Dass sich Marine Le Pen über den Sieg der italienischen Rechten freuen würde, ist naheliegend. Und natürlich war die Chefin des rechtsextremen französischen Rassemblement National (RN) als eine der Ersten zur Stelle, um den beiden Verbündeten in Italien zu gratulieren: Matteo Salvini ebenso wie Giorgia Meloni. Doch bei Letzterer war wohl auch Neid im Spiel: Denn während Le Pen schon dreimal – zuletzt im vergangenen April – bei Präsidentschaftswahlen scheiterte, ist die Italienerin hingegen ganz oben angelangt und wird wohl Regierungschefin werden.

Trotz politischer Nähe in vielen Bereichen sind die Französin Marine Le Pen (links) und die Italienerin Giorgia Meloni keineswegs auf gleicher Wellenlänge.
Fotos: AFP / Stéphane de Sakutin, Andreas Solaro

Bei ihrem bisher letzten gemeinsamen Treffen im Jahre 2015 – es war in einer italienischen Talkshow – hatte Le Pen ihrer Gesinnungsschwester noch gute Ratschläge erteilt und sie regelrecht von oben herab behandelt – so wie viele Franzosen die Italiener gerne ihre "kleinen Brüder" nennen.

Seit jenem Auftritt vor sieben Jahren haben sich die beiden Politikerinnen nicht mehr getroffen, denn Le Pen bevorzugt eindeutig Lega-Chef Salvini. Dem wortgewaltigen Putin-Freund steht sie sowohl persönlich wie auch politisch näher.

Aber auch vice versa: Vor den Präsidentschaftswahlen in Frankreich sah Meloni erstmals davon ab, zur Wahl Le Pens aufzurufen: "Kein Kandidat entspricht dem Lager der Konservativen, dem ich angehöre", sagte sie damals zur Begründung ihres verweigerten Appells.

Nicht immer auf einer Linie

Im Kern vertreten die beiden Rechtspolitikerinnen aber ähnliche Positionen – gegen die Eliten und die EU, wider Einwanderung und Islam. Den christlichen Ansatz Melonis teilt Le Pen aber nicht: Die Französin, die sich lieber als gute Republikanerin gibt – während Meloni als christlich gesinnte Konservative antritt –, ist für ein liberales Abtreibungsrecht. Sie ist zwar auch für ein staatlich gefördertes Familienrecht – dies aber eher aus nationalistischen, nicht wie Meloni aus religiösen Gründen.

Während die Italienerin als proamerikanische Transatlantikerin gilt und klar zur Ukraine steht, war Le Pen zumindest bis zum Krieg wie Salvini eine betonte Putin-Freundin, die bei Kreml-Vertrauten auch Wahlkampfkredite aufnahm.

Unterschiedlich gehen die beiden Frauen auch mit der problematischen Vergangenheit ihrer Bewegungen um. Meloni hat offenbar weder Mühe noch Skrupel mit dem Urvater ihrer Fratelli d'Italia: Diktator Benito Mussolini. Le Pen verurteilt dagegen zumindest rhetorisch den französischen Vichy-Anführer Philippe Pétain. Damit hebt sie sich bewusst von ihrem eigenen Vater Jean-Marie Le Pen ab, der den Front National (FN) zusammen mit Vichy-Anhängern gegründet hatte.

Meloni wie Le Pen führen zwar beide das faschistische Flammensymbol in ihrem Parteilogo. Beim anstehenden RN-Kongress hat Le Pen die störende Flamme aber fast schon in einen schematisierten Eiffelturm verwandeln lassen.

Keine gemeinsame Sache

Dass die beiden rechten Politikerinnen künftig gemeinsame Sache machen werden, scheint auch deshalb ausgeschlossen, weil in Frankreich erst wieder 2027 Präsidentschaftswahlen anstehen. Zumindest so lange muss sich Le Pen noch gedulden. Aber auch so haben die Stimmen Le Pens und Melonis in der europäischen Debatte viel Gewicht. Doch nicht einmal diese Debatte werden sie zusammen führen: Meloni neigt, wenn es um Frankreich geht, eher dem ultrakonservativen Ex-Präsidentschaftskandidaten Eric Zemmour zu – Le Pens internem Rivalen, ja geradezu Feind.

Das hat auch eine private Komponente: Le Pens Nichte Marion Maréchal ist zu Zemmour übergelaufen und gilt deshalb im Le-Pen-Lager als Verräterin. Maréchals Lebenspartner ist indes Vincenzo Sofo, ein EU-Abgeordneter von Melonis Fratelli d'Italia – ein Grund mehr für die rechte Französin Le Pen, die rechte Italienerin Meloni nicht in ihrem Herzen zu tragen. (Stefan Brändle aus Paris, 28.9.2022)