Für Schampus bestand kein Anlass: Die Koalitionsparteien von Karl Nehammer (ÖVP, rechts) und Werner Kogler (Grüne) verloren in Tirol elf Prozentpunkte.

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Wenn Landespolitiker Wahlniederlagen auf "die in Wien" schieben, dann ist das nicht per se eine billige Ausrede. Denn tatsächlich sind die Ergebnisse auf regionaler Ebene im Schnitt zur Hälfte mit dem Bundestrend zu erklären, hat der Politologe Laurenz Ennser-Jedenastik von der Uni Wien mit dem Vergleich von Umfragen und Resultaten herausgefunden. Auch das Ergebnis in Tirol vom Sonntag muss Bundespolitikern deshalb zu denken geben.

ÖVP

Einen Teil der 9,6 Prozentpunkte Minus haben sich die Tiroler Schwarzen zweifellos selbst zuzuschreiben – frag nach bei Noch-Landeshauptmann Günther Platter, der seinen Nachfolger in spe Anton Mattle schlecht vorbereitet ins kalte Wasser stieß. Doch gelitten hat das Ergebnis auch unter dem Mann an der Bundesspitze. 2018 fuhren die Tiroler ihre gut 44 Prozent nicht zuletzt deshalb ein, weil in Wien der damals noch strahlkräftige Sebastian Kurz regierte. Der aktuelle ÖVP-Chef Karl Nehammer bringt laut Umfragen hingegen kein bisschen Kanzlerbonus mit.

Trotzdem zeichnet sich keine Obmanndebatte ab. Denn bei allem, was sich an Nehammers Performance aussetzen lässt: Für die tieferen Ursachen der Misere kann er wenig. Neben der Korruptionsdebatte fällt der Kanzlerpartei der Ärger über die Preisexplosion auf den Kopf. "Ein gewisses Minus", sagt der Politikberater Thomas Hofer, "musst du als Regierungspartei in so einer Situation einpreisen".

Ein "Wunderwuzzi" (Hofer), der das Ruder herumreißen könnte, ist in der ÖVP nicht in Sicht – und selbst wenn: Es wäre dumm, einen Hoffnungsträger just im nahenden, wohl auch politisch grimmigen Winter zu verheizen, so der Experte. Außerdem: Wer alle paar Monate den Kanzler wechselt, dem droht der Ruf der Chaotentruppe.

Grüne

Hausgemachte Probleme im Vorfeld der Wahl, dazu ebenfalls ein Regierungsmalus: Die Grünen litten unter ähnlichen Schwierigkeiten wie die ÖVP, wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß. Ein Minus von 1,5 Prozentpunkten ist im Rahmen dessen, womit Juniorpartner in Bundeskoalitionen rechnen müssen.

Der Erfolg der Partei steht und fällt mit dem Klimathema: Tritt diese Frage, wie nun in der Inflationskrise, in den Hintergrund, scheint es mit Zugewinnen vorbei zu sein. Auf anderen Themenfeldern fassen die Grünen zu wenig Tritt.

SPÖ

Eine drohende soziale Krise infolge der Preisexplosion: Die Themenlage scheint perfekt für die Sozialdemokraten zu sein – und dennoch kam in Tirol nur eine Stagnation heraus. Hofer sieht darin einen Beleg für die schon länger gehegte Vermutung, dass die deutliche Führung in den Umfragen auf Bundesebene weniger mit der eigenen Stärke als mit der Schwäche der anderen zu erklären ist. Die SPÖ scheitere am Spagat zwischen Stadt und Land, urteilte Sora-Meinungsforscher Christoph Hofinger im STANDARD-Chat. Interessanterweise sei in Tirol eher der urbane Raum der Schwachpunkt gewesen.

Immerhin: Aller Voraussicht nach wird die SPÖ in Tirol als Juniorpartner der ÖVP mitregieren. Ein Präjudiz für eine mögliche rot-türkise Koalition auf Bundesebene? Wohl kaum. Zuletzt lagen die Präferenzen in der roten Chefetage dem Vernehmen nach deutlich bei der Ampel mit Grünen und Neos.

FPÖ

Ibiza-Skandal, Spesenaffäre, interne Querelen – egal: Sobald Krise herrscht, geht es mit den Freiheitlichen bergauf. Die Bundesblauen werten Platz zwei mit 3,3 Prozentpunkten Zuwachs als Trendwende in eine erfolgreiche Zukunft.

Doch man kann das Glas auch halb leer sehen. Demoskop Hofinger ist überrascht, dass die FPÖ angesichts der Lage nicht mehr Wählerinnen und Wähler gewonnen hat – er habe damit gerechnet, dass die ÖVP keine 16 Prozentpunkte Vorsprung haben werde. Bescheiden sei etwa das Ergebnis bei den älteren Wählern, die der harte Kurs Herbert Kickls womöglich abgeschreckt hat. Im Gegensatz zu früher habe die FPÖ kein alleiniges Abo mehr auf Menschen mit Zukunftsängsten.

Neos

Weder Grund zum Jammern noch zum Jubeln: Einmal mehr fallen Zugewinne der Neos mit 1,3 Prozentpunkten bescheiden aus – und das, obwohl mit der ÖVP eine Partei erodiert ist, die zum Teil um die gleiche Wählergruppe rittert.

Warum der große Durchbruch nicht gelingt? Die Neos punkten wenig abseits des jungen, gut situierten und gebildeten Stadtpublikums, und selbst da ist die Konkurrenz groß. Viele Anhänger einer liberalen Gesellschaftspolitik tendieren wirtschaftspolitisch nach links – was sich mit der staats- und regulierungskritischen Neos-Linie schlägt.

MFG

Tirol ist eine Zäsur in der eineinhalbjährigen Parteigeschichte: Erstmals konnte die MFG bei einer Kandidatur kein Mandat erringen, mit 2,8 Prozent blieb die Fünf-Prozent-Hürde in weiter Ferne. Das ist umso erstaunlicher, als die Impfkritiker bei den Tiroler Gemeinderatswahlen im Februar noch in jeder Gemeinde reüssiert hatten, in der sie angetreten waren.

Ob die MFG als Single-Issue-Partei mit dem Abklingen der Pandemie wieder verschwindet oder auch in anderen Fragen Profil entwickelt, wird sich in den nächsten Monaten entscheiden: bei der Präsidentenwahl mit Kandidat Michael Brunner sowie bei der niederösterreichischen Landtagswahl im Jänner. (Gerald John, Max Stepan, 26.9.2022)