Totschnig und Van der Bellen bei der Erstangelobung des Landwirtschaftsministers im Mai. In der Folge änderten sich Totschnigs Zuständigkeiten.

Foto: BKA / Florian Schrötter

Wien – Wer Minister oder Ministerin wird, sollte möglichst qualifiziert dazu sein – sowie, mit wenigen Ausnahmen, der richtigen Partei angehören. Auch der Zufall spielt mit, echte Chancen hat, wer genau dann, wenn nach geeigneten Personen gesucht wird, für den Job zur Verfügung steht.

Dann gibt es noch die Formalitäten, sprich die Ernennung, sowie, in der Folge, die Angelobung zum Mitglied der Bundesregierung durch den Bundespräsidenten, samt Überreichung der Bestallungsurkunde. Auf dieser sind die Zuständigkeiten des Regierungsmitglieds festgehalten.

"Bundesminister, der er gar nicht ist"

Genau hier sei dem amtierenden Staatsoberhaupt Alexander Van der Bellen und seinem Mitarbeiterstab im heurigen Sommer ein folgenschwerer Fehler unterlaufen, sagt Stefan Brocza, Experte für Europarecht und internationale Beziehungen. Nach der Regierungsumbildung im Mai habe es die Staatsspitze unterlassen, den ÖVP-Mann Norbert Totschnig entsprechend seinen Zuständigkeiten neu anzugeloben und ihm eine entsprechende Bestallungsurkunde auszufertigen.

Infolgedessen agiere Totschnig seit 18. Juli "als ein Bundesminister, der er gar nicht ist" – mit massiven Auswirkungen auf alle Entscheidungen, die seitdem im Landwirtschaftsministerium in seinem Namen getroffen wurden, sagt Brocza. Auch sämtliche Beschlüsse der Bundesregierung, an denen Totschnig mitgewirkt hat, seien möglicherweise mit einem Mangel behaftet.

Falsches Bestallungsdekret

Tatsächlich wurde Totschnig von Van der Bellen am 18. Mai als "Bundesminister für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus" angelobt – und er erhielt ein entsprechendes Bestallungsdekret. Dann trat am 18. August ein neues Bundesministeriumsgesetz in Kraft; in ihm sind die Ministerzuständigkeiten festgehalten. Anders als vor der Gesetzesnovelle firmiert Totschnig darin als Minister für "Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft" – ohne dass er dazu eigens angelobt wurde.

Das sei auch gar nicht notwendig, heißt es dazu aus der Präsidentschaftskanzlei – denn Totschnig habe mit 18. August Kompetenzen verloren, nicht neue dazugewonnen. Amtsenthebungen und Neuangelobungen gebe es jedoch nur "im Fall einer Kompetenzerweiterung und bei geändertem Ressortnamen".

Verfassungsrechtsexperte Bernd-Christian Funk, vom STANDARD befragt, bestätigt diese juristische Sichtweise. Von einem schweren Fehler Van der Bellens sei nicht die Rede.

Nur ein formales Problem?

Brocza hingegen bleibt dabei: Totschnig sei formal gar kein Minister, wiederholt er, denn "die Präsidentschaftskanzlei lässt das Problem des fehlerhaften Ernennungsdekrets außer Acht". Mangels Neuangelobung sei dem ÖVP-Mann nämlich keine Bestallungsurkunde mit seinen korrekten Zuständigkeiten ausgefolgt worden. Er habe somit keinen gültigen Bescheid in Händen – mit allen weiter oben geschilderten Folgeproblemen.

Das wiederum ist laut Funk eine "streng formalisierte Sicht der Dinge, die einer funktionsorientierten Herangehensweise widerspricht".

Und Totschnig selbst? Auf Anfrage des STANDARD lässt er wissen, von den zuständigen Juristen der Präsidentschaftskanzlei habe er die Rückmeldung erhalten, dass eine neuerliche Angelobung als Bundesminister nicht notwendig sei. (Irene Brickner, 27.9.2022)