Der Autor und Geopolitik-Experte Robert D. Kaplan sieht in seinem Gastkommentar für die Regime in Russland und im Iran keine wirkliche Zukunft. Nur, folgert er, "gibt es keine klare und institutionell tragfähige Alternative, die an ihre Stelle treten könnte".

Manchmal ist ein Nachrichtenzyklus mehr als nur Lärm. Er liefert ein lautes, unheimliches Signal darüber, was hinter dem Horizont liegen könnte. So geschehen in diesem Monat, als eine hoffnungsvollere, gefährlichere und radikal andere Geopolitik ins Blickfeld geriet. Innerhalb weniger Tage haben wir den Beinahezusammenbruch der russischen Armee in der Ukraine und die Demütigung eines Regimes in den Straßen iranischer Städte erlebt.

Die Soldaten des russischen Präsidenten Wladimir Putin offenbarten, dass sie kaum mehr waren als ein umherziehender Mob. Nachdem sie die von ihnen kontrollierte Zivilbevölkerung gefoltert und misshandelt hatten, verließen sie abrupt ihre Stellungen und liefen buchstäblich vor den vorrückenden ukrainischen Truppen davon. Putins faschistisch anmutender nationaler Sicherheitsstaat könnte sich in Asche verwandeln. Seine Drohung mit einem Atomkrieg zeigt nur, dass autokratische Regime in den Jahren vor ihrem Ende am gefährlichsten sind.

Eingezogene Reservisten: Die Teilmobilisierung in Russland sorgt für heftige Proteste und Spannungen im Land.
Foto: IMAGO/ITAR-TASS

Was den Iran betrifft, so ist die Verachtung des Regimes bei seinen eigenen Untertanen mit massiven Protesten in dutzenden Städten und Menschenmengen, die das Ende der Islamischen Republik fordern, voll zur Geltung gekommen. Die über die sozialen Medien verbreitete Wut wurde durch den Tod einer 22-jährigen Frau, Mahsa Amini, ausgelöst, die von der sogenannten Sittenpolizei festgenommen worden war, weil sie ihren Hidschab nicht richtig trug. Treibstoff waren jedoch jahrzehntelange Unterdrückung und Korruption sowie eine ruinierte Wirtschaft.

Veränderte Geopolitik

Der Krieg in der Ukraine hat die europäische und sogar die globale Geopolitik bereits verändert. Doch das Ende von Putins Regime würde zu weitaus unberechenbareren Verschiebungen führen: Die Russische Föderation selbst könnte auseinanderbrechen, während sich die Nato und die Europäische Union nach Osten ausdehnen. Ebenso würde der Sturz des klerikalen Regimes im Iran den gesamten Nahen Osten verändern, den jahrzehntelangen sunnitisch-schiitischen Sektenkrieg praktisch beenden und die strategische Position Israels und der konservativen arabischen Staaten erheblich verbessern. Der Irak könnte sich dadurch sogar stabilisieren, ganz zu schweigen vom Libanon und Syrien.

"Selbst wenn die Demokratie erfolgreich ist, entsteht sie nicht über Nacht in Staaten, in denen sie keine wirkliche Tradition hat. Oft folgen Jahre des Aufruhrs."

Weder das russische noch das iranische Regime sind jetzt konkret bedroht. Beide könnten sich noch jahrelang halten. Aber dieser Monat gab einen Vorgeschmack auf ihr mögliches Ende. Da Putin in der Ukraine nicht gewinnen oder auch nur ein Unentschieden erreichen kann und die Mullahs in weiten Teilen ihrer eigenen Bevölkerung offen verachtet werden, sollte ihr Untergang als eine Frage des Wann und nicht des Ob betrachtet werden. In einer Welt, in der sich Nachrichten über eine militärische Niederlage, einen Skandal oder eine obskure und symbolische Handlung sofort in den sozialen Medien verbreiten können, schlafen Männer wie Putin und der iranische Oberste Führer Ali Khamenei unruhig.

Doch während diese Regime keine wirkliche Zukunft haben, gibt es keine klare und institutionell tragfähige Alternative, die an ihre Stelle treten könnte, und genau darin liegt die geopolitische Gefahr. Schließlich handelt es sich nicht nur um zwei beliebige Länder. Russland ist eine atomar bewaffnete Großmacht. Der Iran ist der wichtigste Dreh- und Angelpunkt im Nahen Osten und in Zentralasien und steht kurz davor, eine Atommacht zu werden.

Selbst wenn die Demokratie erfolgreich ist, entsteht sie nicht über Nacht in Staaten, in denen sie keine wirkliche Tradition hat. Oft folgen Jahre des Aufruhrs. In Russland waren die 1990er-Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Zeit zügelloser Kriminalität, wirtschaftlichen Chaos und schlecht durchgeführter Reformen, die dazu führten, dass etwa 70 Prozent der Russen an oder unter der Armutsgrenze leben mussten. Aus diesem Strudel einer dysfunktionalen Demokratie tauchte schließlich Putin auf.

Ernüchternde Erkenntnis

Ironischerweise hat der Iran 1979 einen viel weniger schmerzhaften und langwierigen politischen Übergang durchgemacht, denn Demokratie war nie das Ziel der Mullahs. Stattdessen ersetzten sie die Autokratie des Schahs rasch durch eine klerikale Despotie. Aber die Mullahs haben ihre Gesellschaft so zerstört, dass ein posttheokratischer Iran unregierbar sein oder sogar entlang verschiedener ethnischer und geografischer Linien zerfallen könnte.

Deshalb wird der demokratische Triumphalismus, der den Sturz dieser Regime in den kommenden Jahren begleiten wird, rasch der ernüchternden Erkenntnis weichen, dass in Moskau und Teheran ein gewaltiges politisches Vakuum herrscht, in dem vielleicht noch radikalere Kräfte – russische Ultranationalisten und iranische Revolutionsgarden – warten. Je zerstörerischer eine Tyrannei war, desto weitreichender ist oft die darauf folgende Anarchie.

In dieser chaotischen Welt, die durch das Ende der Tyrannei entstanden ist, wird die Suche nach Ordnung überwiegen. Unter Intellektuellen und politischen Entscheidungsträgern wird die Angst vor Anarchie die Angst vor Autokratie ersetzen. Dies ist leichter vorstellbar, wenn man bedenkt, wie schwierig es sein wird, die völlig zerrütteten Staaten und Gesellschaften zu stabilisieren, die Putin und die Mullahs hinterlassen werden. Der Niedergang der Autokratie wird die Arbeit der Demokratie nur noch mehr erschweren. (Robert D. Kaplan, Übersetzung: Andreas Hubig, Copyright: Project Syndicate, 28.9.2022)