Magnus Carlsen will nicht mehr gegen Niemann spielen.

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Über Hans Niemann wurde schon seit längerem getuschelt.

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Der Name Richárd Rapport ist hier noch nicht gefallen. Dabei spielt er eine wichtige, quasi auslösende Rolle im Konnex mit dem Skandal, der seit Wochen die Schachwelt in Atem hält. Richárd Rapport (26), aufgewachsen in Sé, einem Vorort von Szombathely nahe der Grenze zu Österreich, ist ein ungarischer Schachgroßmeister, seit wenigen Wochen spielt er für den rumänischen Verband. Mag sein, neben strikten US-Einreisebestimmungen hat auch dieser Wechsel bedingt, dass Rapport im August für den Sinquefield-Cup in St. Louis absagen musste, wo dann bekanntlich alles eskaliert ist.

Denn anstelle von Richárd Rapport rutschte Hans Niemann (19) ins Teilnehmerfeld, und der US-Amerikaner schlug dann den norwegischen Weltmeister Magnus Carlsen, woraufhin dieser sich erstmals von einem Turnier zurückzog, in den Raum stellend, Niemann habe betrogen. Die Schachszene war erschüttert und blieb es klarerweise, als Carlsen kurz darauf beim "Julius Bär Generation Cup", einem Online-Turnier, gegen Niemann nach seinem ersten Zug aufgab. Dass Niemann später im Viertelfinale scheiterte und Carlsen nach vorzüglicher Leistung den Sieg davontrug, sei am Rande erwähnt.

Seine Ankündigung, nach dem Turnier endlich einigermaßen Tacheles zu reden bzw. zu schreiben, hat Carlsen am späten Montag wahrgemacht. "Ich glaube, dass Niemann öfter – und in jüngerer Vergangenheit – betrogen hat, als er zugegeben hat." Der US-Amerikaner habe "ungewöhnliche Fortschritte" gemacht. Schon als Niemann "in letzter Minute zum Sinquefield Cup eingeladen wurde", um, wie gesagt, Richárd Rapport zu ersetzen, habe er, Carlsen, intensiv überlegt, im Vorhinein das Turnier abzusagen. "Letztlich habe ich mich entschieden zu spielen."

Als es dann in der dritten Runde in St. Louis zum direkten Duell kam, hatte Carlsen "den Eindruck, dass Niemann in kritischen Positionen weder angespannt noch voll konzentriert" gewesen sei. "Und dennoch hat er mich mit Schwarz in einer Weise ausgespielt, die ich nur einer Handvoll Spielern zutraue." Logisch, dass er Niemann nicht zu dieser Handvoll zählt. Ansonsten deutet er an, dass er noch mehr zu sagen oder schreiben hätte, dazu aber Niemanns "ausdrückliche Erlaubnis" brauche. Das ist mehr als nur ein Hinweis darauf, dass auf beiden Seiten längst auch Juristinnen und Juristen am Zug sind.

Im Übrigen wünscht sich Carlsen, dass ganz generell mehr gegen Betrug im Schachsport getan wird. Und er selbst will künftig "nicht mehr gegen Leute antreten, die in der Vergangenheit wiederholt betrogen haben". Das würde Niemann miteinschließen, der ja auch zugegeben hat, zweimal beim Online-Schach geschummelt zu haben, einmal im Alter von zwölf und einmal im Alter von 16 Jahren.

Nepo war "unglücklich"

Derweil stellt sich immer mehr heraus, dass Carlsen bei weitem nicht der Einzige war, dem Niemann seit geraumer Zeit und jedenfalls schon vor dem Sinquefield Cup verdächtig vorkam. Der Russe Jan Alexandrowitsch Nepomnjaschtschi (32), Großmeister seit 2007 und im Vorjahr Carlsens WM-Herausforderer, war "unglücklich", als er von Niemanns Teilnahme in St. Louis erfuhr. "Ich hatte das Gefühl, dass einiges falsch laufen könnte", sagt "Nepo" in einem Video, das er auf seinem Youtube-Kanal veröffentlichte. "Ich habe die Turnierorganisatoren unverzüglich gebeten, einige Extramaßnahmen und Vorkehrungen zu treffen, um das Turnier schon im Vorfeld sicherer und sauberer zu machen."

Doch laut Nepomnjaschtschi hätten die Veranstalter des Sinquefield Cups erst nach Carlsens Ausstieg reagiert – und die Übertragung im Internet um 15 Minuten verzögert. Ein viertelstündiger Aufschub würde zudem nicht reichen, um Betrug wirklich ausschließen zu können. Man müsste um dreißig oder mehr Minuten zeitversetzt übertragen, meint Nepomnjaschtschi, der gegen Niemann "während der Pandemie mehrmals gespielt hat", klarerweise online. Einige dieser Partien seien auffällig und "ziemlich verrückt" gewesen, Niemann habe da klar über seinem Level gespielt.

Caruana bleibt gelassen

US-Großmeister Fabiano Caruana (30), der mit 14 schon Großmeister war, hat eine entspannte Herangehensweise. Er wolle sich, sagte er in seinem Podcast C-Squared, nicht zu viel den Kopf über Niemann zerbrechen. Dessen Spiel in St. Louis war in Caruanas Augen jedenfalls "nicht besonders auffällig". Caruana hat Niemann vor einem Jahr in Riga getroffen. "Wir haben geblitzt. Niemann ist zweifelsohne ein talentierter Spieler."

Carlsen sei in St. Louis schon mit einer bestimmten Einstellung ins Turnier und speziell ins Duell mit Niemann gegangen, über den seit längerem getuschelt wurde. "Auch ich wurde immer wieder gefragt, was ich von Niemann halte. Ob ich glaube, dass er betrügt", sagt Caruana. "Es wurde viel spekuliert, das bekommen alle mit. Die Schachwelt ist eine kleine Welt." (Fritz Neumann, 27.9.2022)