"Zicke-zacke, zicke-zacke ..." – eine namenlose Boy-Group beim Synchrontrinken auf der Kaiser Wiesn im Wiener Prater.

Foto: Christian Fischer

Als der Fischer und ich das Bierzelt betreten, spielt die Band gerade Griechischer Wein. Der Fischer grinst und schüttelt den Kopf. Glatte Themenverfehlung, aber er hat schon ganz anderes gehört und gesehen. Der Fischer ist Fotograf, und er zieht ab zur Bühne, die Kamera im Anschlag. Vor ihm spielen die Dirndl Rocker und leiten nach Udo Jürgens Essigeloge über zum Titellied aus Biene Maja. Der Holzboden bebt, das Publikum schwankt oder schunkelt, schwer zu sagen.

Mit der Biene Maja kriegen die Dirndl Rocker die Kurve zurück auf die Wiese, auf die Kaiser Wiesn, dem Zeltfest im Prater. Dort ist seit letztem Donnerstag angezapft. Seitdem herrscht um den Praterstern wieder Ausnahmezustand. Eine Art Vorfasching im Zeichen einer großzügigen Interpretation des Traditions- und Trachtenbegriffs. Filzhüte sitzen schief, Promillejodler ertönen, Anrainer träumen von einem Zweitwohnsitz.

Die Kaiser Wiesn unterm Riesenrad. Das neue Konzept schaut ganz schön alt aus.
Foto: Christian Fischer

Der Fischer und ich sind in einem der drei Zelte der Kaiser Wiesn. So heißt das Oktoberfest in Wien, fast hätte ich geschrieben der Stadt Wien. Denn ein der SPÖ nahestehender Organisator hat das Event heuer übernommen – zum Missfallen des ursprünglichen Veranstalters.

Dem Publikum ist das egal. Fragt man, warum die Wiener Wiesn plötzlich Kaiser Wiesn heißt, zucken die meisten mit den Schultern. Eine Besucherin weiß von der Übernahme. Ausschlaggebend dafür war angeblich das neue Konzept, das die Verpächter überzeugt haben soll. Ein neues Konzept? Das hat niemand bemerkt. "Schaut aus wie immer", sagt ein Dirndl im Dirndl, und recht hat sie: Stroh und Ballen liegen herum, an Ständen werden Kaiserschmarren, Uhudler oder Bierspezialitäten angeboten. Für die Süßen gibt es Zuckerwatte im Plastikkübel. Den Kübel können manche später sicher gut brauchen. All das gab es auch schon vor Corona, das die Wiesn zwei Jahre lang pausieren ließ.

"Wo sind die Krüge?" Überall.
Foto: Christian Fischer

Heuer nehmen wieder Tausende den Weg von der U-Bahn zum Hochplateau vor dem Riesenrad: Bergvagabunden sind wir! Der letzte Höhenmeter geht rauf auf den Tisch. Dort wird gesungen, geklatscht und getrunken. "Wo sind die Krüge?", fragt die Band. Überall, zeigt ein Blick durchs Zelt. Die Stimmung ist gut, die Musik einfach. Auf der Suche nach dem Takt ziehen Menschenschlangen händepaschend durch die Bankreihen. Ein Paar tanzt, bis es der Zentrifugalkraft zu viel wird, Kellner helfen ihnen lachend auf die Beine. Guat is gaungan, nix is g’schehn.

Es hulapalut – schnell weg!

Manchen Leuten merkt man an, dass sie einmal einen Tanzkurs besucht haben, anderen dient eher die Skigymnastik als Zugang. Fürs Wackeln zu "Zicke-zacke, zicke-zacke, hoi, hoi, hoi!" reicht es allemal. In der Zwischenzeit hat Richard Lugner die Bühne betreten und singt ein Lied, das seinen exquisiten Humor und die Zoobewohnerinnen seines Herzens preist. 90 wird der demnächst, nicht schlecht.

Das Publikum gerät ob der Darbietung in Ekstase, ein paar Knechte so sehr, dass sie von der Polizei nach draußen gebeten werden. Als es nach dem Lugner von der Bühne hulapalut, ziehen wir rasch weiter.

Richard Lugner und die Dirndl Rocker. 90 Jahre und kein bisschen weise, pardon, leise.
Foto: Christian Fischer

Im nächsten Zelt ist es wie im Zelt davor: Laut und warm. Der Vierer Volxrock arbeitet sich durch Evergreens der Brau Union. Hinten sitzen ein paar Einzelgänger und starren aufs Handy oder glasig ins Nichts. Männer sind als Mauna verkleidet, tragen rot-weiß-karierte Hemden, steppen auf den Bänken, während ich die Contenance des Chronisten behalte und darauf sitze. Mein Hemd ist ebenfalls kariert, schwarz-braun. Es stammt aus der Jagdabteilung eines Sportgeschäfts, was ein bisserl peinlich ist, aber wer das nicht weiß, merkt es nicht, denkt, ich mache in Holz oder sei auf Grunge hängen geblieben. Es soll Embedded Journalism signalisieren, hoffe ich.

Berichterstattung, die im Geschehen ganz drinnen ist. Ich bin der Christian Wehrschütz der Kaiser Wiesn, nur der Helm fehlt. Tags darauf werde ich noch einmal vorbeischauen. Check, Double Check, der Pulitzer-Preis ist in Griffweite. Während ich so sinniere, umgarnt die Band die Besucher aus den Bundesländern. Harte neun Mal versichert man sich gegenseitig lautstark seiner Anwesenheit.

Wer hat den Fitnessteller bestellt?
Foto: Christian Fischer

Regional versiert spielt das Quartett das steirische Traditional When The Saints Go Marching In, für die Gäste aus Niederösterreich ertönt die Landeshymne Country Roads, Jungbauern tanzen dazu in original Tiroler Converse-Sneakers – kulturelle Aneignung vom Feinsten. Das Bild, das all das still übersetzt, hängt vom Giebel des Zelts: eine Art Adventkranz, sicher fünf Meter im Durchmesser. Nur statt stehender Kerzen hängen an diesem Kranz fette Würste, in der Mitte eine Discokugel.

Lauwarme Erdäpfel

"Gepflegtes Brauchtum und zeitlose Tradition" wird das in einem Text in der Speisekarte genannt. Diese offenbart eine Spezialisierung auf das kulinarische Fachgebiet der g’scheiten Unterlag’. Ein Selbstversuch mit Bratwürsten verläuft allerdings enttäuschend. Nach zweimaliger Bestellung tatsächlich geliefert, ist einzig das Kraut halbwegs okay. Die Würstel schauen aus wie gekocht, die Erdäpfel sind lauwarm, sie zu salzen erscheint dem Haubenkoch offenbar als Ressourcenverschwendung. Auf den Double Check verzichte ich, lieber noch eine Maß um 11,80 Euro, Okkasion.

Gekrönt von einem Wurstkranz überkommt mich der Durst ganz.
Foto: Christian Fischer

Der Fischer charmiert zwischen den Tischen die Gäste, die posieren ihm bereitwillig, heben die Krüge, zeigen Hosenlatz und Dekolleté. Die Stimmung ist aufgekratzt, drei Generationen singen im Chor das Lied vom Stern, der deinen Namen trägt. Auf die Grundsatzfrage, warum man sich das gibt, sagt der 25-jährige Oliver aus Oberösterreich, dass er auf der Wiesn so viele von dahoam trifft, dass er sich das Nachhausefahren erspart. Eine Win-win-Situation? "Genau."

Nach Hause ist das Stichwort. Auf dem Weg vom Gelände ertönt aus einer Hütte Highway to Hell. Am Praterstern bierleicht es dann entsprechend dieser Prophezeiung: Betrunkene Großstadtbauern lehnen am Boden sitzend an Pollern und haben ihrer Mütter Namen vergessen. Zicke-zacke, kalte Arschbacke. Normalzustand im Ausnahmezustand. Bis zum 9. Oktober dauert er noch an. (Karl Fluch, 27.9.2022)