Ein Fan warf Meloni am Wahlabend dieses T-Shirt zu. Darauf steht einer ihrer Leitsätze: "Ich bin Giorgia, (...) Frau, (...) Mutter, (...) Christin." Ihre Bühnenmanagerin nahm es ihr aber gleich weg – damit es auf Bildern der Siegesrede nicht zu sehen ist.

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Über 400 Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt hatten sich am Sonntagabend im noblen Römer Hotel Parco dei Principi eingefunden, um der Wahlparty der Siegerin beizuwohnen. Der Ansturm zeigt das Interesse – und zum Teil auch die Sorgen –, die die vorgezogenen Parlamentswahlen hier und dort hervorgerufen haben. Als Giorgia Meloni lange nach Mitternacht endlich eintraf, jubelten ihr ihre Anhängerinnen und Anhänger begeistert zu. Und die wahrscheinlich erste Ministerpräsidentin der italienischen Republik versuchte, die Skeptiker zu beruhigen: "Wenn wir dazu aufgerufen werden, diese Nation zu regieren, werden wir dies für alle Italiener tun, mit dem Ziel, das Volk zu vereinen." Man werde das Vertrauen der Wähler nicht missbrauchen.

Am Montagmorgen bekräftigte die Chefin der postfaschistischen Fratelli d'Italia, dass sie das Wahlresultat als Regierungsauftrag betrachte. Dieser Anspruch ist mehr als berechtigt: Ihre Partei ist nun mit Abstand stärkste Partei im Senat und auch in der Abgeordnetenkammer.

Ihre beiden Bündnispartner – die rechtsnationale Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini und die Forza Italia des früheren Skandal-Premiers Silvio Berlusconi – wurden von Meloni regelrecht überfahren: Die beiden Parteien kamen auf je etwas mehr als acht Prozent. Zusammen mit der winzigen Zentrumspartei Noi Moderati erzielte das Rechtsbündnis rund 43 Prozent der Stimmen.

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Nachsehen trotz 53 Prozent

Deutlich mehr Stimmen erhielten die Mitte-links-Parteien und die endgültig nach links gerückte Fünf-Sterne-Bewegung: In der Summe kamen sie auf rund 53 Prozent. Weil sich der sozialdemokratische PD, die Fünf Sterne und die neue Mitte-Formation Azione-IV aber – im Unterschied zur Rechten – nicht auf eine gemeinsame Plattform einigen konnten, hatten sie wegen des Wahlrechts, das Wahlbündnisse prämiert, das Nachsehen.

Was beinahe unterging: Die Rechtsallianz wird zwar in beiden Kammern über die absolute Mehrheit verfügen – aber die angestrebte Zweidrittelmehrheit wurde verfehlt. Das ist von großer Bedeutung, denn damit kann die neue Regierungskoalition nicht aus eigener Kraft die Verfassung ändern.

Doch genau dies war das erklärte Ziel Melonis: Sie wollte ein Präsidialsystem mit einem vom Volk direkt gewählten Staatsoberhaupt einführen, bei gleichzeitiger Beschränkung der Macht des Parlaments. Hintergrund dieser Pläne war die ewige Sehnsucht der Postfaschisten nach dem starken Mann oder – in diesem Fall – nach der starken Frau.

Die Väter der heutigen Verfassung von 1948 wollten, nach Krieg und Mussolini-Diktatur, genau das verhindern: dass wieder ein Einzelner die Macht an sich reißen und das Parlament aushebeln kann. Deshalb hatten sie sich für die parlamentarische Demokratie mit ihren ausgeprägten "Checks and Balances" entschieden. Die von Meloni angestrebte Einführung eines Präsidialsystems war im Vorfeld die größte Sorge der Mitte-links-Parteien gewesen – doch die ist mit dem Wahlresultat nun vom Tisch.

Salvini in der Kritik

Aber auch die absolute Mehrheit, die die Rechtsparteien errungen haben, erscheint beim zweiten Hinsehen als fragil: Vor allem innerhalb der Lega rumort es. Salvinis Führungsanspruch ist infrage gestellt: Viele Stammwähler der Lega im Norden haben ihm nicht verziehen, dass er im Juli mitgeholfen hat, den an der Lega-Basis beliebten Mario Draghi zu stürzen und damit Neuwahlen zu provozieren. Eine Parteispaltung scheint nicht ausgeschlossen – und eine solche hätte möglicherweise schwerwiegende Folgen für die neue Regierung.

Die Regierungsbildung verspricht jedenfalls spannend zu werden. Am 13. Oktober wird sich das neue Parlament zu seiner ersten Sitzung versammeln. Vermutlich am 24. Oktober wird Staatspräsident Sergio Mattarella die Konsultationen mit den Parteiführern beginnen.

Voraussichtlich Anfang November wird das Staatsoberhaupt das neue Kabinett vereidigen – und mit großer Wahrscheinlichkeit Giorgia Meloni den Regierungsauftrag erteilen. Anschließend wird sich die neue Exekutive im Parlament einer Vertrauensabstimmung stellen.

Freude und Sorgenfalten

In Europa hat das Wahlergebnis zu erwartbaren Reaktionen geführt. Rechtspopulisten unter anderem von der FPÖ, der deutschen AfD, dem französischen Rassemblement National, der spanischen Vox und Viktor Orbán in Ungarn feierten Meloni, während Vertreter und Vertreterinnen anderer Richtungen zurückhaltend oder wie das Internationale Auschwitz-Komitee mit Sorge reagierten. (Dominik Straub aus Rom, 26.9.2022)