Für über drei viertel der Befragten steht Arbeit nicht an erster Stelle, sondern die Freizeit.

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Für 53 Prozent der heimischen Arbeitnehmer ist sinnvolle Arbeit voll und ganz wichtig, weitere 36 Prozent sagen, dass das eher schon so sei. In Summe – 89 Prozent – ist das die klarste Aussage, die Menschen in Arbeit oder Ausbildung über die Arbeitswelt treffen. Dazu kommt der Anspruch, dass sich die Werte des Arbeitgebers mit den eigenen Werten decken sollten. Das geht aus einer Sonderauswertung der August-Umfrage des Linzer Market-Instituts (n=528) für den STANDARD hervor.

Ein näherer Blick in die Tabellen zeigt, dass der Wunsch nach Sinnstiftung bei der Arbeit mit höherem Alter zunimmt und dass Frauen mehr Wert darauf legen als Männer. Ähnlich deutlich ist das bei der Frage nach Übereinstimmung eigener Werthaltungen mit denen des Arbeitgebers: Auch diese ist Frauen wichtiger als Männern.

In vielen Bereichen ein einheitliches Bild

Martina Sturmair, die bei Market Forschungen zur Arbeitswelt betreibt: "Was auffällt, ist dass diese Erwartungen an Sinn und Wert nichts mit Bildung zu tun haben – da unterscheiden sich Arbeiter nicht von Akademikern. Allenfalls könnte man eine noch deutlicher Ausgeprägte Werthaltung der Arbeitnehmer im ländlichen Raum gegenüber Stadtbewohnern herauslesen, aber dieser Unterschied ist nicht sehr groß – am Land wird der Sinnfrage etwas häufiger voll und ganz zugestimmt, in den Städten dafür öfter mit 'eher schon'."

Am anderen Ende der Tabelle steht die Aussage, dass Arbeit immer an erster Stelle stehen sollte, auch wenn das weniger Freizeit bedeutet. Dem stimmen nur fünf Prozent voll und weitere 14 Prozent eher schon zu – 77 Prozent ist erklärtermaßen die Freizeit wichtiger. Auch hier ist das Muster ähnlich: Männer und Frauen, höher und weniger Gebildete haben weitgehend gleiche Einschätzungen. Ältere Befragte geben allerdings der Freizeit zwar in ähnlich hohem Gesamtausmaß, allerdings nicht mit derselben vollen Zustimmung wie die jungen (und städtischen) Befragten den Vorzug. Sturmair: "Wer kleine Kinder im Haushalt hat, hat eine klare Priorität für die Freizeit, was ja auch verständlich ist."

Jüngere verzichten eher auf Geld

Immerhin vier von zehn Beschäftigten geben der Freizeit auch Priorität vor dem Gehalt – und wären bereit, auf Geld zugunsten der Freizeit zu verzichten. Bei diesem Punkt ist auffallend, dass Befragte über 50 zu zwei Dritteln einen solchen Abtausch explizit ablehnen – dabei findet gerade in dieser Zielgruppe das Angebot der Altersteilzeit gute Akzeptanz.

Ein knappes Drittel der Befragten will nur so viel arbeiten und verdienen, wie unbedingt zum Leben notwendig ist. Dem stehen allerdings 47 Prozent gegenüber, für die Karriere ein wichtiger Teil in einem erfüllten Leben ist. "Hier fällt auf, dass das vor allem von jungen und weiblichen Befragten so gesehen wird. Umgekehrt sehen 45 Prozent der Menschen mit höherer Bildung, also von Matura aufwärts, Karriere als nicht so wichtig für ein erfülltes Leben an", liest Sturmair aus den Tabellen.

Wenig Lust, den Gästen oder Kunden zu dienen

Ein besonders starker Unterschied zwischen Menschen mit höherer und geringerer formaler Bildung wird deutlich, wenn man sich die Beurteilung der Aussage ansieht, die lautet: "Ich übernehme gerne eine dienende Funktion, um die Kunden, Gäste oder Klienten zufriedenzustellen." Dem stimmen 18 Prozent der Menschen mit einfacher, aber nur acht Prozent der Menschen mit höherer Bildung völlig zu. Eine teilweise Zustimmung liegt bei beiden Gruppen etwas über 40 Prozent.

Mit dieser Frage lasse sich auch der Personal- und Nachwuchsmangel in der Gastronomie erklären, wenn man sich die demographischen Merkmale der Befragten näher ansieht. So sind ältere Befragte eher als die Jüngeren geneigt, im Interesse der Kunden eine dienende Funktion zu übernehmen.

Und anders als bei anderen Aussagen zur Arbeitswelt gibt es auch auffallende Unterschiede zwischen den Wählerschaften der einzelnen Parteien, wenn es ums Dienen geht: "Wer der ÖVP oder der MFG nahe steht, hat wahrscheinlich eine höhere Bereitschaft, eine dienende Funktion auszufüllen als Neos- oder FPÖ-Anhänger, die dies in hohem Maß ablehnen. Noch stärker ist das Stadt-Land-Gefälle, das teilweise mit den unterschiedlichen Bildungsniveaus zusammenhängt: Am Land finden die Leute weniger dabei, dass arbeiten auch dienen bedeuten kann", sagt die Meinungsforscherin.

Harte Arbeit keine Garantie für gutes Leben

Eine weitere Erkenntnis der Umfrage deutet darauf hin, dass das Versprechen, harte Arbeit sorge langfristig für ein gutes Leben, nur von einer Minderheit geglaubt wird. 16 Prozent glauben die Aussage gar nicht, weitere 34 Prozent eher nicht. "Besonders stark verbreitet sind die Zweifel, dass man sich Wohlstand erarbeiten kann, im städtischen Bereich", erläutert Sturmair. Dementsprechend sei gerade in den Städten die Bereitschaft, auch außerhalb der Dienstzeit erreichbar zu sein oder Mails zu beantworten geringer ausgeprägt.

Dass gleichzeitig mehr als 70 Prozent meinen, mit guten Leistungen könne man Karriere machen, sieht Sturmair nicht als Widerspruch: "Es ist den meisten Befragen schon bewusst, dass Karriere mit Leistung zu tun hat – aber andererseits wird Karriere zu machen eben nicht unbedingt als 'gutes Leben' gesehen."

Klare Trennung zwischen Arbeit und Freizeit

Zwei Drittel der Befragen sagen mehr oder weniger deutlich, dass sie nach dem Tagwerk abschalten wollen – an die mit der Arbeit verbundenen Probleme zu denken hätte ja wohl auch Zeit bis zum nächsten Tag. Und woran denkt man stattdessen? 44 Prozent der Beschäftigten denken daran, möglichst bald in Pension zu gehen – ein Wunsch, den auch drei von zehn Befragten unter 30 Jahren hegen. (Conrad Seidl, 9.10.2022)