Auch in der lange von russischen Truppen eingekesselten Stadt Mariupol am Asowschen Meer muss die Bevölkerung über einen Anschluss an Russland abstimmen.

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Mit Kleckern mochte sich Russlands orthodoxer Patriarch Kyrill bei seiner Sonntagsmesse in Moskau nicht aufhalten – der Kirchenmann, der Präsident Wladimir Putin stets in festem Glauben ergeben ist, versteht es zu klotzen: So wie Gott seinen Sohn Jesus als Opfer dargebracht habe, müsse nun auch die russische Bevölkerung ein Opfer bringen, erklärte Kyrill. Die Kirche bete dafür, "dass dieses Gefecht so schnell wie möglich zu Ende geht, damit möglichst wenige Brüder in diesem brudermörderischen Krieg einander töten". Wer aber im Kampf in der Ukraine sein Leben lässt, dem verspricht der Oberhirte die Vergebung aller Sünden.

Trotz des kirchlichen Segens reißen in Russland die Proteste gegen die vergangene Woche befohlene Teilmobilmachung der Armee nicht ab. In der überwiegend muslimischen Kaukasus-Teilrepublik Dagestan, von wo viele der in der Ukraine getöteten Soldaten kommen, eskalierte am Wochenende der Widerstand gegen die Einberufungen. Frauen gingen mit Fäusten auf Polizisten los, ein Polizist feuerte mit einer Maschinenpistole in die Luft, um die wütende Menschenmenge zur Ruhe zu bringen. Zeitweise wurde auch eine Fernverkehrsstraße mit Sitzblockaden gesperrt. In der ostsibirischen Stadt Ust-Ilimsk im Gebiet Irkutsk schoss ein 25-jähriger Reservist einen Beamten der Einberufungsstelle an und verletzte ihn schwer.

Viele Russen fliehen

Andere Russen versuchen, der drohenden Einberufung in den Krieg mittels Flucht ins Ausland zu entgehen. Der Grenzverkehr Richtung Finnland steigt weiter an. Fast 17.000 Russen überquerten nach Angaben der finnischen Behörden am Wochenende die Grenze – nach Angaben des Grenzschutzes um 80 Prozent mehr als vor einer Woche. Am Freitag hatte die finnische Regierung erklärt, russischen Staatsbürgern bald die Einreise über Touristenvisa zu verweigern.

In der Mitte September zurückeroberten, strategisch wichtigen Stadt Isjum im Nordosten der Ukraine sind nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj zwei weitere Massengräber gefunden worden. Es gehe um "große Gräber mit Hunderten von Menschen", sagte Selenskyj in einem am Sonntagabend (Ortszeit) veröffentlichten Interview mit dem US-Sender CBS. Er forderte zudem eine Fortsetzung der Sanktionen gegen Russland.

Angriff mit Drohnen

Laut ukrainischen Militärangaben beschossen russische Truppen militärische Ziele in der Region Odessa mit zwei Drohnen. Ein Großbrand sei ausgebrochen, Munition sei explodiert, teilte das Kommando Süd der ukrainischen Streitkräfte per Kurznachrichtendienst Telegram mit. Bisher gebe es keine Informationen über Opfer, die Zivilbevölkerung sei in Sicherheit gebracht worden. Odessa, die wichtigste Hafenstadt des Landes, war bisher von großen russischen Angriffen weitgehend verschont geblieben, wurde aber seit Beginn des Krieges am 24. Februar immer wieder Ziel russischer Attacken mit Raketen und Marschflugkörpern.

Weiter nördlich, in den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja, führen die Besatzungsbehörden unterdessen weiter ihre Scheinreferenden durch, in denen der Wunsch der Bevölkerung nach einer Annexion durch Russland dargestellt werden soll. Das Parlament in Moskau könnte bereits am Donnerstag über Gesetzesentwürfe zur Eingliederung der Gebiete beraten. Dies berichten russische Nachrichtenagenturen mit Bezug auf ungenannte Quellen. Es wird erwartet, dass Präsident Putin die Gebiete schon am Freitag in die Russische Föderation aufnehmen könnte. Putin hatte betont, dass Moskau Attacken der Ukraine auf die Gebiete dann wie Angriffe auf sein eigenes Staatsgebiet behandeln und sich mit allen Mitteln verteidigen werde.

IAEA will verhandeln

Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, bekundete am Montag seine Bereitschaft, noch in dieser Woche in der Ukraine und in Russland Gespräche über eine Sicherheitszone um das russisch besetzte Atomkraftwerk Saporischschja zu führen. "Es liegt ein Plan dafür auf dem Tisch", sagte er bei einem Treffen der IAEA-Mitgliedsstaaten. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) nimmt an der Versammlung in Wien teil. (Florian Niederndorfer, 26.9.2022)