Es gibt nicht viele Dinge, die so gut sind wie ein Sardellenbrot mit Butter. Für ein so bescheidenes Gericht kommt hier erstaunlich viel zusammen: Die Kunst, etwas so Widerspenstiges wie Getreide köstlich zu bekommen, trifft auf eine der Blüten der Weidewirtschaft und die hohe Schule des gereiften Fischs. Wenn die drei Komponenten von ausgesuchter Qualität sind, dann ist das ein Geschmackserlebnis, das berauschend sein kann.

Sardellenbrot ist wahrscheinlich das Essen, dass ich am öftesten geschätzten Gästen serviere. Nicht als Hauptspeise, aber als Amuse-Gueule, in Form handlicher, eine Sardelle großer Butterbrotbissen.

Makellosigkeit

Bei etwas, das aus so wenigen Zutaten besteht, müssen alle makellos sein, damit das Ergebnis überzeugt, der Star der Show, die essenzielle Zutat, ist aber meiner Meinung nach die Sardelle. Die guten sind ein Musterbeispiel dafür, wie wunderbar Haltbarmachen eine Zutat veredeln kann: Sie haben eine samtige Konsistenz mit zartem Biss, eine angenehme, aber nicht überfordernde Salzigkeit und einen unvergleichbaren Geschmack nach Meer und Fisch und Reife.

Harold McGee erklärt den Prozess folgendermaßen:

"The fish are headed and gutted, then layered with enough salt to saturate their tissue. This mass is then weighted down and held for six to ten months at a relatively high temperature, between 60 and 86oF/15–30oC. The fish can then be sold as is, or the fillets repacked in cans or bottles, or ground and mixed with oil or butter into a paste. Enzymes from the muscle, skin, blood cells, and bacteria generate many flavor components; and their concentration, together with the warm curing temperature, encour ages early stages of the browning reactions, which generate another range of aromatic molecules. The result is a remarkably full flavor that includes fruity, fatty, fried, cucumbery, floral, sweet, buttery, meaty, popcorn, mushroom, and malty notes."

Verschiedene Sardellen, aus dem Salz bzw. Öl geholt und zum Dekantieren aufgelegt. Und ja, das verbessert tatsächlich den Geschmack.
Foto: Tobias Müller

Die besten Sardellen kommen meiner (und vieler anderer Leute) Meinung nach aus Nordspanien (1), und sollten gekühlt gelagert werden, obwohl sie eingedost sind – sonst geht der Reifeprozess weiter, und sie verändern mit der Zeit ihre wunderbare Konsistenz und Farbe.

In einer Sardellenverkostung mit dem äußerst altfischaffinen Heinrich S. (er hat immerhin die größte private Fischsaucensammlung Wiens) hat Faro del Pescador gewonnen, ich halte außerdem Codesa (in Wien etwa beim Goldfisch) immer für eine gute Wahl. Heinrich S. empfiehlt noch Capriccio (die besonders fetten! Achtung: Kilopreis von etwa 450 Euro) und Revilla. Kollege Corti meint, dass bei Mangel an Alternativen auch die Supermarktware von Mayflower mit Genuss essbar ist.

Beim Brot bin ich eher ein Fan heller Sauerteigbrote – Christophsbrot vom Ströck ist zum Beispiel super, oder, etwas dunkler, das fantastische Wiederbrot – ich räume aber ein, dass auch Finn Crisp erstaunlich gut funktioniert. (Anm.: Ich bin einer der Macher des Ströck Backmagazins "Griffig und Glatt". Ich finde das Brot trotzdem super und bekomme keine Verkaufsprovision.) Die Butter ist die am wenigsten wichtige Komponente: Gute Supermarktware funktioniert tadellos. Sollte Ihnen aber gute französische Butter oder gar jene von "Anton macht Kes" unterkommen, ist ein Sardellenbrot eine würdige Verwendungsmöglichkeit.

Das Sardellenbrot, ein schwieriger Teilbereich der Essensfotografie.
Foto: Tobias Müller

Jetzt kann man natürlich sagen: Der Zauber des Sardellenbrots ist seine Einfachheit. Das Gericht ist so wunderbar, weil eben kein Tamtam drum gemacht werden muss. Brot, Butter, Sardellen, alles von unbedeutender Qualität, wird zusammen immer ziemlich geil schmecken, vor allem zu Bier und in den frühen Morgenstunden. (2)

Das Sardellenbrot lebt, etwa im Gartencafé Gumpendorf. "Den Kaffee fand ich nicht so gut, dafür das Sardellenbrot umso besser", fände ich einen schönen Titel eines Dirk-Stermann-Romans.
Foto: screenshot

Man kann aber auch das Bessere nicht automatisch als den Feind des Guten sehen, und auch nicht als seinen Ersatz, sondern als seine erfreuliche Ergänzung für besondere Tage. Ein unaufgeregtes Sardellenbrot im Eckkaffee büßt nichts seiner kulinarischen Würde und Größe ein, bloß weil das gleiche Gericht auch mit außergewöhnlichen Zutaten gemacht werden kann, mit ein wenig Liebe zum und Aufmerksamkeit fürs Detail verbessert oder gar als Inspiration und Referenz dienen kann für andere Gerichte.

Es folgen hier daher drei Variationen des klassischen Sardellenbrots, von sehr nah dran bis schon ziemlich weit weg vom Original. Weitere Ideen bitte posten!

Für die richtig gute Ware: Sardellenbrot mit geschlagener Butter

Die einfachste Variation des klassischen Sardellenbrots, und meiner Meinung nach schon ein ziemliches Upgrade – wenn da alles passt, ist das Ergebnis sehr nah dran an kulinarischer Perfektion.

Das Brot nicht einfach mit Butter bestreichen, sondern die Butter erst auf Zimmertemperatur kommen lassen, mit einem Mixer schön flaumig aufschlagen und dann großzügig aufs Weißbrot klecksen. Sardelle draufsetzen und am besten alles gemeinsam in den Mund stecken. Die geschlagene Butter fügt noch eine geile Konsistenzebene hinzu, und außerdem schmeckt Butter geschlagen immer noch einmal besser. Ich weiß nicht, warum, freue mich aber darüber.

Für die etwas günstigere Ware: Sardellentoast mit gegrillter Melanzani

Eine Sardellenbrot-Version, die Joar Torchia stets als Auftakt seines Menüs in der Malabar in Pisciotta serviert, auch, weil Pisciotta berühmt ist für seine Sardinen und Sardellen. Ein Bissen, zart rauchig, üppig, fischig, salzig, wunderbar gut.

Melanzani im Ganzen grillen oder im Backrohr unter Grillstufe braten, bis sie innen weich ist, etwa so.

Foto: Tobias Müller

Etwas abkühlen lassen, halbieren, das Fleisch mit einem Löffel herausholen und mit (Sherry-)Essig, einer Idee Chili und Fischsauce, am besten Colatura di Alici, abschmecken. Weißbrot toasten oder noch besser grillen, bis es knusprig und zart angebrannt ist. Mit einer halben Knoblauchzehe einreiben und das Brot in sardellenförmige Streifen schneiden. Mit ordentlich Melanzani bestreichen und mit je einer Sardelle krönen.

Für Low Carber: Sardellen mit Mozzarella, Zitrone und Minze

Die Idee dazu verdanke ich Alfio Visalli, einem sizilianischen Bottargaproduzenten und Koch, der mir diese delikate Vorspeise einmal mit Bottarga statt Sardellen serviert hat. Nachdem die beiden aber geschmacklich durchaus verwandt sind, und Mozzarella und Sardellen eine beliebte süditalienische Kombination sind (ganz entgegen hartnäckigen Gerüchten, Italiener würden Fisch und Käse nicht mischen), gibt es keinen Grund, auf Fisch statt Fischeier zu setzen.

Am besten kleine Mozzarellabällchen (Bocconcini) verwenden und nicht durch-, aber anschneiden, ganz so wie Sandwiches in Fastfood- und Bäckereiketten. Alternativ Mozzarella so wie möglich in Scheiben schneiden. Jedes Bällchen mit einer Sardelle, einer hauchdünnen Scheibe Zitrone und einem Minzblatt füllen und mit gutem Olivenöl beträufeln. Auf einmal in den Mund stecken und genießen. (Tobias Müller, 26.9.2022)

(1)

Kollege Corti sagt mir, dass die Nordspanier das Sardellenmachen von den Italienern gelernt haben, und zwar vor gar nicht so langer Zeit, als im Mittelmeer die Sardellen selten geworden sind und sich die Italiener auf die Suche nach Alternativen gemacht haben. Seither haben sie ihre Lehrmeister aber deutlich überflügelt: Italienische Sardellen, auch die guten aus Cetara, kommen nicht an die Spanier ran. Die Colatura finde ich allerdings noch viele Fischsaucentests später wirklich gut.

(2)

Ich bin zu jung, um mich an die große Zeit des Sardellenbrots zu erinnern, der Severin Corti, der schon etwas länger isst als ich, meint, es waren die 1970er-Jahre. In Italien gilt "Burro e Acciughe" interessanterweise als Inbegriff von 90er-Jahre-Essen, auch, wenn es auch immer noch weitverbreitet ist und zumindest im Süden auf sehr vielen Speisekarten steht. Erfreulicherweise ergibt eine kurze Google-Suche jedenfalls, dass das Sardellenbrot lebt: In Wien und Umgebung wird es etwa im Gartencafé Gumpendorf angeboten, das Café Else im zweiten Bezirk hat es im Programm, und der Heurige Windischbauer wirbt – generell erfreulich, aber doch etwas fragwürdig – mit dem "weltbeste(n) Sardellenbrot mit handgefischten Sardellen" – leinengeangelt? Fischsaucensammler Heinrich S. wiederum weiß gar von einem "Haifischbrot" im Blauen Stern, mit Butter und Sardellenpaste. Falls Sie noch Tipps haben: bitte posten!