Der Verfassungsgerichtshof muss sich wieder einmal mit unklaren Covid-Gesetzen beschäftigen.

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Alles musste schnell gehen, als die Regierung im März 2020 den ersten landesweiten Lockdown über Österreich verhängte. Geschäfte, Sportanlagen und Parks wurden von einem Tag auf den anderen geschlossen. Nach einigen Wochen war der erste Lockdown zwar wieder vorbei, viele Maßnahmen, die die Regierung damals beschloss, beschäftigen die Gerichte aber bis heute – so auch die zinslosen Kreditstundungen, über die der Verfassungsgerichtshof (VfGH) am Dienstag öffentlich verhandelte.

Aus Sorge, dass viele Menschen in die Arbeitslosigkeit schlittern und ihre Kreditraten nicht mehr bezahlen können, hatte die Koalition im Frühjahr 2020 zu einer drastischen Maßnahme gegriffen: Kredite von Personen, die ihren Job verloren oder in Kurzarbeit mussten, wurden für eine Dauer von drei Monaten gesetzlich gestundet. Später wurde die Regelung auf sieben und dann auf insgesamt zehn Monate ausgedehnt. Betroffene mussten zwischen 1. April 2020 und 31. Jänner 2021 vorübergehend keine Raten an ihre Banken bezahlen. Die Kredite verlängerten sich damit automatisch um diesen Zeitraum.

Streit wegen unklarer Regel

Die Hilfe war für die Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer rasch spürbar, allerdings hatte das Parlament in der Eile eine wichtige Frage unklar geregelt. Im Gesetz, das wortgleich aus Deutschland übernommen wurde, blieb offen, ob die Banken während der Stundung weiter Zinsen verrechnen dürfen. Die Folge war ein Konflikt zwischen Banken und Konsumenten, der zunächst vor den Zivilgerichten ausgetragen wurde. Ende 2021 gab der Oberste Gerichtshof (OGH) dann dem Verein für Konsumenteninformation (VKI) recht. Die Verlängerungen der Kredite darf laut dem Höchstgericht nicht dazu führen, dass sich deren Gesamtbeträge erhöhen. Im Zeitraum der Stundung dürfen keine Zinsen verlangt werden.

Die österreichischen Banken, die von der Entscheidung des OGH überrascht waren, wollten das nicht akzeptieren. Insgesamt 403 Kreditinstitute zogen deshalb gemeinsam vor den Verfassungsgerichtshof. Das Argument: Auch Mieten seien für den Zeitraum gestundet worden, die Vermieter hätten die Beträge allerdings inklusive Zinsen zurückbekommen. Die Kreditinstitute fallen laut dem OGH-Urteil dagegen für zehn Monate gänzlich um ihr Entgelt um. Das sei "nicht akzeptabel", sagte Alexander Grau, Anwalt der Banken, in der Verhandlung. Es liege eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung vor.

Ausgleich durch Corona-Hilfen?

Und noch etwas stößt bei den Banken auf Unverständnis: Als die Regelung beschlossen wurde, ging der Sektor davon aus, dass er – so wie üblich – für die Zeit der Stundung weiterhin Kreditzinsen verlangen dürfe. Sogar die Arbeiterkammer habe Verbraucherinnen und Verbraucher darauf hingewiesen, dass weiter Zinsen anfallen. Und auch die Vertreter der Regierung gestanden in der Verhandlung ein, dass die Frage der Kreditzinsen von Anfang an unklar war, das Gesetz aber trotz mehrfacher Verlängerung nicht saniert wurde.

Das allein mache die Regelung allerdings nicht verfassungswidrig, betonte die Regierung, die die Auslegung der Bestimmung durch den OGH verteidigt. Eine Benachteiligung von Banken liege schon deshalb nicht vor, weil Miet- und Kreditverträge nicht miteinander vergleichbar seien. Abgesehen davon dürften die "frustrierten Aufwendungen für die Banken nicht allzu groß gewesen sein", wie etwa das Sozialministerium zu Protokoll gab. Es habe im Zuge der Corona-Hilfen zwar keine direkten Hilfen für Banken gegeben, die Institute hätten jedoch indirekt von der Gesamtheit der Maßnahmen profitiert, weil etwa Kreditnehmer zahlungskräftig blieben.

100 Millionen Euro?

Dass es bei den zinslosen Kreditstundungen für einzelne Personen um viel Geld geht, zeigt der Fall eines Mannes, den der Verein für Konsumenteninformation vertritt: Er hatte bei der Bawag einen Kredit über 45.000 Euro aufgenommen. Als die Pandemie ausbrach, musste er in Kurzarbeit. Sein Kredit wurde sechs Monate lang gestundet. Die Bawag verrechnete für diesen Zeitraum Zinsen in der Höhe von rund 1.900 Euro.

Insgesamt gab es laut Auskunft der Banken rund 175.000 Kredite, die gesetzlich gestundet wurden. Der Branche sei dadurch "schätzungsweise" ein Verlust von 100 Millionen Euro entstanden, sagt Grau. Wie hoch der Schaden genau ist, konnten die Bankenvertreter in der Verhandlung allerdings nicht beziffern. Verfassungsrichter Christoph Herbst bat die Institute um ergänzende Zahlen, eine Entscheidung dürfte es deshalb voraussichtlich erst in der nächsten Sitzungsperiode im Dezember geben.

Die allermeisten Banken wollen die Entscheidung des VfGH abwarten und erst dann zu viel verlangte Zinsen an ihre Kundinnen und Kunden zurückbezahlen oder am Kreditkonto gutschreiben. Bisher haben sich laut dem Sozialministerium nur die Santander Consumer Bank und die Bank 99 dazu bereiterklärt, sofort zu bezahlen. Mit der Bawag, die das Verfahren vor dem OGH verlor, führt der VKI derzeit Gespräche. (Jakob Pflügl, 27.9.2022)