Harter Befund, eher weiche Lösungsansätze: Richard David Precht schrieb ein Buch über Medien.

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Armin Wolf finden Richard David Precht und Harald Welzer doof. Der ORF-Anchor war einer jener Journalisten, die der Vorwurf von "Selbstgleichschaltung" der Medien in der Verlagsankündigung für Die vierte Gewalt der beiden Autoren lesbar irritierte.

"Hyperventilierende Kritik"

Precht und Welzer sehen sich durch die nach ihrer Wahrnehmung "hyperventilierende Kritik" an ihrem Buch bestätigt in ihrem Befund über die Medien in ihrem neuen Buch. Sie konstatieren Herdentrieb, regierungsnahe Meinungshegemonie, Medien machten Politik, statt sie kritisch zu analysieren, übten Erregung statt Reflexion in Anpassung an "Direktmedien" wie Twitter, sie personalisierten, polarisierten, moralisierten, vereinfachten. Und sie bildeten die Weltsicht eines wesentlichen Teils der Bevölkerung nicht mehr ab, das münde in Tiefstwerten des Vertrauens unter der 50-Prozent-Marke. All das zeigten die Flüchtlingskrise von 2015, die Corona-Pandemie und nun die Waffenlieferungen an die von Russland angegriffene Ukraine.

Doof sein

Germanist Precht ist häufiger TV-Talkshowgast wie Soziologe Welzer. Heute, Mittwoch, erscheint ihr Buch. Die Vorabkritik von Wolf oder Joachim Huber vom Berliner Tagesspiegel am Begriff der Selbstgleichschaltung, ohne das Buch gelesen zu haben, qualifizieren die beiden im Vorwort in einfacher Sprache und als "Nostalgie" verbrämt: "Doof sein galt früher nicht als Tugend."

Zugleich räumten die beiden Autoren im Zeit-Interview ein, dass sie "Selbstgleichschaltung" nun doch nicht im Buch verwenden: "An der Änderung sehen Sie doch, wie kritikfähig wir sind", sagt Welzer.

Gleichschaltung ist der gängige wie treffende Begriff für die Propagandapolitik des nationalsozialistischen Regimes. Gleichschaltung und teils Selbstgleichschaltung.

Den Eindruck "gelenkter Manipulation" der Medien weisen die beiden zurück. Precht: "Wir betreiben Aufklärungsarbeit gegen Verschwörungstheorien, die die Presse vom Staat manipuliert sehen."

Veröffentlichte Meinung

Die Medienprofis erklären ihr Buch eingangs zum Lackmustest für ihre Thesen – "dass man das Buch entweder ignoriert oder, sehr viel wahrscheinlicher, die Kritik durch Personalisierung abwehrt".

Persönliche Motive sieht die Nachrichtenagentur dpa in Die vierte Gewalt mit "Unbehagen, weil es sich auch wie die persönliche Reaktion auf eine Beleidigung liest". Precht und Welzer haben den offenen Brief deutscher Prominenter gegen Waffenlieferungen an die Ukraine unterzeichnet, den viele Medien mit heftiger Kritik und Häme kommentierten. Die Autoren verneinen einen Zusammenhang.

Nur recht geben

"Man wird, was immer man auch sagt, den beiden Denkern nur recht geben können", schreibt die Frankfurter Allgemeine: "Sei es, indem man ihrer Diagnose von der Einhelligkeit der veröffentlichten Meinung‘ zustimmt; oder indem man ihnen widerspricht und damit die Intoleranz für abweichende Meinungen belegt, die sie beklagen."

Die Rezensionen kommen schwer umhin, nicht erst von Precht und Welzer beschriebene Tendenzen in der Medienbranche zu bestätigen. Die Süddeutsche Zeitung empfiehlt die Kritik etwa als Anlass, "die in deutschen Medienhäusern nach wie vor bedauernswert unterentwickelte Transparenz und Fehlerkultur zu stärken oder, wichtiger noch, in den großzügigen Grenzen von Anstand, Respekt sowie der freiheitlich demokratischen Grundordnung, ein verlässliches Forum zu sein für alle, die sprechen und gehört werden wollen".

Harald Welzer geht mit Precht hart ins Gericht mit Medien, die sich an Twitter und Co orientierten.
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Aber sie erinnert die Autoren auch an die doch ziemlich vielfältige veröffentlichte Meinung und daran, dass nicht jede Talkshow, die Gegner und Befürworter nicht im exakt gleichen Verhältnis reden lässt, gleich Zensur bedeute.

Lösungsorientiert

Welche Lösungen leiten die streckenweise recht schwarz-weiß malenden Denker aus ihren Beobachtungen ab? Sie selbst empfehlen ja "lösungsorientierten, konstruktiven Journalismus" statt eines "sensationierenden", der "permanent" "Probleme und Skandale" berichte.

Sie empfehlen andere Perspektiven statt Erwartbares, über funktionierende Institutionen zu berichten statt pauschaler Bürokratiekritik; wirksames politisches Handeln, etwa nachhaltige Regionalpolitik.

Öffentlich-rechtlich

Etwas konkreter werden sie hier: "Warum dehnt man nicht die Idee der öffentlich-rechtlichen Medien im Sinn der staatlichen Daseinsvorsorge, als einer nicht marktfähigen Sphäre der demokratischen Meinungsbildung und Aushandlung, auch auf die Direktmedien aus? Man stelle sich dafür ein europäisches öffentlich-rechtlichen Netzwerk vor, das der algorithmischen Logik der kommerziellen sozialen Netzwerke nicht folgt, weil es ihnen nicht folgen muss." Natürlich brauche auch öffentlich-rechtlicher Rundfunk "strenge Selbstkontrolle der eigenen Qualitätsstandards".

Qualitätsverfall unterlassen

"Unterlassen" mögen Medien alle Mechanismen, die "den Qualitätsverfall begünstigen und die umsichtige Aufklärungsfunktion unterlaufen. So ließe sich die Tendenz zu immer kurzlebigerem Erregungsjournalismus zugunsten von Marktvorteilen aus einem eigenen Überlebensinteresse des Qualitätsjournalismus korrigieren, was zugegebenermaßen nicht leicht ist, kluger Führungsqualitäten und sicher auch einer gründlichen Debatte bedarf."

Die Gesellschaft brauche "nachhaltigen Aufklärungsjournalismus, der sich seiner eigenen Existenzvoraussetzungen bewusst und diesen verpflichtet ist", schreiben sie, also der Demokratie. Und: "Es gibt, in der Tat, viel zu reflektieren, um das Restvertrauen zu sichern, das noch geblieben ist, und idealerweise sogar wieder neues zu gewinnen."

Je allgemeiner der Ratschlag, desto sicherer behält man recht. (Harald Fidler, 28.9.2022)