Es klingt, als würde man aus einem Rechtssystem einer utopischen Zukunft zitieren, in der der Klimawandel nicht nur ernst genommen wird, sondern ihm auch auf demokratische und sozial ausgewogene Weise begegnet wird: Da gibt es ein Grundrecht auf Klimaschutz, das von jedem Bürger und jeder Bürgerin einklagbar ist.

Ein Grundrecht auf Zugang zu grüner Energie ist vorhanden – die Nutzung klimaschädlicher Ressourcen wäre also niemals die einzige Option. Auch ein Grundrecht auf Klimaasyl ist gegeben – etwas, das in der Genfer Flüchtlingskonvention zumindest gegenwärtig noch nicht vorkommt. Und schließlich besteht noch ein Grundrecht auf lebenswichtige Ressourcen. Wasser zum Trinken oder zur Bewirtschaftung von Feldern darf niemandem streitig gemacht werden.

70 Länder im fiktiven Umweltgericht

Eine Charta mit diesen Grundrechten gibt es bisher nur in Linz. Sie war eines der Ergebnisse der diesjährigen Festival University, der von Ars Electronica und der Johannes-Kepler-Universität (JKU) veranstalteten Sommerschule. 200 Studierende aus weltweit 70 Ländern waren eingeladen, um sich in einer besonderen Form mit dem Klimawandel zu beschäftigen: Sie traten als Konfliktparteien vor einem fiktiven internationalen Umweltgericht gegeneinander an, um exemplarische Themen aus dem Bereich Ressourcen- und Energiesicherheit und Migration zu verhandeln. Die Veranstaltung, die mit Mitteln des Wissenschaftsministeriums unterstützt wird, fand heuer bereits zum zweiten Mal statt.

Komplexe Konflikte

Mathis Fister vom Institut für Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre der JKU begleitete die Verhandlungen und führte das Richterkollegium, das die Entscheidungen in den Konflikten traf. "Die Gerichtssimulation vermittelte eine Ahnung, wie komplex klimabedingte Konflikte werden können. Staaten müssen etwa einen Weg finden, zwischen Klimaschutzmaßnahmen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten, die der Versorgung mit Gütern und dem Wohlstand dienen, zu vermitteln", sagt der Rechtsprofessor. "Würde man alles sofort und bedingungslos dem Klimaschutz unterordnen, würde das ebenfalls Probleme bereiten."

Flucht aufgrund von Ressourcenmangel und Bedrohungen durch den Klimawandel ist bereits Realität, etwa in Somalia. Entstehende Konflikte könnten künftig vermehrt vor Gericht ausgetragen werden.
Foto: AFP / Eduardo Soteras

Wie schlichtet man also einen Streit um Wasser, der zwischen Landwirten und Industrie- oder Tourismusbetrieben entsteht? Wie geht man mit der Migration von Menschen – oder vielleicht ganzer Bevölkerungen – aus Ländern um, die unbewohnbar werden, sei es aufgrund von Dürre und hohen Temperaturen oder durch den Anstieg des Meeresspiegels? Und wie lässt sich sicherstellen, dass staatliche oder internationale Regelungen die Nutzung von klimaschädlichen Energieformen tatsächlich unterbinden – Stichwort EU-Taxonomieverordnung? Fragen wie diese bildeten den Hintergrund für die Verhandlungen, die die Teilnehmenden dazu animierten, verschiedene Positionen in den klimabedingten Auseinandersetzungen einzunehmen und die Problematik auf diese Art besser zu erfassen.

Die Klimakonflikte der Festival University sind zwar hypothetisch, aber nicht unrealistisch. In den Rechtssystemen der USA und besonders in Australien sind Gerichtsverfahren zum Klimawandel bereits ein Normalfall. In Deutschland schlug etwa der Fall des peruanischen Bauern Saúl Luciano, der den deutschen Energieversorger RWE verklagte, hohe Wellen.

Klimaklage aus Peru

Klagsgrund war die Bedrohung durch einen Gletschersee, die durch das beschleunigte Abschmelzen des Eises durch den Klimawandel eintrat. Das 2015 gestartete Verfahren dauert an. Dem Kläger kommt zugute, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse die Kausalkette zwischen CO2-Emissionen und der Bedrohungslage von Lucianos Heimatstadt immer enger knüpfen.

Fister hebt auch die erfolgreiche Beschwerde beim deutschen Bundesverfassungsgericht hervor, wonach die 2019 in Gesetz gegossenen deutschen Klimaschutzziele nicht mit den Grundrechten vereinbar seien. Ausreichende Vorkehrungen für die Emissionsreduktion ab 2031 würden fehlen. "Das Gericht hat in der Entscheidung von 2021 klargemacht, dass die Last der Bekämpfung des Klimawandels fair über die Generationen hinweg verteilt werden muss", erklärt Fister. "Die aktuelle Klimapolitik darf nicht zulasten der Kinder und Enkel gehen."

Grenzen der Rechtssysteme ausloten

Welche Rolle werden also nun künftige Klimaklagen in der Bekämpfung der Erderwärmung spielen? Für Fister sind die Gerichtsentscheidungen "ein Baustein – aber einer unter vielen". Die Klagen schaffen mediale Aufmerksamkeit und üben Druck auf Unternehmen oder Politik aus. Doch die Wirkmächtigkeit ist begrenzt. "Schon allein durch die regionale Einschränkung der gerichtlichen Zuständigkeiten entstehen enorme Limitierungen. Zudem sind die Grundrechte inhaltlich mitunter nicht stark genug ausgebaut", erläutert Fister.

Gleichzeitig ist aber in vielen Ländern auch noch unklar, was aus den Verfassungen mit gezielten Klimaklagen herauszuholen sei. "Es braucht Leute, die zu Gericht gehen und es probieren. Auch wenn nach geltendem Recht vielleicht nicht immer ein Erfolg für die Kläger herausschaut, wird das Thema Klimaschutz ins öffentliche Bewusstsein geholt", sagt Fister. "Die Schlussfolgerung aus negativen Entscheidungen kann aber auch sein, dass wir das Recht weiterentwickeln."

Verborgene Möglichkeiten

Gerade in Österreich sei es sehr schwer, mit Klimaklagen durchzukommen – auch im Vergleich zu Deutschland, räumt der Rechtsexperte ein. Bahnbrechende Entscheidungen gab es diesbezüglich bisher noch nicht. Bereits bei seiner kürzlichen Antrittsvorlesung an der JKU hat sich Fister mit der Frage beschäftigt, inwieweit in der österreichischen Verfassung noch Potenziale für erfolgreiche Klimaklagen verborgen liegen. "Ich glaube, dass es da noch manches zu entdecken und gerichtlich zu verfolgen gibt", sagt der Rechtsprofessor, der auch an einer Publikation zu dem Thema arbeitet.

Die Zahl der Klagen im Zusammenhang mit der Erderwärmung werde künftig zunehmen, ist Fister überzeugt. Auch die Rechtssysteme werden sich graduell an den Klimawandel anpassen. Zu hoffen bleibt, dass auf diese Weise irgendwann auch Grundrechte zu erreichen sind, die jenen gleichen, die bei der Linzer Festival University aufgestellt wurden – am besten noch, bevor klimabedingt steigende Ungleichheiten gesellschaftliche Konflikte zunehmen lassen. (Alois Pumhösel, 28.9.2022)