unverfügbar. Die Analytikerin skizzierte die frühkindliche Entwicklung als permanentes, notabene gesellschaftlich vermitteltes Krisengeschehen. Im Unterlaufen der "Anerkennung der Differenz", die uns Menschen voneinander trennt, würden Abhängigkeiten hergestellt. Schuldverhältnisse entstehen, Demütigungen werden zugefügt. Das gesellschaftlich geschädigte "Ich" erfährt sich als inferior – und beginnt destruktiv zu hassen.
Er soll bereits als Dreijähriger ein "Monster" gewesen sein, so charakterisierte einst Anders Breiviks‘ Mutter ihren aus jeglicher Norm gefallenen Sohn. Ob der Norweger sich mit diesem Verdikt bereits als Kleinkind identifiziert hat? Um daraufhin die eigene Opferrolle auf andere, von ihm zu Vernichtende, zu projizieren? Fischers Stachel der Provokation saß tief. Tatsächlich bleibt die Charaktermaske des zähnefletschenden Hasses eine ewige Provokation: Indem sie mit dem darunterliegenden Gesicht ununterscheidbar verschmilzt. Die Ratlosigkeit darüber abgebildet zu haben, ist ein bleibendes Verdienst des 25. Philosophicums Lech. (Ronald Pohl, 25.9.2022)