Männernetzwerke wie die "Paypal-Mafia" verfügen nach wie vor über große Macht im Silicon Valley.

(Dieses Symbolbild wurde mit der KI Stable Diffusion mit der Eingabe "1930 chicago mafia black&white" generiert.)

Foto: DER STANDARD/Pichler/Stable Diffusion

Als ausgehend von der US-Filmbranche die #MeToo-Welle in andere Länder und Berufszweige schwappte, wurde auch das Silicon Valley, der Nabel der Tech-Welt, mit seinen Sünden konfrontiert. Übergriffige Manager, die ohne Konsequenzen Mitarbeiterinnen in ihren Teams terrorisieren konnten, toxische Arbeitskultur, ungleiche Gehälter und gläserne Decken für Frauen und Minderheiten: Das betraf auch viele Unternehmen, die nach außen Modernität und liberale Werte ausstrahlten.

Google, Microsoft, Activision-Blizzard, Space X – nicht nur dort hatte die "Bro Culture" der vergangenen Jahrzehnten, in denen die Tech-Branche weitestgehend als Männerklub organisiert war, ihre Spuren hinterlassen. Auch wenn es um Kapital ging, blieb man "unter sich". Nur ein Bruchteil der Gelder floss in von Frauen gegründete Start-ups, wesentlich weniger als ihr Anteil an den Präsentationsrunden eigentlich nahelegen würde.

Die öffentliche, oft organisierte Dokumentation durch Betroffene sorgte für Zugzwang. Übeltäter wurden zur Rechenschaft gezogen, Entschuldigungen verlautbart, Besserung versprochen und Spenden getätigt. Man wolle an der Unternehmenskultur arbeiten, mehr Frauen und Personen mit diversem ethnischem und kulturellem Hintergrund anstellen, Gehaltsgleichheit herstellen.

Der Boy's Club war nie weg

Nun, so kritisiert Erin Griffith, Tech-Journalistin der "New York Times", scheint sich der Wind wieder zu drehen. Einflussreiche Firmenchefs schlagen einen kampflustigen Ton an und borgen sich teilweise einschlägigen Jargon. Mark Zuckerberg bekundet im umstrittenen Podcast von Joe Rogan seine Liebe zum Kampfsport und findet klassisches Fernsehen im Vergleich zu sozialen Medien "beta".

Elon Musk sorgt sich vor einem massiven Bevölkerungsrückgang aufgrund zu niedriger Geburtenraten. Gleichzeitig versucht er sich über das Gesetz zu stellen und aus dem Deal mit Twitter zu winden, den er selbst eingefädelt hat. Und Großinvestor Marc Andreessen trat gegen die Pläne auf, an seinem Wohnort, dem von Reichen bevölkerten Silicon-Valley-Städtchen Atherton, leistbare Familienhäuser zu errichten. Nur um kurz darauf beim Wohnungsimmobilien-Start-up Flow von Adam Neumann einzusteigen, welcher mit dem WeWork-Debakel Milliarden an Investorengeldern versenkt hatte.

Rückschritte

Auch hinter den Kulissen sieht es nach Stillstand oder gar Rückschritt aus. "Wir haben ein bisschen Fortschritt erreicht, aber ich habe den Eindruck, das war vielleicht nur eine Nebelkerze", sagt Christie Pitts, Investorin bei Backstage Capital. Nun mache sich das Gefühl breit, dass die Branche wieder in alte Muster verfalle.

Während Tech-Personalities auf Twitter teils eigenwillige politische Ansichten postulieren, sich bei Kritik "gecancelt" fühlen und Milliardenbeträge in unsichere "Metaverse"-Träume buttern, landen bei Start-ups von Frauen gerade einmal zwei Prozent des Risikokapitals und bei jungen Firmen schwarzer Gründerinnen und Gründer gerade einmal ein Prozent.

Shervin Pishevar, ein Risikoinvestor, der 2017 von fünf Frauen sexueller Übergriffe beschuldigt worden war, ist wieder im Geschäft, nämlich als Manager bei Kanye Wests Yeezy. Das Unternehmen Verkada, wo es zu übergriffigem Verhalten gegen Frauen gekommen sein soll und es an Kontrolle über den Zugriff auf Überwachungssoftware mangelt, konnte erfolgreich über 200 Millionen Dollar von bekannten Investorfirmen lukrieren. Sexuelle Übergriffe und Einschüchterungen, die aus der von Andreessen mitfinanzierten "Tech-WG" namens Launch House berichtet wurden, blieben innerhalb der Branche weitestgehend unkommentiert.

Soweit sie selber beobachten konnte, gebe es niemals Konsequenzen für Männer, die sich etwas zuschulden kommen lassen, sagt Pitts. "Es ist entmutigend."

Launch House entschuldigte sich in einem Blogpost für die Vorfälle und mangelnde Sicherheit. Verkada versicherte, dass man aus vergangenen Vorfällen gelernt und "klare Richtlinien und Schulungen" etabliert habe und nun über Mitarbeiter verfüge, die sich um den Themenbereich "Sexismus und Belästigung" kümmerten.

Die "Paypal-Mafia"

Die Netzwerke sind teilweise offensichtlich. So verweist Griffith auf die "Paypal-Mafia", eine Gruppe aus Gründern und frühen Mitarbeitern des gleichnamigen Bezahldiensts – darunter auch Elon Musk –, von denen sich ein Teil von "Fortune" 2007 in "Gangster"-Kleidung ablichten ließ. Die Beteiligten investieren gerne gegenseitig in ihre Firmen oder steigen gar an hohen Positionen ein und halten damit die Dinge "in der Familie". Musk kontaktierte seine Kollegen aus alten Tagen, um Kapital für die geplante Twitter-Übernahme aufzustellen. Sie steuerten rund 900 Millionen Dollar bei. Weitere 1,4 Milliarden kamen vom Oracle-Gründer Larry Elisson, laut eigener Aussage ein enger Freund von Musk, und der Investmentfirma von Andreessen.

"Frauen haben nicht diese tiefen, jahrzehntealten Netzwerke", kommentiert dies Taryn Langer, die mit ihrer PR-Firma Moxie Communications für Gründer und Investorenfirmen tätig ist: "Es gibt den Boy's Club immer noch."

Im Mai war bekannt geworden, dass Elon Musk eine Zahlung geleistet hatte, um eine Klage einer Flugbegleiterin außergerichtlich beizulegen. Er hatte ihr Berichten zufolge angeboten, ihr im Gegenzug für eine erotische Massage ein Pferd zu kaufen. Chad Hurley, Youtube-Mitgründer und ebenfalls Teil der "Paypal-Mafia", erklärte mit einem Wortspiel auf Twitter dazu, dass Musk sich weniger promiskuitiv ausleben und den Twitter-Deal abschließen solle, da schließlich alle ein "Happy End" haben wollten. Musks Antwort: "Na gut, wenn du mein Würstchen streichelst, kannst du ein Pferd haben." Seine Follower befragte er später außerdem, ob er eine Universität namens "Texas Institute of Technology & Science" gründen solle, weil sich der passende Merchandise dazu (aufgrund der Abkürzung, Anm.) sicher gut verkaufen werde.

Andreessens Einstieg bei Flow für 350 Millionen Dollar ist die bislang größte Einzelinvestition der Risikokapitalfirma Andreessen Horowitz. Und sie sorgte für Kritik von Frauen und People of Color. Einem weißen Mann, der bereits viel Geld verbrannt hat, würden hier einfach so hunderte Millionen nachgeworfen, während ihre Start-ups hart um Kleinbeträge kämpfen müssten.

Diana Lee, Mitgründerin der Adtech-Firma Constellation, erzählt dazu aus ihrer Realität. Sie musste 80 Prozent jährliche Wachstumsrate, hunderte Kunden und konsistente Profite vorweisen, um eine faire Beurteilung und Risikokapital zu erhalten. Flow hingegen sei noch nicht einmal richtig gestartet und werde bereits mit einem Unternehmenswert von einer Milliarde Dollar eingestuft.

Verantwortlicher für Fyre Festival will zurück ins Geschäft

Solche Entwicklungen, schlussfolgert Griffith, hätten wohl auch Billy McFarland angespornt. Er hatte 2017 ein Musikfestival, das Fyre Festival, auf einer Bahamas-Insel organisiert. Dieses musste vorzeitig abgebrochen werden, da es aufgrund gebrochener Versprechen, vieler Bandabsagen, der desolaten Zustände auf dem Gelände und chaotischer Organisation zu Tumulten gekommen war.

McFarland wurde 2018 zu einer Geldstrafe von 26 Millionen Dollar und einer sechsjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Davon wurden zweieinhalb auf Bewährung ausgesetzt, weswegen er seit Ende August wieder auf freiem Fuß ist. Er strebt nun ein Comeback im Tech-Geschäft an. (red, 28.9.2022)