Es war wohl das größte Kartell, das es in Österreich jemals gab: Zwischen 2002 und 2017 schlossen sich zahlreiche Baukonzerne wie die Strabag und die Porr bei öffentlichen und privaten Aufträgen zusammen. Sie tauschten Informationen aus, teilten sich den Markt auf und trieben die Preise für Bauvorhaben künstlich in die Höhe.

Im Prinzip geht es um eine einfache Frage: Wie viel Geld musste der Bauherr oder die Bauherrin aufgrund des Kartells mehr bezahlen?
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Als das Kartell aufflog, leitete die Wettbewerbsbehörde Ermittlungen ein, die im letzten Jahr zu mehreren Kartellstrafen führten: Die Porr muss 62,3 Millionen Euro lockermachen, bei der Strabag werden voraussichtlich 45 Millionen Euro fällig. Parallel führt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft Ermittlungen gegen rund 850 Beschuldigte, darunter 135 Firmen.

Abseits der kartellrechtlichen und strafrechtlichen Folgen sind die Involvierten aber wohl bald auch mit Zivilklagen konfrontiert. Denn wenn Unternehmen durch illegale Absprachen die Preise in die Höhe treiben, gibt es auch Kunden, die zu viel bezahlt haben und diesen Schaden geltend machen können.

Gute Chancen vor Gericht

Im Fall des Baukartells sind das nicht nur viele private Auftraggeber, sondern auch die öffentliche Hand. Zu den mutmaßlich Geschädigten zählen etwa die Stadt Wien, das Land Niederösterreich und die Gemeinde Wiener Neustadt. Sie haben nun die Möglichkeit, Schadenersatz von den Baukonzernen zu verlangen – und sind als staatliche Institutionen wohl sogar dazu verpflichtet.

Wie hoch der Schaden insgesamt ist, lässt sich derzeit schwer sagen. Die Zahl dürfte sich aufgrund der Dimension des Kartells und der langjährigen Absprachen aber im Milliardenbereich bewegen. Aus Sicht von Viktoria Robertson, Professorin für Kartellrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien und der Universität Graz, stehen die Chancen für Geschädigte vor Gericht "sehr gut".

Mittlerweile wurde die Durchsetzung von Schadenersatz bei illegalen Absprachen nämlich deutlich erleichtert. Rechtskräftige Entscheidungen im Kartellverfahren – die es in der Causa Baukartell zum Teil bereits gibt – sind für Schadenersatzverfahren bindend. Zudem gibt es in derartigen Fällen eine Schadensvermutung, erklärt Robertson. "Die Kartellanten müssten nachweisen, dass kein Schaden entstanden ist."

Strittig dürfte vor Gericht vor allem die Bemessung der genauen Schadenshöhe werden. Im Prinzip geht es dabei um eine einfache Frage: Wie viel Geld musste der Bauherr oder die Bauherrin aufgrund des Kartells mehr bezahlen? Im Detail ist die Berechnung aber schwierig. Letztlich werden die Frage wohl gerichtliche Gutachten klären müssen. "Wenn es nicht möglich ist, den Schaden zu bemessen, kann ihn die Richterin oder der Richter auch schätzen", erklärt Robertson.

Prozessfinanzierer aktiv

Die guten Chancen vor Gericht und die hohen Schadenssummen rufen mittlerweile private Prozesskostenfinanzierer auf den Plan. Das Unternehmen Litfin wendet sich aktiv an geschädigte Unternehmen und Gemeinden und bietet ihnen an, die Ansprüche gegen Bezahlung einer Provision in einem Sammelverfahren geltend zu machen. Das habe den Vorteil, dass die Informationen der Betroffenen zentral zusammenfließen, sagt Anwalt Michael Brand. Zudem können Geschädigte Ressourcen bündeln und sich Kosten für Gutachten teilen.

Laut Litfin haben sich bisher ungefähr 35 Geschädigte gemeldet. Die Hälfte davon seien private Unternehmen, die andere Hälfte verteile sich auf öffentliche Unternehmen und Gemeinden.

Mehrere Städte und Länder, die DER STANDARD kontaktiert hat, prüfen derzeit ihre Optionen. So hat etwa die Stadt St. Pölten Aufträge an zwei bekannte Kartellfirmen zu einem "nicht unerheblichen zweistelligen Millionenbetrag" vergeben. Derzeit sei die Stadt im Austausch mit dem Städtebund hinsichtlich eines "gemeinsamen, koordinierten Vorgehens aller geschädigten Städte abseits der laufenden Sammelverfahren". Die Steiermark hat sich indes für einen anderen Weg entschieden und sich wie andere Geschädigte dem Strafverfahren der WKStA als Privatbeteiligte angeschlossen. Bis zu einem Strafurteil dürften jedoch Jahre vergehen. (Jakob Pflügl, 28.9.2022)