Wer zu alten Punk-Hadern wie "God Save The Queen" oder "Too Drunk to Fuck" schon immer einmal gepflegt Longdrinks schlürfen wollte, ist bei Nouvelle Vague gut aufgehoben.

Foto: Nouvelle Vague

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er die Minuten zählen. Sei es in der Hotel- oder an der Strandbar, beim Frühstücksbuffet, in der schicken Boutique, beim Frisurenkreateur oder in der Milchkaffee-Lounge: Neben Hotel California von den Eagles und Smooth Operator von Sadé wird mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit bald einmal auch ein Song des französischen Projekts Nouvelle Vague zu hören sein.

Nouvelle Vague kamen Anfang der Nullerjahre in die Welt. Das von den französischen Produzenten und ursprünglich von House und Elektronik kommenden Musikern Marc Collin und Olivier Libaux betriebene offene Bandensemble mit diversen Sängerinnen wie etwa Elodie Frege oder Melanie Pain setzt dabei seit Anfang an auf den in den 1990er-Jahren groß gewordenen Trend des Easy Listening.

A38 Vibes

Im Gegensatz zu der schon in den 1930er-Jahren aufgekommenen "Muzak", die in Kaufhäusern, Bahnhöfen, Lounges, Fahrstühlen oder in der Telefonwarteschleife für zwar nicht bewusst wahrgenommene, aber angenehme, aggressionshemmende Berieselung sorgen will und als Funktionsmusik wohlige Stimmung oder glückshormonbedingte Kaufanreize garantiert, geht Easy Listening einen Schritt weiter.

Easy Listening soll nicht als die Nerven somatisierendes Gedudel und Gesäusel im Hintergrund dienen. Es soll ganz bewusst für Entspannung sorgen, ohne dass sich die Menschen dafür beim Hören über Gebühr anstrengen oder aufmerksam sein müssen. Bekannte Titel und Melodien aus der Popgeschichte, die entsprechend glattgebügelt werden, erweisen sich dabei als zweckdienlich.

Unterkühlte Lounge-Klänge

Nouvelle Vague setzen auf ihren Alben nicht wie noch eine Generation zuvor auf freundliche Verharmlosung etwa von alten Beatles-Hadern. Und auch das drogengeschwängerte, in der Interpretation der Lyrics oft mit Satanismus in Zusammenhang gebrachte Hotel California wird nicht als sicherer Hafen ohne Fluchtmöglichkeit betrachtet: "You can check-out any time you like but you can never leave."

Nouvelle Vague deuten für eine während der 1980er kulturell initiierte Kundschaft – und natürlich längst auch für retrospektiv ausgerichtete junge Hörer und Hörerinnen – ausschließlich die großen Hits der Punk- und New-Wave-Zeit neu, und das schmerzbefreit.

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Mit schwer unterkühltem, emotionslosem Gesang, lateinamerikanischen Bossa-Nova-Rhythmen und ganz viel Beserlschlagzeug werden etwa Love Will Tear Us Apart von Joy Divison, Eisbär von Grauzone, God Save The Queen von den Sex Pistols, Road To Nowhere von den Talking Heads, Ever Fallen In Love von Buzzcocks oder – besonders bizarr – Too Drunk to Fuck von den Dead Kennedys in das Longdrink-Eck geschüttelt und gerührt. Der Verstörungsfaktor und wohlige Langweile halten sich die Waage. Es soll aber Schlimmeres passieren. Diese Woche laden Nouvelle Vague auf einen oder zwei Cocktails in ihre Pop-up-Bar in Wien. Röck ’en’ Röll! (Christian Schachinger, 27.9.2022)