Armenak Utudjian ist nach dem vorzeitigen Abgang von Rupert Wolff seit Donnerstag neuer Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags. Bereits nächstes Jahr muss sich der 58-Jährige der Wiederwahl stellen.

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Anwalt Armenak Utudjian empfängt den STANDARD im Besprechungsraum des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags (Örak) in Wien. In sein neues Büro ist der frischgebackene Präsident noch nicht eingezogen. Erst vergangenen Donnerstag hat ihn die Anwaltschaft an die Spitze der Kammer gewählt. Utudjian, bisher Vize, folgt damit dem langjährigen Präsidenten Rupert Wolff nach.

STANDARD: Sie übernehmen das Amt in bewegten Zeiten, auch für die Justiz. Derzeit verhandelt die Politik über die Einführung einer Generalstaatsanwaltschaft. Laut dem Vorschlag einer Expertengruppe des Justizministeriums soll die Weisungsspitze bei Ermittlungen künftig nicht mehr im Ministerium liegen, sondern bei mehreren Dreiersenaten der Generalprokuratur. Was halten Sie davon?

Armenak Utudjian: Wir waren immer für ein Kollegialorgan an der Spitze. Damit wird der Eindruck vermieden, dass eine einzige Person entscheidet, wie in Verfahren vorgegangen wird. Wir sind auch für eine Geschäftsverteilung, sodass man im Vorhinein nicht weiß, welcher der Senate in einer konkreten Strafsache tätig wird.

STANDARD: Soll die neue Spitze der Staatsanwaltschaften auf Vorschlag eines Personalsenats vom Bundespräsidenten ernannt oder vom Parlament gewählt werden?

Utudjian: Es wird sicher notwendig sein, das Parlament in geeigneter Weise einzubinden. Ob das konkret die Bestellung durch das Parlament bedeutet, kann ich noch nicht sagen.

STANDARD: Strittig ist ja auch, ob laufende Ermittlungsverfahren der parlamentarischen Kontrolle unterliegen sollen.

Utudjian: Es braucht jedenfalls volle Transparenz gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit, so wie das auch bisher bei Weisungen der Fall war. Aber natürlich muss man verhindern, dass in laufende Strafverfahren eingegriffen wird. Derartige Probleme sehen wir bei Untersuchungsausschüssen.

STANDARD: Soll man die Ausschüsse denn aufschieben, bis jahrelange Ermittlungsverfahren beendet sind?

Utudjian: Das würde ich so nicht sagen. Die parlamentarische Kontrolle soll jedenfalls bestehen bleiben. Wir müssen aber sicherstellen, dass es zu keinen Reibungsverlusten in den Verfahren der Justiz kommt.

STANDARD: Im Zuge der Reform der Staatsanwaltschaften wird auch über die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) diskutiert. Der Wiener Anwaltspräsident Michael Enzinger hat die Behörde im "Kurier" als "unguided missile" bezeichnet, die Österreich unter Generalverdacht stelle und in einzelne Fachabteilungen zerschlagen werden sollte. Hat er recht?

Utudjian: Enzingers Kritik ist sachlich gerechtfertigt. Gerade im Bereich der WKStA werden Beschuldigtenrechte vielfach nicht gewahrt. Es kommt zu Aktenleaks und zu Ermittlungsverfahren, die viel zu lange dauern. Auch die WKStA muss sich Kritik gefallen lassen.

STANDARD: Sie geben der Kritik also recht, aber ist deshalb die Schlussfolgerung richtig, dass die WKStA zerschlagen werden sollte?

Utudjian: Auch als die Behörde gegründet wurde, gab es Diskussionen, ob sie an einem Ort konzentriert oder auf vier Abteilungen bei den Oberlandesgerichten aufgeteilt sein soll. Es geht nicht um die Verpackung, sondern um den Inhalt.

STANDARD: Die Idee war damals, Ressourcen zu bündeln. Eine zerschlagene WKStA wäre weniger schlagkräftig.

Utudjian: Derzeit ist die Schlagkraft der WKStA ja nicht besonders groß. Es braucht dort jedenfalls Reformen, auch in der bestehenden Struktur.

STANDARD: Sie haben von sich aus das Thema Leaks erwähnt, die in der Praxis häufig von beteiligten Anwälten kommen. Spielt denn Ihrer Ansicht nach die Behörde Akten nach außen?

Utudjian: Ich habe den Eindruck, dass Aktenleaks fast zur Tagesordnung gehören. Es wird oft der Vorwurf erhoben, dass sie aus dem Bereich der Anwaltschaft kommen, aber das stimmt in den allermeisten Fällen nicht. Und wenn, ist das oft nur eine Reaktion darauf, dass schon davor etwas öffentlich wurde. Die meisten Aktenleaks müssen unserer Auffassung nach aus dem Behördenbereich kommen.

"Wir haben die kostenlose anwaltliche Erstberatung aus Protest ausgesetzt."
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STANDARD: Jetzt zu etwas anderem: Sie wollen aufgrund der Inflation Erhöhungen der Vergütung für Verfahrenshilfen und der anwaltlichen Tarifsätze. Was fordern Sie konkret?

Utudjian: Die Pauschalvergütung für Verfahrenshilfen, die in die anwaltliche Pensionsvorsorge fließt, wurde zuletzt im Jahr 2020 angepasst. Damals wurde die bis dahin eingetretene Inflation aber nicht voll abgegolten. Die Tarifsätze, die bestimmen, welche Anwaltskosten obsiegende Mandanten von ihren Gegnern zurückbekommen, wurden schon seit Anfang 2016 nicht mehr erhöht. Wir fordern eine Anhebung um zehn bzw. zwanzig Prozent.

STANDARD: Um Druck zu erzeugen, bietet die Kammer seit Montag keine kostenlose Erstberatung mehr an. Ist das nicht etwas drastisch?

Utudjian: Wir mussten die kostenlose Erstberatung aus Protest aussetzen, um unserer Forderung an das Justizministerium Nachdruck zu verleihen. Bürgerinnen und Bürger werden an die Amtstage bei Gericht verwiesen, wo sie weiterhin kostenlos Rechtsauskünfte einholen können. Wenn die finanzielle Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft in Gefahr ist, müssen wir schauen, dass wir in anderen Bereichen entlastet werden.

STANDARD: Auf dem Anwaltstag, auf dem Sie gewählt wurden, war unter 18 Vortragenden nur eine Frau. Wie ist denn das passiert?

Utudjian: Das ist passiert, es war sicherlich nicht so geplant. Aus meiner Sicht war das ein einmaliger Ausreißer. Wir haben auch bei Veranstaltungen in der Vergangenheit gezeigt, dass wir divers und breit aufgestellt sind.

STANDARD: Die Frauenquote liegt in der Anwaltschaft bei 24 Prozent. Viele kehren nach einer Schwangerschaft nicht mehr zurück. Was tut die Kammer, um das zu ändern?

Utudjian: Es gibt nun die Möglichkeit, die Eintragung in der Anwaltsliste ruhend zu stellen. Damit müssen sich Frauen, die in Karenz gehen, später nicht neu eintragen lassen und während dieser Zeit keine Kammerbeiträge bezahlen. Versicherungsmonate können sie später verbilligt nachkaufen. Wir hoffen sehr, dass diese Maßnahme dazu führt, dass die Rückkehrquote in den Beruf steigt. (Jakob Pflügl, 27.9.2022)