Mahmoud Charr.

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Tyson Fury.

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Berlin – Aus dem Nichts meldete sich Mahmoud Charr. Als Box-Weltmeister Tyson Fury die "Battle of Britain" mit Anthony Joshua wie eine Seifenblase platzen ließ, ergriff der Deutsche seine einmalige Chance. Plötzlich soll der 37-Jährige am 3. Dezember gegen Fury um den WM-Titel kämpfen. Es ist die kuriose Pointe eines wochenlangen, teils unwürdigen Schauspiels.

Am Montagabend, nur wenige Stunden, nachdem Fury seine Kampfofferte an Joshua in einem Instagram-Video voller Beleidigungen zurückgezogen hatte, teilte Charrs Management die Einigung offiziell mit. "Tyson, du hast eine gute Wahl getroffen. Eine gute Entscheidung, gegen den Besten zu kämpfen", sagte Charr in seiner Instagram-Story: "Mein Bruder, wir werden den Fans die beste Show liefern."

Kampf in Manchester oder Cardiff

Das Duell um den Schwergewichts-Gürtel nach WBC-Version soll, so hieß es von der Charr-Seite, "in Manchester oder Cardiff" steigen. "Ich freue mich, gegen einen Mann anzutreten, der kämpfen will und das Feuer sowie Verlangen hat", kommentierte Fury ein Foto von sich und Charr: "Er hat gegen einige der Besten gekämpft und steigt nun wieder auf."

Dabei war der 3. Dezember eigentlich für ein noch größeres Spektakel reserviert. Für den Vereinigungskampf um die Ehre des unumstrittenen Champions zwischen Fury und Alexander Usyk, Weltmeister der Verbände WBA, WBO und IBF. Doch der Ukrainer will 2022 nicht mehr kämpfen, also bot Fury Anfang September dem gerade erst von Usyk zum zweiten Mal geschlagenen Ex-Champ Joshua einen Fight an diesem Termin an.

Frist verstrichen

Am 13. September sprach das Joshua-Management von einer Einigung – Verträge waren aber offensichtlich nicht unterschrieben worden, weshalb Fury Joshua eine Frist bis Montagnachmittag setzte, die jedoch verstrich. Und so bekam Charr seine Chance, wobei Furys Verhalten zuletzt reichlich Rätsel aufgab.

Eigentlich wollte der in 33 Kämpfen unbezwungene Hüne (2,06 m) doch gar nicht mehr in den Ring steigen. Mehrfach hatte er seinen Rücktritt erklärt, nachdem er in seinem bislang letzten Fight am 23. April Dillian Whyte geschlagen hatte. Genauso oft tauchte Fury aber wieder rasch auf der Bildfläche auf und fabulierte von Bedingungen für ein Comeback.

Für jenes gibt er sich nun mit dem Ersatzgegner des Ersatzgegners zufrieden. Das Leistungsvermögen Charrs, einst regulärer WBA-Weltmeister, lässt sich derweil nur schwer einschätzen. Gegen Weltklasse-Techniker Fury wird er krasser Außenseiter sein, absolvierte nach seinem Ringcomeback nur zwei Kämpfe gegen Christopher Lovejoy (Mai 2021) und Nikola Milacic (Mai 2022), die er immerhin gewann.

33 Siege und vier Niederlagen

Der Fury-Kampf ist das nächste bunte Kapitel im Lebenswerk des Mahmoud Charr, der in seiner Laufbahn auf 33 Siege und vier Niederlagen kommt. 2012 verlor er seinen ersten WM-Kampf gegen Vitali Klitschko, 2015 wurde er in einem Essener Döner-Imbiss angeschossen, zwei Jahre danach bekam er zwei künstliche Hüftgelenke. Nur Monate später gewann er den WBA-Titel gegen den Russen Alexander Ustinow, ehe er über drei Jahre pausierte.

Der Titelgewinn war ein richtungsweisender Moment für Charr – inklusive Posse um seinen deutschen Pass, den Charr, wie er erst später eingestand, damals nicht hatte. Mittlerweile hat er ihn aber in der Tasche und so könnte der "Koloss von Köln" mit syrisch-libanesischen Wurzeln nun wirklich der erste deutsche Schwergewichts-Champ seit Max Schmeling werden. Auch wenn das gegen einen Tyson Fury enorm schwer werden dürfte. (sid, red, 27.9.2022)