Inhalte des ballesterer #174 (Oktober 2022) – Seit 23. September im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk

SCHWERPUNKT: GAK

ROTE JACKEN
Der GAK will aus dem tiefen Fall nach dem Meistertitel 2004 seine Lehren ziehen

SCHWARZE ROBEN
Die strafrechtlichen Ermittlungen nach der GAK-Pleite

WERNER GREGORITSCH ZU GAST
Der ballesterer podcast zum GAK

Außerdem im neuen ballesterer

"BAD BOYS" DER PROVINZ
Zu Besuch beim SV Stripfing

WER IST RAPID
Ein Anstoß zur Präsidiumswahl

SERIE BARI
Die Grenzen des Aufsteigers

DORFKLUB AN DER BÖRSE
Das Geschäftsmodell von Intercity

BARMBEKER JUNG
Andreas Brehme über seine Karriere

Von Gauklern und Galeeren
Ein Pressecorner zur Transfermoral

HERAUSFORDERINNEN
Sturm will endlich einen Titel

PUNK UND STADIONDICHTER
"Attila the Stockbroker" im Interview

EBENSEES ERFOLGSTEAM
Czeslaw Matusik und seine Mannschaft

DIE LÜCKE
Nicht-binäre Personen und ihr Platz am Rasen

GEBREMSTE EUPHORIE
Ecuador reist ohne große Hoffnungen zur WM

Groundhopping
Matchberichte aus Deutschland, Italien, Luxemburg und Portugal

Cover: Ballesterer

Savo Ekmecic: "Ich habe mich für meine Herkunft nie geschämt. Die Staatsbürgerschaft ist doch etwas Zufälliges. Durch das Land, aus dem ich komme, verlaufen heute Grenzen, die es vor 30 Jahren noch nicht gegeben hat."

Foto: Arno Friebes, ballesterer

"Das ist mein Garten", sagt Savo Ekmecic und deutet auf den Fußballplatz hinter sich. Er steht auf der Terrasse der Kantine des ASV Gösting, die er seit 1996 betreibt. An diesem Dienstagnachmittag gibt es keinen Gast, den Ekmecic nicht mit Vornamen anspricht. Im Regelfall muss er auch keine Bestellung notieren, er weiß, was seine Kunden wollen. Der 74-Jährige ist nicht nur ein guter Wirt, 2002 wurde er von den Fans zum Jahrhundertspieler des GAK gewählt. Zwischen 1977 und 1985 stand Ekmecic in 269 Bundesliga-Spielen im Tor der Grazer, er war Teil der Mannschaft, die 1981 den Cup holte. Im Inneren der Kantine erinnern Medienberichte, Mannschaftsbilder und Großaufnahmen des Goalies an damals. Als Gedächtnisstütze braucht Ekmecic die Exponate nicht. Ohne Mühe erinnert er sich an Mitspieler, Vereinsfunktionäre und Resultate. "Uns musst du diese Geschichten auch einmal erzählen", sagt nach Ende des zweistündigen Gesprächs mit dem ballesterer ein Gast vom Nebentisch.

ballesterer: Sie sind im Sommer 1977 zum GAK gekommen. In welchem Zustand war die Mannschaft damals?

Savo Ekmecic: In keinem guten. Das letzte Spiel vor meiner Zeit war die 1:11-Niederlage gegen Rapid, bei der Hans Krankl sieben Tore geschossen hat. Auch mit mir ist es nicht gut losgegangen. Bei einem Spiel gegen die VÖEST im September 1977 hat mir Werner Maier einen Ball zugespielt. Ich wollte ihn aufnehmen und zum linken Außendecker Mario Zuenelli werfen, war aber unkonzentriert. Mir ist die Kugel über den Arm ins Tor gerollt. Ich habe die Szene heute noch im Kopf. Das erste Mal haben wir in der Meisterschaft erst am 13. Spieltag gewonnen, 4:2 gegen Rapid.

ballesterer: Im Herbst 1978 ist Vaclav Halama Ihr Trainer geworden. Viele Fans sagen, er habe beim GAK neue Maßstäbe gesetzt. Wie wichtig war er für die Mannschaft?

Ekmecic: Er hat uns gefordert. Ich habe es ihm zu verdanken, dass ich bis Ende 30 gespielt habe, weil wir derart intensiv trainiert haben. Anfangs hat er mir auch Tipps für das Tormannspiel geben wollen, zum Beispiel wie ich mich bei Freistößen besser positionieren könnte. Da habe ich ihm meine Handschuhe gegeben und gesagt, wenn er es besser weiß, kann er sich gerne hineinstellen. Dann hat er mich in Ruhe gelassen.

ballesterer: Unter Halama hat der GAK den Cup gewonnen, den ersten nationalen Titel der Vereinsgeschichte. Wie war das möglich?

Ekmecic: Im Cup reichen dir ein paar gute Spiele und ein bisschen Glück. Im Viertelfinale gegen Rapid ist Josef Hickersberger noch vor der Pause ausgeschlossen worden, wir haben das 1:0 über die Zeit gebracht. Im Finale gegen Austria Salzburg haben wir das Hinspiel zwar verloren, aber weiter an uns geglaubt. Das Rückspiel war dann dramatisch. Als wir in der Verlängerung das 2:0 gemacht haben, ist das Liebenauer Stadion gestanden. Halama ist nervös an der Outlinie herumgetigert und hat mir zugeschrien: "Halte alles, egal wie." Die Feier hat bis zum Mittag am nächsten Tag gedauert – und alles war weg: meine Schuhe, meine Hose, mein Dress.

ballesterer: Halama ist nach der Saison zu 1860 München gegangen. Sein Nachfolger Zlatko Cajkovski war mit dem 1. FC Köln schon Meister und mit dem FC Bayern Europacupsieger, in Graz ist er nach vier Monaten entlassen worden. Wie motiviert war er?

Ekmecic: Zuerst war ich sehr beeindruckt. Als ich gehört habe, dass es Cajkovski wird, hat es mich umgehaut. Wie motiviert er noch war, will ich nicht beurteilen, aber seine Ratschläge waren nicht immer die besten: In der ersten Runde des Cup der Cupsieger haben wir gegen den Titelverteidiger gespielt, Dinamo Tiflis. Im Hinspiel haben wir ein 2:2 erkämpft, vor dem Rückspiel hat uns Cajkovski gesagt, dass der rechte Außendecker nichts kann und wir ihn nicht decken brauchen. Der ist uns dann das ganze Spiel um die Ohren gelaufen, er hat unbedrängt 25 Flanken schlagen können. Wir waren chancenlos.

ballesterer: Bei dem Spiel sollen 70.000 Zuschauer gewesen sein. Hat Sie das beeindruckt?

Ekmecic: Vielleicht meine Mannschaftskollegen, ich war das aus Sarajewo gewöhnt. Beeindruckt hat mich die Qualität von Tiflis, im Kader waren vor allem sowjetischen Teamspieler, Trainer Nodar Akhalkatsi war im Betreuerstab des Nationalteams. Aber lassen Sie mich noch etwas zu Cajkovski sagen: Als er entlassen worden ist, habe ich ihm beim Übersiedeln geholfen. Als seine Wohnung schon fast leer war, hat er gesagt: "Das darf ich nicht vergessen." Dann hat er den Teppich im Wohnzimmer eingerollt. Darunter sind fein säuberlich geordnet 1.000-Schilling-Scheine gelegen. Ich weiß nicht mehr, wie viele es waren: 200, vielleicht auch 400. So viel Geld habe ich nie wieder gesehen.

ballesterer: Springen wir noch einmal zurück: Warum sind Sie nach Graz gewechselt?

Ekmecic: Das hat Refik Muftic einfädelt, der davor zwei Jahre bei Sturm gespielt hat und später unter Ivan Osim Tormanntrainer war. Er hat mir gesagt, dass ich mit ihm nach Graz kommen soll, weil dort ein Verein an mir interessiert sei. Am Anfang wollte ich nichts davon wissen. Bei meinem Stammverein, dem FK Sarajewo, hatte ich mich mit dem Trainer zerstritten und nicht mehr gespielt. Ich wollte wieder Jus studieren, aber Refik hat nicht lockergelassen.

ballesterer: Woher hat er gewusst, dass der GAK einen Tormann sucht?

Ekmecic: Er wollte vor seiner Rückkehr nach Jugoslawien in Graz noch einen Mercedes kaufen. Beim Autohaus war GAK-Vorstand Sepp Kriegl Verkaufsleiter, die beiden sind ins Reden gekommen, und Kriegl hat erzählt, dass sie einen Goalie brauchen. Refik hat an mich gedacht, ich war in Sarajewo sein Nachfolger. Er hat mir über seine Frau ausrichten lassen, dass ich ihn anrufen soll. Aber das habe ich nicht getan, ich habe geglaubt, dass er wieder einen neuen Pass braucht und ich das für ihn erledigen soll.

ballesterer: Was für einen neuen Pass?

Ekmecic: Refik ist 1973 zufällig nach Österreich gekommen. Während eines Flugs hat er einen Spielervermittler kennengelernt, der ihm erzählt hat, dass die WSG Radenthein einen Tormann braucht und man dort gutes Geld verdienen kann. Refik war zwar topfit, aber schon Mitte 30. Also hat er sich einen neuen Pass organisiert, in dem er vier Jahre jünger war. Als er 2019 gestorben ist, ist in vielen Zeitungen sein falsches Alter gestanden. Er war nicht 76, sondern 80.

ballesterer: Was haben Sie über den GAK gewusst?

Ekmecic: Nichts. Bei den Verhandlungen hat mir Präsident Anton Kürschner die Vorjahrestabelle gezeigt, 68 Tore hat der GAK kassiert. Ich habe kein Wort Deutsch gesprochen und Refik gefragt, ob die ohne Tormann spielen. Er hat dann übersetzt, und alle haben gelacht. Wir sind uns einig geworden, und ich habe den ganzen Sommer mit Trainingsanzug und Regenjacke trainiert, damit ich schneller Gewicht verliere.

ballesterer: Ihr Gewicht war immer wieder Thema.

Ekmecic: Ich bin aus dem Sommerurlaub immer mit ein paar Kilos zu viel zurückgekommen. Ich wollte zu meiner Familie und meinen Freunden fahren, nach Metkovic in Dalmatien, wo ich aufgewachsen bin. Das muss man auch verstehen: Meine Mannschaftskollegen waren aus Bichl, Weiz und Maria Lankowitz. Sie haben jeden Tag zu ihren Müttern fahren können, ich nur einmal im Jahr. Und da habe ich nicht eingesehen, dass ich mich dann auch noch einschränken soll.

ballesterer: Haben Sie als Jugoslawe in Österreich einen schweren Stand gehabt?

Ekmecic: Ich könnte mich nicht daran erinnern. Die Zuschauer haben dich immer beschimpft, aber ich weiß nicht mehr, was sie geschrien haben. Das ist bei einem Ohr hineingegangen und beim anderen hinaus. Ein Problem habe ich, wenn sich jemand damit politisch profilieren will. Ich habe mich für meine Herkunft nie geschämt. Die Staatsbürgerschaft ist doch etwas Zufälliges. Durch das Land, aus dem ich komme, verlaufen heute Grenzen, die es vor 30 Jahren noch nicht gegeben hat.

ballesterer: Wie groß war der Unterschied zwischen der jugoslawischen und der österreichischen Liga?

Ekmecic: Das Niveau war hier sehr hoch, das hat mich überrascht. Innsbruck, die Austria und Rapid haben sehr gute Mannschaften gehabt. Aber das Drumherum war ein anderes. In Jugoslawien hat es zwei Sporttageszeitungen gegeben, Fußball war Dauerthema, die Stadien voll. Wenn wir in der Südstadt gespielt haben, waren da oft nicht mehr als 500 Zuschauer.

ballesterer: Ihre Dressen haben Kultstatus bekommen. Cajkovski hat Ihnen sogar verboten, Ihre knielangen Hosen zu tragen. Er wolle keinen Zirkus, hat er bei einer Pressekonferenz gesagt. Hat Sie das geärgert?

Ekmecic: Von dieser Aussage habe ich im Urlaub in Metkovic erfahren. Jemand hat mir die Schlagzeile gezeigt, Cajkovski war auch in Jugoslawien eine große Nummer. Ich habe den Kopf geschüttelt, aber es akzeptiert. Mir war die längere Hose lieber als die Badeshorts, die damals alle getragen haben. Außerdem bin ich gerne aufgefallen, das hat mich gepusht. Kurz vor seiner Entlassung hat Cajkovski mich gebeten, die alte Hose wieder anzuziehen, weil sie Glück bringen würde. Aber ich habe mich geweigert. Erst als er weg war, habe ich sie wieder ausgepackt.

ballesterer: Sie haben auch eine weiße Hose getragen, was in den 1970er Jahren unüblich war.

Ekmecic: Als ich ein Bub war, waren die Torhüter immer schwarz angezogen. Dann habe ich einmal einen gesehen, der den weißen Bund des Tiefschutzes über seinem Dress getragen hat. Das hat mich begeistert. Später habe ich begonnen, mich genauer damit auseinanderzusetzen, und mich gefragt, welchen Sinn die Farbe Schwarz für Torleute hat. Du wirkst damit schlanker. Aber das ist doch sinnlos. Wenn ein Stürmer auf dich zuläuft, willst du so breit wie möglich sein. Deswegen habe ich weiße Hosen angezogen. Als mich unser Libero Erwin Hohenwarter das erste Mal damit gesehen hat, hat er mich gefragt, ob ich den Verstand verloren habe. Aber wir haben 2:0 gewonnen, damit war das Thema erledigt.

ballesterer: Aufgefallen sind Sie auch damit, dass Sie nach dem letzten Spieltag der Saison 1980/81 mit den Austria-Spielern gefeiert haben. Sie haben 1:6 verloren, die Austria ist mit dem Sieg an Sturm vorbeigezogen und Meister geworden. Gehört sich das?

Ekmecic: Für uns hat die Partie keine Bedeutung mehr gehabt, einen UEFA-Cup-Platz hatten wir schon in den Wochen davor verspielt. Und Rivalen gönnt man nichts. Ich kenne auch keinen Sturm-Fan, der sich über unseren Cupsieg gefreut hat. Warum sollten sie auch? Derbys machen den Fußball aus. Sie waren die Highlights der Saison, wir haben selten über 10.000 Zuschauer gehabt, aber gegen Sturm waren es mindestens 15.000. Jetzt müssen wir seit 15 Jahren auf ein Derby warten. Graz sehnt sich danach.

ballesterer: Sie sind 2002 zum GAK-Jahrhundertspieler gewählt worden. Wie erklären Sie sich das?

Ekmecic: Das war eine Riesenfreude. Vielleicht liegt es daran, dass ich immer mit den Leuten geredet habe. Wenn mich die Fans nach einem Gegentor beschimpft haben, haben wir das ausdiskutiert. Das haben sie nie vergessen. Manchmal kommt es auch vor, dass mich 20-Jährige auf Spielszenen ansprechen, an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Wenn ich sie frage, woher sie das wissen, sagen sie, dass ihnen ihre Eltern oder Großeltern davon erzählt haben. Ich glaube, mittlerweile kenne ich jeden GAK-Fan persönlich.

ballesterer: Was bedeutet Ihnen der Klub heute?

Ekmecic: Ich kann mit der Frage nicht so viel anfangen, weil ich das nicht beziffern kann. Ich habe acht Jahre in Graz gespielt, hier meine zwei Töchter bekommen und mir ein neues Leben aufgebaut. Daran hat der GAK einen großen Anteil. Es ist gut, dass es ihn nach all den Turbulenzen noch gibt. Auch wenn es zurzeit nur die zweite Liga ist, kann man träumen. (Moritz Ablinger, 27.9.2022)