Über 300.000 Menschen in Österreich sind stark sehbeeinträchtigt. Je länger wir arbeiten, desto häufiger treten Sehprobleme als behindernde Faktoren auch im Arbeitsleben auf. Im Gegenzug dazu wird die Arbeitswelt immer digitaler, was zu einem deutlich vermehrten Einsatz von visuellen Softwareelementen und verteilten Kooperationsformen führt. Menschen mit Sehbehinderungen haben häufig Probleme, diese Tools anzuwenden, und sind als Folge mit erheblichen Hürden konfrontiert oder sogar von vielen Berufschancen ausgeschlossen. Die Digitalisierung ist nicht barrierefrei und baut zusätzliche Hindernisse auf. Doch halt! Im Gegenzug kann die Digitalisierung eben genau dazu beitragen, sehbehinderte und blinde Menschen besser in Arbeitsprozesse zu integrieren – wenn neue und innovative Tools zur Verfügung stehen.

Die Digitalisierung kann dazu beitragen, sehbehinderte und blinde Menschen besser in Arbeitsprozesse zu integrieren.
Foto: Johannes Střelka-Petz, BSc

Define: die Braille-Tastatur für die Hand

"Wir lernen miteinander und voneinander" steht als Motto über dem Projekt "Define – digital equipment for inclusive empowerment" des Blinden- und Sehbehindertenverbands Wien, Niederösterreich und Burgenland. Im Rahmen des vom Digifonds der Arbeiterkammer Wien geförderten Projekts lädt der Verband zu Selbermach-/Maker-Kursen ein, in denen sehbehinderte und blinde Menschen ihre eigene Open-Source Braille-Tastatur für das Smartphone und den PC entwickeln. Define bringt die Braille-Tastatur damit weg vom Schreibtisch und direkt in die Hand. Sie ist flexibel, mobil wie ein Handy und erleichtert das Notizenmachen von überall aus.

Blinden- und Maker-Bewegung

Bei der Arbeit in den Werkstätten werden Barrieren überwunden und inklusive Zugänge zu den digitalen Fertigungstechniken der Maker-Bewegung entwickelt.
Credit: Johannes Střelka-Petz, BSc

Doch wie funktioniert das Selbermachen? Seit September 2022 entwickeln die sehbehinderten und blinden Teilnehmer:innen in sogenannten Maker-Spaces (metalab, Happylab) ein Jahr lang in vielen kleinen Schritten eine Open-Source Braille-Tastatur mit inklusiver Bauanleitung, die im 3-D-Druckverfahren hergestellt wird. Bei der Arbeit in den Werkstätten werden Barrieren überwunden und inklusive Zugänge zu den digitalen Fertigungstechniken der Maker-Bewegung entwickelt. (Die Maker-Bewegung ist eine Technik-bezogene Variante von Heimwerker:innen beziehungsweise der Do-it-yourself-Kultur, die kurze Wege, kleine Stückzahlen und maßgeschneiderte sowie reparierbare Produkte ermöglicht.) Das Projekt Define nutzt auf diese Weise die Arbeitsmarktchancen durch Fachkräftemangel und Digitalisierung für behinderte Menschen.

Mit VEDTools digitale Hürden überwinden

Seit bereits 85 Jahren setzt sich die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs dafür ein, die Lebensbedingungen blinder und stark sehbehinderter Menschen zu verbessern. Ein zentrales Ziel ist die Teilhabe am Arbeitsmarkt. In Zusammenarbeit mit dem AIT und Videbis hat die Hilfsgemeinschaft im Rahmen des Projekts VEDTools einen Prototypen entwickelt, der dabei helfen soll, mit digitalen Verbesserungen vorhandene Hürden zu überwinden und die Integration in neue Berufsfelder zu ermöglichen.

Seit bereits 85 Jahren setzt sich die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs dafür ein, die Lebensbedingungen blinder und stark sehbehinderter Menschen zu verbessern.
Foto: Johannes Střelka-Petz, BSc

Individuelle Filter und einfache Bedienung

Damit sehbehinderte Arbeitnehmer:innen Videokonferenz-Tools wie Microsoft Teams, Zoom, Webex und Co oder Präsentationstools wie digitale Whiteboards besser bedienen können, ist es hilfreich, wenn am Bildschirm die Helligkeit und der Kontrast adaptiert, Kanten hervorgehoben oder Farben angepasst werden können. Gesichter und Text sind dann besser erkennbar. Da Seheinschränkungen sehr individuell sind, können User:innen die Filter individuell einstellen; die Bedienung erfolgt via Mouse, Keyboard-Shortcuts oder über einen Drehregler, der zusätzlich an den Computer angeschlossen wird.

Beratung vermehrt per Videochat

Bei der Entwicklung wurde zudem darauf geachtet, dass möglichst geringe Systemanforderungen notwendig sind, um eine einfache Nachrüstung bei bestehenden Ausstattungen zu ermöglichen. Mithilfe von VEDTools können Menschen mit Sehbeeinträchtigungen auch in zunehmend digital abgewickelten Arbeitsprozessen, etwa im Kundensupport oder in der Beratung, die vermehrt über Videochat stattfindet, tätig werden.