Um gegenzusteuern, müsste sich die ÖVP personell und inhaltlich neu aufstellen.

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Der Absturz der Tiroler ÖVP ist beachtlich. Die Volkspartei, die als Liste Mattle angetreten war, und das ist schon ein Teil des Problems, kam bei der Landtagswahl am Sonntag auf 34 Prozent, das ist ein Minus von zehn Prozentpunkten. Für die ÖVP ist das schmerzhaft, aber sie feierte das wie einen Sieg: Es hätte noch schlimmer kommen können.

Unter Führung von Anton Mattle kam die ÖVP in Tirol auf 34 Prozent.
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Die Vormachtstellung der ÖVP in Tirol ist nicht gebrochen, aber schon infrage gestellt. Die ÖVP braucht nicht nur einen Partner, sie braucht eine Stütze. Und sie wird sich in absehbarer Zeit auch personell etwas überlegen müssen. Der Abgang des bislang amtierenden Landeshauptmanns Günther Platter kam doch recht unvermittelt. Spitzenkandidat Anton Mattle ist es nicht gelungen, ausreichend Fuß zu fassen und ernst genommen zu werden. Im Gegenteil: Der Wahlkampf, den Mattle führte, war von einer unfreiwilligen Heiterkeit getragen, mitunter an der Grenze zur Peinlichkeit.

Über das politische Personal konnte man sich in diesem Wahlkampf wirklich wundern. Das gilt freilich nicht allein für Mattle. Der hat sich so weit verbogen, dass er streckenweise nur komisch wirkte. Andere wiederum, wie etwa der Seilbahn-Kaiser Franz Hörl, nebenberuflich Nationalratsabgeordneter der ÖVP, waren ganz sie selbst, was der Partei auch nicht zur Ehre gereichte.

Von der Schwäche der ÖVP und dem Schwächeln der Grünen konnten SPÖ und FPÖ nur bedingt profitieren. Sie legten zwar zu, konnten den Riesenverlust der Schwarzen aber nicht in gleichem Ausmaß in Stimmen umsetzen. Sie stehen ohne großes Hurra als Koalitionspartner bereit, beide etwa gleich stark. Die ÖVP hätte die Wahl. Die FPÖ gilt allerdings auch in Tirol als politisches Schmuddelkind. Es ist unwahrscheinlich, dass sie es in die Regierung schafft, da hat sich die ÖVP zu eindeutig festgelegt.

Zeichen des Misstrauens

Ob Tirol tatsächlich eine schwarz-rote Regierung bekommt, was logisch wäre, muss noch ausverhandelt werden. Diese Koalition muss sich jedenfalls auf eine gestärkte Opposition gefasst machen: Die Tirolerinnen und Tiroler haben neben der FPÖ auch der Liste Fritz einen deutlichen Auftrag erteilt. Das ist ein Zeichen des Misstrauens gegen die herkömmliche Politik, von der sich immer mehr Menschen enttäuscht abwenden.

Für die Grünen wird sich das Regieren nicht mehr ausgehen, sie müssen nach zehn Jahren in der Landesregierung wieder zuschauen. Eine bittere Erfahrung, aus der auch die Grünen in Wien ihre Lehren ziehen müssen.

Karl Nehammer in Wien ist Kummer gewöhnt. Das Ergebnis in Tirol stärkt seine Position als ÖVP-Chef nicht, hebelt ihn aber auch nicht aus. Weiteres Unheil braut sich für den Kanzler zusammen, dunkler noch. Es wird bald in Niederösterreich gewählt – in Kärnten und Salzburg übrigens auch. Wenn es in Niederösterreich nicht läuft, und derzeit deutet vieles darauf hin, muss Nehammer um seinen Job bangen. Andererseits: Wer würde sich das jetzt antun wollen?

So wie es der ÖVP geht, verliert sie die Legitimation, als Regierungspartei den Führungsanspruch zu erheben. Um gegenzusteuern, wäre ein tiefgreifender Erneuerungsprozess notwendig, nicht nur personell, sondern inhaltlicher Natur – eine Neuorientierung, die für potenzielle Wählerinnen und Wähler nachvollziehbar ist. Aber so viel Kraft scheint die Volkspartei derzeit nicht zu haben. Da geht es ihr offenbar noch nicht schlecht genug. (Michael Völker, 25.9.2022)