Venus im Glassarg: Die historischen Wachsmodelle in ihren ursprünglichen Vitrinen aus Rosenholz und venezianischem Glas bleiben die Prunkstücke des Museums.
Foto: Christian Fischer

Drei Schwestern liegen blank. Die blonden Frauen ruhen nackt in Glasvitrinen auf seidenen Polstern, ihre Arme und Beine entspannt angewinkelt, als würden sie dösen und zwischendurch einen verträumten Blick in die Ferne werfen. Und doch strahlen die Damen mit goldenem Haarschmuck und Perlenkette vor allem eine morbide Eleganz aus. Morbid deshalb, weil ihre Nacktheit unter die Haut geht. Unverhohlen werden ihre Eingeweide präsentiert, von der Lunge bis zum Uterus. Man kann sie teils sogar herausnehmen und nachsehen, was sich unter einem Organ verbirgt. Eine anschauliche Hilfe für angehende Ärzte.

In den Lehrstunden mussten sich die Nasen der Mediziner nicht an den Geruch von Fäulnis oder Formalin gewöhnen. Bei den drei Frauen mit offenem Oberkörper handelt es sich nicht um sezierte Tote, sondern um Wachsfiguren. Von Kaiser Joseph II. um 1785 in Florenz bestellt, wurden die Skulpturen wie 1189 weitere Wachsmodelle auf den Rücken von Maultieren über die Alpen transportiert. Ihr Zuhause fanden sie in der Währinger Straße in Wien hinter klassizistischer Fassade: Das frisch gegründete Josephinum war eine Akademie zur Ausbildung von Militärärzten und Chirurgen.

Nach der Renovierung erstrahlt das Gebäude an der Währinger Straße in neuem Glanz.
Foto: Christian Fischer

Heute gehört der Bau mitsamt seinen medizinhistorischen Sammlungen zur Med-Uni Wien. Nach mehrjähriger Renovierung öffnet das Josephinum am 29. September wieder seine Pforten. Die auf rund 1.000 Quadratmeter erweiterte Ausstellungsfläche ist im oberen Stockwerk den anatomischen Wachsmodellen gewidmet, die nach wie vor die weltweit einmaligen Prunkstücke des Museums sind. "Sie wurden gleichermaßen als Lehrobjekte wie als Kunstwerke angeschafft", sagt Niko Wahl, der die Dauerausstellung kuratiert hat.

Kunst trifft Militärchirurgie

Die Posen der Ganzkörperskulpturen sind an berühmte Bildnisse der Kunstgeschichte angelehnt, aber auch so gewählt, dass sie beispielsweise den Verlauf bestimmter Blutgefäße und Muskeln zeigen. Bei ihrer Positionierung im Raum wurde ebenfalls nichts dem Zufall überlassen. Die stehenden Körper sind vor den Pfeilern platziert: "Die Erschütterungen durch die vorbeifahrende Straßenbahn sind so stark, dass sie selbst im Haus spürbar sind und den Objekten schaden würden", sagt Wahl.

Während der Renovierungsarbeiten mussten die Modelle und ihre schweren Glasvitrinen in einen anderen Gebäudeteil gebracht werden – ein logistischer Aufwand, für den temporär neuer Boden verlegt wurde, hebt Wahl hervor: "Unsere Restauratorin ist quasi mit den Figuren auf dem Palettenwagen getanzt, um sie extra zu stützen."
Josephinum Wien

Zum Zeitpunkt ihrer Erstausstellung vor rund 240 Jahren störte noch keine Bim. Schon damals konnte die interessierte Öffentlichkeit gegen einen Eintrittspreis die Modelle besichtigen. Medizinische Versorgung und Bildung waren Joseph II., der den Ideen der Aufklärung anhing und auch für das (heute nunmehr Alte) Allgemeine Krankenhaus verantwortlich zeichnete, ein Anliegen.

Der Knochenmann lehrte einst angehende Militärärzte die menschliche Anatomie.
Foto: Christian Fischer

Aufgeklärtes Puppenspiel

Doch viele seiner Zeitgenossen empfanden die Objekte als skandalös und schwer zu verdauen. Man machte sich über sie lustig: "Sie wurden in zeitgenössischer Literatur 'Josephs Puppenspiel' genannt", sagt Christiane Druml, seit 2012 Direktorin des Josephinums, Vorsitzende der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt und Inhaberin des Unesco-Lehrstuhls für Bioethik an der Med-Uni Wien.

Noch heute kämen immer wieder Menschen, "die denken, das ist ein Horrorkabinett, aber ich finde, es hat überhaupt nichts Schauriges an sich". Als Vintageversion der ethisch umstrittenen "Körperwelten"-Ausstellungen von Gunther von Hagens, die mit ihren Plastinaten aus toten Körpern zuletzt in Klagenfurt gastierten, will Druml das bis heute beeindruckende anatomische Wachsfigurenkabinett nicht verstanden wissen.

Museumsleiterin Christiane Druml im Herzen der Wachsmodell-Ausstellung.
Foto: Christian Fischer

Unter ihrer Leitung wurde das Museum aber nicht nur mit Mitteln unter anderem von Wissenschaftsministerium, Bundesdenkmalamt und Bundesimmobiliengesellschaft restauriert und renoviert. Das Josephinum wurde auch wortwörtlich entstaubt: Staub kann in das Wachsmaterial einsinken und lässt die Farben ermatten. Damit sie nicht dahinschmelzen, bestehen die Skulpturen aus mit Harz verfestigtem Wachs. Dennoch darf es ihnen nicht zu warm werden – in ihre Säle dringt kaum Sonnenlicht. Kälte wiederum macht das Material spröde.

Wiege der modernen Medizin

Wer genau hinsieht, kann entdecken, dass eine der blonden Schwestern schwanger ist. Durch ein Fenster in der Gebärmutter ist sogar der Fötus sichtbar. Daneben gibt es auch eine umfangreiche Sammlung an Geburtshilfemodellen: Militärchirurgen waren für die Frauen der Soldaten und somit für Entbindungen zuständig. Bei einem Modell ließ sich sogar das Becken mechanisch so weit aufdrehen, wie es bei einem Geburtsakt möglich ist.

Geburtshilfemodell mit Zange: Gezeigt wird, wie sich medizinisches Wissen entwickelte und verbreitet wurde.
Foto: Christian Fischer

Josephs Erbe wurde zwar von vielen Zeitgenossen nicht ernst genommen, doch brachte er wichtige internationale Fachleute in die Hauptstadt und stand am Anfang einer bahnbrechenden Entwicklung. "Wien ist der Ort, wo die moderne Medizin begann", zitiert Druml den in Wien geborenen und vor den Nazis geflüchteten Medizinnobelpreisträger Eric Kandel. Gerade internationale und kulturell diverse Einflüsse hätten diesen Höhenflug ermöglicht, so eine der Thesen, die in der Ausstellung aufgestellt werden.

Schwarze Kapitel

Dies tritt vor allem im Erdgeschoß des Museums zutage. Diese neu als Ausstellungsfläche gewonnenen Räume sind thematisch strukturiert. Die Lesetafel eines Wiener Augenarztes zeigt Aleph, Lamed, Taw – Buchstaben des hebräischen Alphabets. "Das Habsburgerreich war ein Vielvölkerstaat, Wien seine vielsprachige Hauptstadt", sagt Wahl.

Kurator Niko Wahl legte mit dem Team des Josephinums die neue Dauerausstellung an.
Foto: Christian Fischer

Der Stolz auf internationale Studierende an der medizinischen Fakultät der Uni Wien und auf hier ausgebildete Fachleute im Ausland sei groß gewesen. Den Gegensatz dazu bilden die Entwicklungen des Austrofaschismus und Nationalsozialismus. Ein vertrauliches Schriftstück aus dem Jahr 1942 demonstriert: An der Hochschule wurde zu Misstrauen gegenüber internationalen Studierenden aufgerufen.

Die dunkelsten Kapitel der österreichischen Medizingeschichte werden in mehreren Räumen thematisiert. Da ist der Pernkopf-Anatomieatlas, benannt nach einem glühenden Nazi und Mediziner: Den hochwertigen Illustrationen lagen präparierte Leichen zugrunde, zu denen womöglich auch Opfer des NS-Regimes gehörten.

Erinnerung an Berühmte und Unbekannte

Leere Gläser in Depotregalen verweisen auf die ermordeten Kinder vom Spiegelgrund. An Kranken und Unangepassten wurde in den 1940ern grausam geforscht, viele von ihnen wurden unter dem Vorwand der "Euthanasie" ermordet. Oft wurden ihre Gehirne in Gläsern konserviert, diese Reste wurden teils erst vor 20 Jahren am Zentralfriedhof bestattet.

Die Frage, woran man sich in der Medizingeschichte erinnert, zieht sich durch das ganze Museum. Das Lieblingsobjekt von Direktorin Druml etwa wurde hauptsächlich aufbewahrt, weil es sich um eine prominente Mordwaffe handelt. Anhand der Feile, mit der Kaiserin Elisabeth vor 124 Jahren in Genf getötet wurde, lässt sich medizinischer Fortschritt thematisieren.

Tatwaffe: Mit dieser Feile wurde Kaiserin Elisabeth – vulgo Sisi – ermordet.
Foto: Josephinum / Bene Croy

Sisi sei noch etwa eine Stunde nach dem Attentat, das sie für ein Anrempeln hielt, unterwegs gewesen, weil sie die Rippenwunde im engen Korsett nicht spürte – obwohl das Werkzeug ihr Herz perforiert hatte. "Das Blut ist ganz langsam aus dem Herz getreten", sagt Druml. "Zu dieser Zeit dachte man, dass niemand mit einer Verletzung am Herzen überleben kann." Heute sei die Wunde bei rechtzeitiger Erkennung sogar behandelbar.

Emanzipation der Ordination

Die zahlreichen Büsten und Porträts herausragender Ärzte der Wiener Medizin zeigen, wer zu den VIPs der Branche gehörte. Sie stehen in der Tradition jener historischen Größen, deren Antlitz im alten Hörsaal des Josephinums als Malerei auf die neun Meter hohe Wand gebannt wurde. Jahrzehntelang waren die Bilder von einer dicken Farbschicht verdeckt, die nun ebenso entfernt wurde wie die Zwischendecke aus den 1940er-Jahren.

Der restaurierte Hörsaal steht nun für Veranstaltungen zur Verfügung.
Foto: Josephinum / Reiner Riedler

Erinnerungslücken tun sich hingegen bei Randgruppen auf. Das verdeutlicht der Mageninhalt einer 1945 verhungerten Person, die zuletzt aus Mangel an Nahrungsmitteln Stroh aß. Auch Patientinnen und Patienten nehmen in der dokumentierten Geschichte meist untergeordnete Rollen ein – und die Frauen in der Medizin.

"Es wird aber kaum in Abrede zu stellen sein, daß alles das, was die Frauen auf diesen Gebieten geschaffen haben, auch nicht den entferntesten Vergleich mit dem aushält, was von den Männern geschaffen worden ist. Es haben die Frauen doch nur viel kleinere Köpfe." – Eduard Albert, "Die Frauen und das Studium der Medicin" (1895)

Diese hätten eine "physische und psychische Untauglichkeit" für das Medizinstudium, schrieb 1895 der bedeutende Chirurgieprofessor Eduard Albert in einer Broschüre. Viele Ärztinnen sollten diese Aussage in den folgenden Jahrzehnten Lügen strafen. Zwei Jahre später promovierte Gabriele Possanner als erste Frau in Österreich-Ungarn an der Uni Wien, nachdem sie bereits in der Schweiz Medizin studiert und ihren Doktortitel erhalten hatte. Die erstmalige Zulassung von Frauen zum Medizinstudium konnte Albert im September 1900 noch knapp miterleben.

Ein populäres Buch für den Hausgebrauch: Das millionenfach verkaufte "Die Frau als Hausärztin" sollte Frauen die medizinische Diagnose nahebringen. Die vorgeschlagenen Behandlungen waren in den älteren Ausgaben allerdings auf Naturheilkunde fokussiert.
Foto: Christian Fischer

Possanners Züricher Studienkollegin Anna Fischer-Dückelmann veröffentlichte im Folgejahr einen Bestseller, der Diagnostik in die Bevölkerung hinaustragen und vor allem Frauen näherbringen wollte: "Die Frau als Hausärztin" wurde bis 1993 neu aufgelegt und stets dem Zeitgeist angepasst, insgesamt zählte der Verlag mehr als drei Millionen Exemplare.

"Wie viele junge Frauen haben uns über diese Zustände bitter geklagt und haben schmerzlich ausgerufen: ‚Warum sind wir nicht früher aufgeklärt worden?!‘" – Anna Fischer-Dückelmann, "Die Frau als Hausärztin" (1901)

Die Ärztin vertrat Ansichten, die damals durchaus modern waren, schrieb freimütig über Tabuthemen wie Sexualität und kann mit einem gewissen emanzipatorischen Anspruch gelesen werden. Aus heutiger Perspektive wirken viele der Ratschläge dennoch ähnlich bizarr wie Alberts vernichtendes Urteil. Fischer-Dückelmann sprach sich gegen die Pflichtimpfung gegen Pocken aus, mehr als hundert Jahre nachdem Vorreiterin Maria Theresia ihre jüngsten Kinder mit dem Sekret erkrankter Personen behandeln ließ. Vor der Erfindung der Spritze war der Eingriff rabiater, die Haut musste mit einer Lanzette aufgerissen werden, die verbleibende Narbe galt als Makel.

Die Vermessung des Körpers

Die Schnittstellen von Staat, Macht und Medizin werden auch anhand von Cholera, der Spanischen Grippe und der Covid-19-Pandemie beleuchtet. Chirurgiebesteck für den illegalen Schwangerschaftsabbruch folgt auf Abschreckungsbilder auf Zigarettenpackungen. Der zeitliche Hintergrund und der Fortschritt der Disziplinen formen Körperbilder und die Definitionen von Krankheit. So wird das gesunde Auge eines schwarzen Menschen aus Äthiopien zum "Kuriosum" einer Sammlung über Augenerkrankungen, eine Hautfarbentafel und ein Schädelmesser zu ambivalenten Werkzeugen zwischen wissenschaftlicher Diagnose und rassistischer Theorie.

Eine beeindruckende Sammlung an Gallensteinen, die auch als Kleinmeteoriten durchgehen könnten.
Foto: Christian Fischer

Für ein bedrückendes Gefühl in der Bauchgegend müssen sensible Personen nicht erst die Gallensteinsammlung begutachten. Und doch kann man sich der Strahlkraft der modernen Medizin kaum erwehren, die mit Ultraschall, Röntgen und Endoskopie das Innerste des Menschen ausleuchtet und Cyborgs mit bionischen Händen ermöglicht. So ästhetisch und wissenschaftlich aufschlussreich die Innenansichten auch sind, hat Museumsdirektorin Druml selbst für jene Verständnis, die es dann doch nicht ganz so genau wissen wollen: "Es hat ja einen Sinn, dass der Körper eine Haut hat und man nicht hineinschauen kann." (Julia Sica, 27.9.2022)