Ungarns Regierungschef Viktor Orbán bewegt sich in kleinen Schritten.

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Nahezu im letzten Abdruck hat Ungarns Regierung am Freitagabend einen zweiten Gesetzesentwurf zur Korruptionsbekämpfung im Parlament eingereicht, um drohende EU-Mittel-Kürzungen in Höhe von 7,5 Milliarden Euro abzuwenden. Die EU-Kommission hatte vor mehr als einer Woche im Rahmen des neuen Rechtsstaatsverfahrens die Streichung von Förderungen in diesem Umfang in Aussicht gestellt. Denn die Regierung des Rechtspopulisten Viktor Orbán legt ihrer Ansicht nach "in systemhafter Weise Unfähigkeit, Versagen oder Unwillen" bei der Beendigung des Missbrauchs von EU-Geldern an den Tag. Zugleich hatte die Kommission nach einem intensiven Verhandlungsprozess mit Orbáns Delegierten dem Land noch eine Chance eingeräumt, durch entsprechende Gesetzesänderungen und neu zu schaffende Institutionen den Weg der Besserung zu beschreiten.

Die Gesetzesentwürfe, die die Orbán-Regierung am Montag und am Freitag vorlegte, versuchen an der Oberfläche, den Vorgaben der EU-Kommission zu folgen. Eine neue "Integritätsbehörde" soll gegen korrupte Ausschreibungsverfahren bei EU-geförderten Projekten einschreiten können. Ihr Leiter und sein Stellvertreter sollen unabhängige Experten oder Expertinnen werden, die eine internationale Findungskommission mit vorschlägt. Ernannt werden sie aber von Staatspräsidentin Katalin Novák auf Vorschlag von Rechnungshofpräsident László Windisch. Die beiden sind Orbán-Getreue.

Große Lücken

Der Teufel steckt ohnehin im Detail. Bei näherem Besehen stellt sich heraus, dass die "Integritätsbehörde" zwar prüfen und korruptionsverdächtige EU-Ausschreibungsverfahren zwei Monate lang stoppen kann. Aber eigenständig ermitteln darf sie nicht. Sie kann lediglich andere Behörden wie die Staatsanwaltschaft, die fest in der Hand von Orbán-Getreuen sind, zum Tätigwerden auffordern.

In ihrem Memo zur Androhung der EU-Mittel-Kürzungen schien die EU-Kommission die Latte ohnehin nicht besonders hoch gelegt zu haben. Im Wissen um die Grundzüge der von den Ungarn vorgeschlagenen Maßnahmen häufen sich darin Formulierungen wie "begrüßenswert" oder "geht auf die Bedenken der Kommission ein". Doch selbst vor diesem Hintergrund bleiben in den nun vorgelegten Gesetzesentwürfen große Lücken, wie etwa bei den Vermögenserklärungen von Politikern und Politikerinnen oder bei den von regierungsabhängigen Politikern und Oligarchen kontrollierten Stiftungen, denen die Regierung die meisten Universitäten überschrieben hat. Letztlich ist es Korruptionsbekämpfung in homöopathischer Dosierung.

Die EU-Kommission will sich bis zum 19. November darauf festlegen, ob sie an ihrem – im Umfang ohnehin milden – EU-Mittel-Kürzungsvorschlag festhalten will. Die Entscheidung trifft der EU-Rat mit einer qualifizierten Mehrheit der Mitgliedsländer. (Gregor Mayer aus Budapest, 25.9.2022)