Menschen demonstrieren in der iranischen Hauptstadt Teheran nach dem Tod einer 22-Jährigen.

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Paris/Teheran – Die Proteste im Iran reißen nicht ab. Auch am Dienstag ist es staatlichen und sozialen Medien zufolge erneut zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen. Aus dutzenden Städten wurden Ausschreitungen gemeldet. In einigen Fällen habe die Polizei Tränengas eingesetzt, berichtete das Staatsfernsehen. Auslöser der Proteste war der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini. Sie war vor eineinhalb Wochen in Teheran in Polizeigewahrsam gestorben. Die Sittenpolizei hatte sie festgenommen, weil sie gegen die strenge islamische Kleiderordnung verstoßen und ihr Kopftuch nicht angemessen getragen haben soll.

Dass sich die Proteste mittlerweile allgemein gegen eine Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte und die Führung im Iran richteten, wurde auch am Dienstag deutlich. Videos, die in sozialen Medien aus dem Iran heraus gepostet wurden, zeigten Demonstranten, die "Frau, Leben, Freiheit" oder "Ich werde die töten, die meine Schwester getötet haben" skandierten. Andere riefen "Tod dem Diktator" in Anspielung auf den obersten politischen und religiösen Führer Ayatollah Ali Khamenei.

In einigen Social-Media-Beiträgen hieß es, mehrere Universitätsdozenten seien aus Protest gegen Aminis Tod von ihren Posten zurückgetreten. In einigen Universitäten seien Studenten den Vorlesungen ferngeblieben. Weder die Videos zu den Protesten noch die Angaben zu den Vorgängen an den Hochschulen ließen sich unabhängig überprüfen.

Zahlen über Todesopfer gehen auseinander

Nach Angaben des Generalstaatsanwalts von Mazandaran, einer Provinz im Norden des Iran, wurden in den letzten zehn Tagen mindestens 450 Menschen verhaftet. Die iranischen Behörden gaben am Montag laut einem Bericht der britischen Tageszeitung "Guardian" bekannt, dass im Zuge der Ausweitung der Rasterfahndung gegen die Proteste sogar mehr als 1.200 Menschen festgenommen worden seien. Die offizielle Zahl der Todesopfer bei den Unruhen liegt bei 41, Menschenrechtsgruppen beziffern die tatsächliche Zahl mit mehr als 76.

Amnesty International erklärte dem "Guardian" zufolge, dass seit Beginn der Proteste mindestens vier Kinder von staatlichen Kräften getötet worden seien. Die Organisation beschreibt ein "erschütterndes Muster" des "absichtlichen und rechtswidrigen Beschusses von Demonstranten mit scharfer Munition". Auch der NGO Iran Human Rights (IHR) sollen Videoaufnahmen zugespielt worden sein, in denen "scharfe Munition direkt auf Protestierende abgefeuert" wird, sagte der Direktor der NGO, Mahmood Amiry-Moghaddam.

Reaktion der internationalen Gemeinschaft

Trotz des harten Vorgehens der Polizei wurde Zeugen zufolge auch am Montagabend in Teheran und anderswo weiter demonstriert. Die Iran Human Rights zugespielten Videoaufnahmen, angeblich in der Stadt Täbris, zeigen Menschen, die protestieren, während Sicherheitskräfte Tränengaskanistern abfeuern.

Seit Ausbruch der Proteste ist der Zugang zu Apps wie Instagram und Whatsapp eingeschränkt. Dennoch haben sich Videos von Menschen, die angeblich während der Proteste getötet wurden, in den sozialen Medien verbreitet. Die Eltern der Demonstrierenden zeigten sich dabei enttäuscht über die Reaktion der internationalen Gemeinschaft. "Die Menschen erwarten von der Uno, dass sie uns und die Demonstranten verteidigt", sagte der Vater des 21-jährigen Milan Haghigi, zitiert von Amnesty International. "Auch ich kann [die iranischen Behörden] verurteilen, die ganze Welt kann sie verurteilen, aber wozu dient diese Verurteilung?"

Van der Bellen "in höchstem Ausmaß" besorgt

Am Dienstag zeigte sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen "in höchstem Ausmaß" besorgt über Entwicklungen im Iran. "Die Gewalt gegen Frauen, besonders bei den aktuellen Protesten, und die Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit verurteile ich auf das Allerschärfste", teilte Van der Bellen mit. "Überall dort, wo die universellen Menschenrechte verletzt werden, müssen wir entschieden für sie einstehen."

Der Tod von Mahsa Amini sowie der "unverhältnismäßige" Gewalteinsatz durch die Sicherheitsbehörden gegen Demonstranten müssten "unabhängig und transparent aufgeklärt" werden, forderte Van der Bellen.

Festnahme wegen Hijab

Die 22-jährige Amini war zu Besuch in Teheran, als sie von der Sittenpolizei verhaftet wurde, da sie offenbar ihr Haar nicht richtig verschleiert hatte. Während die Polizei behauptet, sie sei eines natürlichen Todes gestorben, wirft ihre Familie den Polizeibeamten Folter und Mord vor.

"Auf dem Weg zur Polizeistation wurde sie gefoltert und beleidigt", sagte Aminis Cousin Erfan Mortezaei zu Sky News. "Sie erlitt eine Gehirnerschütterung durch einen Schlag auf den Kopf. Es gibt einen Bericht aus dem Kasra-Krankenhaus [in Teheran], der besagt, dass sie aus medizinischer Sicht bereits tot war, als sie das Krankenhaus erreichte." (awie, ag, APA, 27.9.2022)

Dieser Artikel wurde um 15:45 Uhr aktualisiert.