Walter Rosenkranz tritt als amtierender Volksanwalt für die FPÖ bei der Wahl zum Bundespräsidenten an. Für die Volksanwaltschaft ergibt das ein fragwürdiges Bild.

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Eine körperliche Misshandlung durch Polizeibeamte; Untätigkeit oder grobe Unfreundlichkeiten einer Behörde; ein Gerichtsverfahren, das bereits ausufernd lange dauert: All das sind mögliche Gründe, sich an die Volksanwaltschaft zu wenden. Die 1977 gegründete Institution wurde als parlamentarischer Ombudsrat zur Kontrolle der öffentlichen Verwaltung eingerichtet. Heißt: Jeder Mensch, der sich von einer österreichischen Behörde ungerecht behandelt fühlt, kann sich kostenlos bei der Volksanwaltschaft beschweren – die auch jeder Beschwerde nachgehen muss.

Allerdings: Die Volksanwaltschaft steht auch seit Jahren immer wieder in Kritik. Und das vor allem wegen ihrer mangelnden politischen Unabhängigkeit. Ihre Mitglieder würden zu häufig nicht ausreichend losgelöst von ihren jeweiligen Parteien agieren, mitunter gar parteipolitisch oder weltanschaulich motivierte Beißhemmungen aufweisen, heißt es nicht nur von Menschenrechtsexpertinnen und NGOs.

Parteipolitische Bestellung

Denn nominiert werden die drei Volksanwältinnen oder Volksanwälte jeweils von den drei stärksten Parlamentsparteien. Formal werden sie vom Nationalrat "aufgrund eines Gesamtvorschlags des Hauptausschusses" gewählt, wie es in der Verfassung heißt. In der politischen Praxis hat der Modus mit einer Wahl aber nur wenig zu tun, wie Verfassungsjuristen immer wieder monieren.

De facto werden die Mitglieder der Volksanwaltschaft von ihren jeweiligen Parteien bestellt – die das Amt oft als Versorgungsposten für verdiente Parteifunktionäre sehen. So war der von der FPÖ nominierte Volksanwalt Walter Rosenkranz bis unmittelbar vor seiner Bestellung im Sommer 2019 nicht nur Nationalratsabgeordneter der FPÖ, sondern auch deren Klubobmann – und nebenbei noch Landesparteichef der FPÖ Niederösterreich.

Die von der ÖVP nominierte und seit Juli dieses Jahres amtierende Gaby Schwarz saß bis unmittelbar zuvor für die ÖVP im Nationalrat, war stellvertretende Klubobfrau und stellvertretende Generalsekretärin der Volkspartei. Auch eine Cooling-off-Phase legten weder Rosenkranz noch Schwarz ein – sie wechselten direkt aus ihren parteipolitischen Schlüsselpositionen in die Volksanwaltschaft. Der von der SPÖ bestellte Vertreter Bernhard Achitz war zuvor leitender ÖGB-Sekretär. 2013 und 2017 hatte er für die SPÖ bei der Nationalratswahl kandidiert.

Vertrauensverlust in der Bevölkerung

Transparente Qualifikationskriterien gibt es für die Volksanwältinnen und Volksanwälte dagegen nicht. Das Problem dabei: Entgegen dem Zweck der Volksanwaltschaft, eine politisch unabhängige Kontrolleinrichtung zu sein, werden ihre Mitglieder als Politikerinnen und Politiker mit Parteizugehörigkeit wahrgenommen – gelinde gesagt nicht ideal für eine Einrichtung, die für die Anliegen aller Bürgerinnen und Bürger da sein und so unvoreingenommen wie neutral kontrollieren soll. Denn die Gefahr eines Vertrauensverlusts in der Bevölkerung besteht nicht nur bei tatsächlichem parteipolitischem Einfluss, sondern bereits beim Anschein.

Besonders plastisch zeigt das Problem aktuell das Beispiel von Rosenkranz, der als amtierender Volksanwalt bei der Bundespräsidentschaftswahl als FPÖ-Kandidat antritt. Für die Unabhängigkeit der Volksanwaltschaft wirft es ein mindestens fragwürdiges Bild auf, wenn eines ihrer Mitglieder für einige Wochen in den parteipolitischen Wahlkampf zieht.

Gegründet in der Ära Kreisky

Die Volksanwaltschaft entstand in der Zeit der SPÖ-Alleinregierung unter Kanzler Bruno Kreisky nach dem Vorbild Schwedens – und als eine der ersten Ombudsstellen außerhalb Skandinaviens. "Damals war das Konzept gutgemeint. Denn man hat damit gezeigt, dass man auch die Opposition einbinden will", sagt der Menschenrechtsexperte Manfred Nowak dem STANDARD. Nowak war selbst lange Jahre Leiter des Menschenrechtsbeirats, der seit 2012 der Volksanwaltschaft eingegliedert ist und sie bei ihrer Kontrollarbeit berät. Die Dynamiken innerhalb der Institution kennt er deshalb gut.

Für ihre ursprüngliche Aufgabe, die Kontrolle der Verwaltung, seien von Parteien entsendete Volksanwälte auch heute nicht unbedingt ein Nachteil, meint der Jurist. Ihre gute politische Vernetzung hinein in die Ministerien könnte ihnen bei ihrer Aufgabe sogar helfen.

Internationale Empfehlungen

Aber: Seit 2012 hat die Volksanwaltschaft noch ein anderes, sehr gewichtiges Mandat. Als nationale Menschenrechtsinstitution soll sie seither auch die Menschenrechtslage in Österreich kontrollieren – und dafür sorgen, dass Menschenrechte gefördert und eingehalten werden. Akkreditiert wurde die Volksanwaltschaft für diese Aufgabe von der Uno. Die Allianz der Nationalen Menschenrechtsinstitutionen (GANHRI) überwacht die sogenannten Pariser Prinzipien, eine Reihe von Grundsätzen für nationale Menschenrechtsinstitutionen, die 1993 von der Uno-Generalversammlung verabschiedet wurden.

Zentral sind dafür vor allem Garantien für Unabhängigkeit und Pluralismus. Gerade in diesen Bereichen hat GANHRI der Volksanwaltschaft Empfehlungen mit auf den Weg gegeben. So solle die österreichische Ombudsstelle "sicherstellen", dass die Volksanwältinnen und Volksanwälte "unabhängig und in völliger Übereinstimmung mit den Pariser Kriterien" sind, wie es in einem GANHRI-Bericht aus dem März heißt. Zudem gab es dreizehn Empfehlungen im Zuge der universellen Staatenprüfung der UNO.

Nowak: Österreichs Modell "schlechteste Variante"

Um dem Kriterium der Unabhängigkeit gerecht zu werden, bräuchte es "eine wirklich überparteiliche Person an der Spitze", sagt auch Nowak. Das österreichische Modell sei dafür völlig ungeeignet: "Es ist weltweit einmalig und die schlechteste Variante, die man sich dafür vorstellen kann." Nowak tritt deshalb – so wie zahlreiche NGOs und Verfassungsrechtler – für eine Reform der Volksanwaltschaft ein. Mitglieder sollten demnach keine politischen Funktionäre mehr sein, sondern Fachleute aus Justiz, Wissenschaft und Zivilgesellschaft mit einschlägiger Erfahrung beim Thema Menschenrechte. Das entspricht auch den Empfehlungen von GANHRI an Österreich.

Und: Die beste Organisationsform dafür sei eine vielköpfige Kommission, die fachliche wie gesellschaftliche Breite abbildet, sagt Nowak. Ausgewählt werden solle diese in einem transparenten Ausschreibungsverfahren – so, wie in den meisten Ländern der Welt bereits üblich. Ob die heimischen Parteien auch Interesse an einer solchen Reform haben, steht freilich auf einem anderen Blatt. Denn im Falle einer Regierungsbeteiligung von Parteifreundinnen und Vertrauenspersonen überwacht zu werden, dürften viele Politikerinnen und Politiker wohl zumindest nicht als Nachteil empfinden. (Martin Tschiderer, 27.9.2022)