Zu gut, um wahr zu sein: Relotius, der im Film Bogenius heißt und von Jonas Nay gespielt wird, beim Dichten auf der Parkbank. Kollege Romero (Elias M’Barek) wird ihm das Handwerk legen.
Foto: Marco Nagel / Warner

Den "Fall Relotius", einen deutschen Presseskandal aus den Zehnerjahren, könnte man in aller gebotenen Kürze so beschreiben: Ein jüngerer Mann schafft es ein paar Jahre lang, schlechte Prosa zu verfassen, die von Schreibtischmenschen in diversen Redaktionen für große Reportage gehalten wird. Er fasst fast alle begehrten Preise aus und schreibt für das wichtigste Magazin am Platz, bis ein Kollege, der wie als sein Gegenüber gecastet wirkt, noch dazu ein freier Mitarbeiter, Witterung aufnimmt und nachweist, dass Relotius wesentliche Teile seiner Geschichten erfunden hat.

Ein stark, sagen wir vorsichtig, gestaltendes Interesse war an den Texten vorher ja schon unübersehbar gewesen, wurde aber in Ressorts, die eher dramaturgische als investigative Neigungen pflegten, für einen Vorzug gehalten.

Juan Moreno, der Aufdecker, hat über seine Rolle und seine Wahrnehmung der ganzen Sache ein Buch geschrieben: Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus, das im Untertitel eher eine Branchenschelte vermuten lässt, de facto aber eine Art Thriller aus der Sache macht.

Relotius als Vampir

Das war es dann wohl auch, was Michael "Bully" Herbig an der Sache interessiert hat. Der Komödiant (Der Schuh der Manitu) hat den Film Tausend Zeilen nach Morenos Erinnerungen gemacht und langt dabei in jeder Hinsicht ins Volle. Das beginnt mit der Hauptrolle. Elyas M’Barek, nach Fack ju Göhte und zahlreichen anderen Filmen zweifellos der größte Star im deutschen Kino, spielt Moreno (im Film heißt er Romero), und zwar unter größtmöglichem Einsatz von Körperhaar.

Das leicht verwegene Aussehen, das schon in der originalen Konstellation die Assoziation allerlei Klischees suggerierte (der blasse Relotius als Vampir – gespielt von Jonas Nay – und der lebenspralle Moreno als Cowboy), wird bei M’Barek noch einmal extra betont. Er gibt geradezu eine Karikatur eines mitten im Leben stehenden Authentizitätsgaranten. Betont wird seine Glaubwürdigkeit auch noch durch einen Sidekick, den Fotografen Milo (Michael Ostrowski), der die Stichworte liefert, auf die Romero dann coole Sätze folgen lässt.

Michael Bully Herbig

Kritik des Spesenjournalismus

Ein Schlüsselmoment in der Recherche, die Moreno/Romero in Sachen Relotius (im Film Bogenius) betreibt, ereignet sich in Amerika in der grenznahen Region zu Mexiko. Hier geht es darum, einen Mann zu treffen, mit dem nicht zu spaßen ist. Relotius hatte über ihn geschrieben, ohne ihn jemals getroffen zu haben – das ist der "rauchende Colt", der Belastungsbeweis, der das System der Erfindungen zum Einsturz bringen wird.

Herbig inszeniert das so, dass man das Gefühl bekommt, dass Bogenius, der vor allem an Swimmingpools und in Hotelzimmern zu sehen ist, einen solchen Wirklichkeitskontakt gar nicht draufhätte, während Romero quasi von Holzfällerhemd zu Holzfällerhemd kommunizieren kann. Dass er den Flug nach Amerika selbst zahlt, ist implizit auch eine Kritik des Spesenjournalismus, zu dem der dezidierte Nichtredakteur Romero sowieso auf Distanz ist.

Blödmänner der Ressortleitung

Spannend ist das wahrscheinlich nicht einmal für Eingeweihte. Das Format eines Zeit- und Milieuporträts, wie es Helmut Dietl seinerzeit in Schtonk! (1992, über die gefälschten Hitler-Tagebücher) schaffte, erreicht Tausend Zeilen nie auch nur im Ansatz. Dazu ist Herbigs Begriff von Medienpraxis einfach zu naiv. Er weidet sich satirisch an den Ritualen des Betriebs, lässt dabei aber eine große Preisverleihung aussehen wie eine schäbige Provinzgala.

Und den Schurkenpart müssen Michael Maertens und Jörg Hartmann unter sich ausmachen, die zwei statushörige Blödmänner aus der Ressortleitung spielen. So komplettiert der Spielfilm eine Aufarbeitung der Fälschungsaffäre, die von Beginn an in die falsche Richtung ging.

Symptom statt Einzelfall

Sie hätte sich besser mit der Sprache von Relotius (der ja mit seinen Manierismen eher ein Symptom als ein Einzelfall war) befasst, kommt nun aber als eine Genresimulation daher, die so tut, als käme es vor allem auf Heldentum an.

Das soll die Verdienste von Juan Moreno nicht schmälern, läuft aber auf dieselben Logiken der Fiktionalisierung hinaus, auf denen das System Relotius beruhte. Dass diese Logiken hier offen zutage liegen, weil Herbig mit dem ganzen Operationswerkzeug des Spannungskinos herumfuchtelt wie ein Möchtegern-Spielberg, macht die Sache nur noch falscher. (Bert Rebhandl, 27.9.2022)