Pilze haben es Björk aktuell angetan. Und Bassklarinetten. Wie und ob das zusammenpasst, beantwortet ihr Album Forossa – irgendwie.

Foto: Vidar Logi

Ein Album zum Thema Pilze, umgesetzt von einem Bassklarinetten-Sextett und Technoknartsch – endlich nimmt sich dieser Herausforderung jemand an, das Warten hat ein Ende. Doch es sind keine Acid-Heads, keine in der Klassik untreu gewordenen Grateful-Dead-Anhänger, die, von der Magie ihrer morgendlichen Mushroom-Dosis ermutigt, sich des Themas annehmen. Nein, Björk erledigt das.

Am Freitag erscheint Fossora. Es ist das zehnte Album des isländischen Popstars; schon in den 1980er-Jahren wurde sie als Sängerin der Sugarcubes bekannt. Seit 1993 betreibt sie eine so erfolgreiche wie abenteuerliche Solokarriere, in der Großtaten wie Debut, Post oder Volta abgefallen sind. Alben, die den Popbegriff gefordert haben, erweitert, befruchtet und mit dem originären Idiom Björks ein Universum begründeten, das auf seine Art schon Hyper-Pop war, bevor der Begriff als solcher überhaupt in die Welt kam.

Begräbnisritual

Avantgarde und Pop fanden sich regelmäßig zur Kernschmelze im isländischen Vulkangebiet ein, wohin die Weltbürgerin Björk immer wieder zurückgekehrt ist und wo sie heute ganz lebt. Dort kann sie als Weltstar unbehelligt im Designerkimono und mit knallbunter Kleopatra-Frisur ins Kaffeehaus gehen. Eine Björk-Erscheinung ist dort so normal wie ein Vulkanausbruch zum Frühstück.

Fünf Jahre sind seit ihrem letzten Album Utopia vergangen. In die Zeit vor Fossora fielen die Bewältigung einer Trennung sowie ein Todesfall: 2018 starb Björks Mutter, in zwei ihrer neuen Songs ist das ein Thema. Sorrowful Soil beginnt wie ein Stück, das bei einem Begräbnisritual gespielt werden könnte. Tatsächlich richtete die Atheistin Björk ein solches abseits organisierter Kirchen für ihre Mutter aus, überlegte, wie der Abschied gottlos, aber nicht frei von Spiritualität gestaltet werden könnte.

Armes Trommelfell

Sorrowful Soil ist bis auf einen minimalen Elektronikeinsatz ein A-cappella-Lied und bewegt mit seiner Erhabenheit, wenn man die Geschichte dahinter kennt. Es ist eines der neuen Lieder, die für das Trommelfell am leichtesten zu verdauen sind.

björk

Und dann war da Corona, von dem Island nicht verschont blieb, aber als Eiland weniger betroffen war. Isolation, die Verbindung zur Natur, eine wurzelseppige Verschrobenheit im Zugang zu ihren Themen, das zeichnete Björk Guðmundsdóttir immer schon aus, Fossora ist ein Gipfeltreffen dieser Eigenschaften.

Das Bassklarinettensextett Murmuri wies sie an, so zu spielen, als hätte jedes Mitglied eineinhalb Gläser Rotwein intus. Nicht ein oder zwei Gläser, keinen Rosé- oder Weißwein. Nein, abgemessen, eineinhalb Gläser Rot.

Kunstvoll zwischen die Sessel

Das sollte eine gewisse Lockerheit garantieren, ohne dass die Konzentration litt. Ein Lied wie Fungal City betupfen diese Holzbläser von der einen Seite, während von der anderen Technobeats donnern. Dazwischen sägt die Spinne Thekla an der Geige, und Björk björkt.

Sie entwindet sich ihre Texte, diese stets kunstvoll zwischen die Sessel gesetzten Lyrics, verdreht betont, die Balance zwischen Charme und Zumutung testend. Fossora ist ein anstrengendes Werk. Niemand wird je ein Stück davon fröhlich auf den Lippen haben, wenn er in der Früh zum Bäcker geht.

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Björks Weg weist Parallelen zu jenem des 2019 gestorbenen Scott Walker auf. Der war in den Sixties ein Boy-Group-Weltstar mit den Walker Brothers (The Sun Ain't Gonna Shine Anymore), bevor er als Solokünstler den Weg zum Herz der Finsternis einschlug, lieber auf Schweinehälften trommelte, als mit traditionellen Instrumenten zu spielen. Er entsagte dem Songformat, unterwarf sich bloß dem Zwang von Anfang und Ende, weil es eben nicht anders ging.

Theoretisch interessant

Björks aktuelle Musik mag lieblicher ausfallen, weniger anstrengend ist sie nicht. In großen Porträts, wie sie im Atlantic oder auf Pitchfork erschienen sind, ist die Musik kaum Thema. Interessanter als die Kunst ist da die Künstlerin. Björk ist stets Sinnbild für die weibliche Sicht und für ungewöhnliche Perspektiven im und auf Pop.

Fossora ist einerseits grauenhaft, andererseits als Lebenszeichen einer Ausnahmeerscheinung betrachtenswert. So wie das Spätwerk des Scott Walker – also eher theoretisch interessant als ein praktischer Hörgenuss. Das Setting dieser Musik ist weder der Club noch das Radio. Wahrscheinlich passt sie am besten in Björks isländische Küche, drüben im Leuchtturm. Und manchmal ist so ein kleiner Vulkanausbruch nicht das Schlechteste. Eine reinigende Kraft, auch wenn danach alles in Schutt und Asche liegt. Auch die Klarinetten. (Karl Fluch, 28.9.2022)